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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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Kriegerisches provhetentum

gewesen, Honig aus giftigen Blüten. Ab^r den Honig zu finden, dazu ge¬
hörte das leidenschaftliche Vollempfinden feuriger Herzen. Und das waren
die Propheten.

Es bleibt nur noch übrig, die Brücke zwischen dem Einst und dem Jetzt
zu schlagen, und die Linien zu ziehen zwischen altem und neuem Krieg. Da
müssen wir denn sagen: Es ist eine wahrhaft biblische Zeit, die Deutschland
heute erlebt. Glücklicher als das alte Israel braucht unser Vaterland heute
nicht nach Männern des Wortes zu suchen, da Männer der Tat ihm unver¬
gleichliche Heldentage bereiten. Wenn ein Volk sich sein eigenes Schicksal
schmiedet, mögen Propheten wohl schweigen.

Und dennoch ist es eine biblische, eine prophetische Zeit. Denn ein Prophet
ist doch mehr als ein Zukunftsträumer und zum Prophetentum gehört etwas,
was wir alle heute brauchen: das leidenschaftliche Erleben der Zeit, die über
uns braust, und die ewige Ruhe, die ein gottvertrauendes Herz erfüllt. Es ist
jenes selbe Gefühl, das ein Späterer in die steghaften Worte gekleidet hat:


Alle Völker haben mich umringt,
Im Namen Gottes: ich treibe sie zurück I
Umringt, ja eingeschlossen haben sie mich,
Im Namen Gottes: ich treibe sie zurück!
Sie haben mich umringt wie Hummeln,
Sie verlöschen wie ein Dornenfeuer,
Im Namen Gottes: ich treibe sie zurück I --
Die Rechte des Herrn ist hoch erhoben,
Die Rechte des Herrn verschafft den Sieg! --
Ich sterbe nicht, ich lebe
Und will erzählen die Taten des Herrn!

(Psalm 113)


Kriegerisches provhetentum

gewesen, Honig aus giftigen Blüten. Ab^r den Honig zu finden, dazu ge¬
hörte das leidenschaftliche Vollempfinden feuriger Herzen. Und das waren
die Propheten.

Es bleibt nur noch übrig, die Brücke zwischen dem Einst und dem Jetzt
zu schlagen, und die Linien zu ziehen zwischen altem und neuem Krieg. Da
müssen wir denn sagen: Es ist eine wahrhaft biblische Zeit, die Deutschland
heute erlebt. Glücklicher als das alte Israel braucht unser Vaterland heute
nicht nach Männern des Wortes zu suchen, da Männer der Tat ihm unver¬
gleichliche Heldentage bereiten. Wenn ein Volk sich sein eigenes Schicksal
schmiedet, mögen Propheten wohl schweigen.

Und dennoch ist es eine biblische, eine prophetische Zeit. Denn ein Prophet
ist doch mehr als ein Zukunftsträumer und zum Prophetentum gehört etwas,
was wir alle heute brauchen: das leidenschaftliche Erleben der Zeit, die über
uns braust, und die ewige Ruhe, die ein gottvertrauendes Herz erfüllt. Es ist
jenes selbe Gefühl, das ein Späterer in die steghaften Worte gekleidet hat:


Alle Völker haben mich umringt,
Im Namen Gottes: ich treibe sie zurück I
Umringt, ja eingeschlossen haben sie mich,
Im Namen Gottes: ich treibe sie zurück!
Sie haben mich umringt wie Hummeln,
Sie verlöschen wie ein Dornenfeuer,
Im Namen Gottes: ich treibe sie zurück I —
Die Rechte des Herrn ist hoch erhoben,
Die Rechte des Herrn verschafft den Sieg! —
Ich sterbe nicht, ich lebe
Und will erzählen die Taten des Herrn!

(Psalm 113)


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[0382] Kriegerisches provhetentum gewesen, Honig aus giftigen Blüten. Ab^r den Honig zu finden, dazu ge¬ hörte das leidenschaftliche Vollempfinden feuriger Herzen. Und das waren die Propheten. Es bleibt nur noch übrig, die Brücke zwischen dem Einst und dem Jetzt zu schlagen, und die Linien zu ziehen zwischen altem und neuem Krieg. Da müssen wir denn sagen: Es ist eine wahrhaft biblische Zeit, die Deutschland heute erlebt. Glücklicher als das alte Israel braucht unser Vaterland heute nicht nach Männern des Wortes zu suchen, da Männer der Tat ihm unver¬ gleichliche Heldentage bereiten. Wenn ein Volk sich sein eigenes Schicksal schmiedet, mögen Propheten wohl schweigen. Und dennoch ist es eine biblische, eine prophetische Zeit. Denn ein Prophet ist doch mehr als ein Zukunftsträumer und zum Prophetentum gehört etwas, was wir alle heute brauchen: das leidenschaftliche Erleben der Zeit, die über uns braust, und die ewige Ruhe, die ein gottvertrauendes Herz erfüllt. Es ist jenes selbe Gefühl, das ein Späterer in die steghaften Worte gekleidet hat: Alle Völker haben mich umringt, Im Namen Gottes: ich treibe sie zurück I Umringt, ja eingeschlossen haben sie mich, Im Namen Gottes: ich treibe sie zurück! Sie haben mich umringt wie Hummeln, Sie verlöschen wie ein Dornenfeuer, Im Namen Gottes: ich treibe sie zurück I — Die Rechte des Herrn ist hoch erhoben, Die Rechte des Herrn verschafft den Sieg! — Ich sterbe nicht, ich lebe Und will erzählen die Taten des Herrn! (Psalm 113)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/382>, abgerufen am 01.09.2024.