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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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Leopold der Zweite als erster Vorkämpfer Mitteleuropas

englische Koalition einzutreten. Die Gründe ihrer damaligen Haltung sind
noch nicht ganz aufgeklärt; maßgebend mag dafür gewesen sein, daß Rußland
und Frankreich nur zeitweilige Gegner Englands waren, aber nicht Gegner
aus einem so starken dauernden Interessengegensatz heraus wie Mitteleuropa.
Deutschland insbesondere, mit seinem wachsenden Außenhandel auf die enge
Durchfahrt Dover--Calais angemiesen, mußte die damals schon sich regenden
englischen Pläne der Herstellung einer lückenlosen Verbindung von Alexandrien
nach Kalkutta als einen gegen sein Lebensinteresse gerichteten Schlag empfinden,
während dem frei am Atlantischen Ozean liegenden Frankreich jener englische
Plan Nebensache wurde, sobald es entsprechende Konzessionen erhielt. Man
bedenke, welche Zeit damals war. Cecil Rhodes war in Berlin gewesen und
hatte sür seine Bahn Kairo--Kapstadt Stimmung gemacht; diesem großen Plane
hatte Frankreich bei Faschoda freie Bahn gegeben, als es sich für Deutschland
und Mitteleuropa um genau dieselbe Sache handelte wie während des Buren-
krieges, um den Versuch einer Isolierung Englands in Ägypten. Jeden der¬
artigen Versuch, das bewies Faschoda, sah England als Kriegsfall an; es war
also zu erwarten, daß ein neuer deutsch-französisch-russischer Versuch ebenso
aufgefaßt werden würde wie der französisch-belgische. Frankreich hatte 1893
bewiesen, daß ihm die Gefahr einer Verbindung Ägyptens mit Indien nicht
Lebensfrage war; war da zu erwarten, es würde schon ein Jahr später für
dieselbe Sache bereit sein, die äußersten Konsequenzen zu ziehen, eine Sache, die es
viel weniger anging wie Mitteleuropa und Deutschland? Durch ein deutsch¬
russisch-französisches Vorgehen konnte die Vorderasien-Frage kaum im Sinne
Leopolds des Zweiten gelöst werden; also blieb Deutschland während des
Burenkrieges bei England und nutzte die günstige Lage zur Niederkämpfn"",
englischer Widerstände gegen die Bagdadbahn aus. "Es gibt keine andere
Macht, in deren Hände die Engländer das Unternehmen hätten lieber fallen
sehen", kommentierte die "Times" am 30. November 1899 die Nachricht von
der Konzessionierung der Bagdadbahn; aber schon zwei Jahre später bereitete
sich der Umschwung vor. England wußte ebensogut wie wir selber, daß
Deutschland der Hauptgegner seines Bestrebens sein mußte, eine Landverbindung
zwischen Ägypten und Indien herzustellen, schon um seiner Afrikapolitik willen
die Pläne Leopolds des Zweiten in gewissem Sinne wieder aufnehmen mußte.
Denn es war England genau so klar wie uns, daß, wenn Ägypten gegen
Bedrohungen von Vorderasien her gesichert war, dann im östlichen und zentralen
Asrika eine andere Macht außer der englischen sich überhaupt nicht mehr halten
konnte. Ohne ein englandfreies Vorderasien gab es und gibt es keine selb¬
ständige deutsche Afrikapolitik; England aber mußte fürchten, daß eine starke
Türkei dem alten Zuge Vorderastens nach Ägypten folgen werde und ein
starkes Deutschland in Zentralasrika den Bahnen Leopolds des Zweiten. Des¬
halb auch der leidenschaftliche Widerstand gegen die Pläne Kiderlen-Waechters.
Der große weltpolitische Gegensatz war gegeben; die Wege schieden sich. Und


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Leopold der Zweite als erster Vorkämpfer Mitteleuropas

englische Koalition einzutreten. Die Gründe ihrer damaligen Haltung sind
noch nicht ganz aufgeklärt; maßgebend mag dafür gewesen sein, daß Rußland
und Frankreich nur zeitweilige Gegner Englands waren, aber nicht Gegner
aus einem so starken dauernden Interessengegensatz heraus wie Mitteleuropa.
Deutschland insbesondere, mit seinem wachsenden Außenhandel auf die enge
Durchfahrt Dover—Calais angemiesen, mußte die damals schon sich regenden
englischen Pläne der Herstellung einer lückenlosen Verbindung von Alexandrien
nach Kalkutta als einen gegen sein Lebensinteresse gerichteten Schlag empfinden,
während dem frei am Atlantischen Ozean liegenden Frankreich jener englische
Plan Nebensache wurde, sobald es entsprechende Konzessionen erhielt. Man
bedenke, welche Zeit damals war. Cecil Rhodes war in Berlin gewesen und
hatte sür seine Bahn Kairo—Kapstadt Stimmung gemacht; diesem großen Plane
hatte Frankreich bei Faschoda freie Bahn gegeben, als es sich für Deutschland
und Mitteleuropa um genau dieselbe Sache handelte wie während des Buren-
krieges, um den Versuch einer Isolierung Englands in Ägypten. Jeden der¬
artigen Versuch, das bewies Faschoda, sah England als Kriegsfall an; es war
also zu erwarten, daß ein neuer deutsch-französisch-russischer Versuch ebenso
aufgefaßt werden würde wie der französisch-belgische. Frankreich hatte 1893
bewiesen, daß ihm die Gefahr einer Verbindung Ägyptens mit Indien nicht
Lebensfrage war; war da zu erwarten, es würde schon ein Jahr später für
dieselbe Sache bereit sein, die äußersten Konsequenzen zu ziehen, eine Sache, die es
viel weniger anging wie Mitteleuropa und Deutschland? Durch ein deutsch¬
russisch-französisches Vorgehen konnte die Vorderasien-Frage kaum im Sinne
Leopolds des Zweiten gelöst werden; also blieb Deutschland während des
Burenkrieges bei England und nutzte die günstige Lage zur Niederkämpfn««,
englischer Widerstände gegen die Bagdadbahn aus. „Es gibt keine andere
Macht, in deren Hände die Engländer das Unternehmen hätten lieber fallen
sehen", kommentierte die „Times" am 30. November 1899 die Nachricht von
der Konzessionierung der Bagdadbahn; aber schon zwei Jahre später bereitete
sich der Umschwung vor. England wußte ebensogut wie wir selber, daß
Deutschland der Hauptgegner seines Bestrebens sein mußte, eine Landverbindung
zwischen Ägypten und Indien herzustellen, schon um seiner Afrikapolitik willen
die Pläne Leopolds des Zweiten in gewissem Sinne wieder aufnehmen mußte.
Denn es war England genau so klar wie uns, daß, wenn Ägypten gegen
Bedrohungen von Vorderasien her gesichert war, dann im östlichen und zentralen
Asrika eine andere Macht außer der englischen sich überhaupt nicht mehr halten
konnte. Ohne ein englandfreies Vorderasien gab es und gibt es keine selb¬
ständige deutsche Afrikapolitik; England aber mußte fürchten, daß eine starke
Türkei dem alten Zuge Vorderastens nach Ägypten folgen werde und ein
starkes Deutschland in Zentralasrika den Bahnen Leopolds des Zweiten. Des¬
halb auch der leidenschaftliche Widerstand gegen die Pläne Kiderlen-Waechters.
Der große weltpolitische Gegensatz war gegeben; die Wege schieden sich. Und


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[0415] Leopold der Zweite als erster Vorkämpfer Mitteleuropas englische Koalition einzutreten. Die Gründe ihrer damaligen Haltung sind noch nicht ganz aufgeklärt; maßgebend mag dafür gewesen sein, daß Rußland und Frankreich nur zeitweilige Gegner Englands waren, aber nicht Gegner aus einem so starken dauernden Interessengegensatz heraus wie Mitteleuropa. Deutschland insbesondere, mit seinem wachsenden Außenhandel auf die enge Durchfahrt Dover—Calais angemiesen, mußte die damals schon sich regenden englischen Pläne der Herstellung einer lückenlosen Verbindung von Alexandrien nach Kalkutta als einen gegen sein Lebensinteresse gerichteten Schlag empfinden, während dem frei am Atlantischen Ozean liegenden Frankreich jener englische Plan Nebensache wurde, sobald es entsprechende Konzessionen erhielt. Man bedenke, welche Zeit damals war. Cecil Rhodes war in Berlin gewesen und hatte sür seine Bahn Kairo—Kapstadt Stimmung gemacht; diesem großen Plane hatte Frankreich bei Faschoda freie Bahn gegeben, als es sich für Deutschland und Mitteleuropa um genau dieselbe Sache handelte wie während des Buren- krieges, um den Versuch einer Isolierung Englands in Ägypten. Jeden der¬ artigen Versuch, das bewies Faschoda, sah England als Kriegsfall an; es war also zu erwarten, daß ein neuer deutsch-französisch-russischer Versuch ebenso aufgefaßt werden würde wie der französisch-belgische. Frankreich hatte 1893 bewiesen, daß ihm die Gefahr einer Verbindung Ägyptens mit Indien nicht Lebensfrage war; war da zu erwarten, es würde schon ein Jahr später für dieselbe Sache bereit sein, die äußersten Konsequenzen zu ziehen, eine Sache, die es viel weniger anging wie Mitteleuropa und Deutschland? Durch ein deutsch¬ russisch-französisches Vorgehen konnte die Vorderasien-Frage kaum im Sinne Leopolds des Zweiten gelöst werden; also blieb Deutschland während des Burenkrieges bei England und nutzte die günstige Lage zur Niederkämpfn««, englischer Widerstände gegen die Bagdadbahn aus. „Es gibt keine andere Macht, in deren Hände die Engländer das Unternehmen hätten lieber fallen sehen", kommentierte die „Times" am 30. November 1899 die Nachricht von der Konzessionierung der Bagdadbahn; aber schon zwei Jahre später bereitete sich der Umschwung vor. England wußte ebensogut wie wir selber, daß Deutschland der Hauptgegner seines Bestrebens sein mußte, eine Landverbindung zwischen Ägypten und Indien herzustellen, schon um seiner Afrikapolitik willen die Pläne Leopolds des Zweiten in gewissem Sinne wieder aufnehmen mußte. Denn es war England genau so klar wie uns, daß, wenn Ägypten gegen Bedrohungen von Vorderasien her gesichert war, dann im östlichen und zentralen Asrika eine andere Macht außer der englischen sich überhaupt nicht mehr halten konnte. Ohne ein englandfreies Vorderasien gab es und gibt es keine selb¬ ständige deutsche Afrikapolitik; England aber mußte fürchten, daß eine starke Türkei dem alten Zuge Vorderastens nach Ägypten folgen werde und ein starkes Deutschland in Zentralasrika den Bahnen Leopolds des Zweiten. Des¬ halb auch der leidenschaftliche Widerstand gegen die Pläne Kiderlen-Waechters. Der große weltpolitische Gegensatz war gegeben; die Wege schieden sich. Und 26*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/415>, abgerufen am 01.09.2024.