Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Kriegerisches prophetentum

Verkündets unter den Völkern
Und meldets und Pflanzt ein Panier auf!
MeldctS! Verhehlt nichts!
Sprecht: Babel ist erobert!

(Jeremia ö0, 2)

oder:


Verkündet in Ägypten und meldet in Migdol!
Ja, meldet in Migdol und Tahpanhes: usw.

(Ebenda 46, 14)

Diese Eingangsformel kehrt immer wieder.

Wenden wir uns nun dem Inhalte der Orakel zu, so ist es -- das liegt
schon im Wesen des Orakels -- zunächst der kommende Krieg, den die Pro"
pheten weissagen und mit dem sie ihr Volk warnen und schrecken. Das Be¬
zeichnende für diese erste Gruppe von Kriegsorakeln ist das dunkle Grauen,
das in ihnen waltet. Da wird kein Name genannt, es ist nicht dies oder
jenes Volk, das kommt, sondern "ein" Volk.


Ein Banner wird er Pflanzen für die Völker der Ferne,
und eines herbeilocken vom Rande der Erde.
Und siehe, eilends kommt es, unaufhaltsam heran.
Kein Müder, kein Strauchelnder ist darunter,
sie schlafen und schlummern nicht.
Nicht löst sich der Gurt ihrer Lenden,
nicht reißt ihm ein Schuhriemen.
Ihre Pfeile sind geschärft, und all ihre Bogen gespannt.
Die Hufe ihrer Rosse gleichen Kieseln und ihre Räder
sind wie Wirbelwind.
Ihr Gebrüll ist wie das Brüllen des Löwen,
sie brüllen wie Jungleuen:
Knurren und Packen den Raub und bergen ihn und keiner rettet.
Sie donnern heran wie MeereStosen.
Da blickt man zur Erde, und siehe, dichtes Dunkel, (Jesaja ö, 26--30) und das Licht verfinstert sich in Wolken. ^

Wehe ein Tosen vieler Völker, wie MeereStosen tosen sie,
und ein Brausen der Nationen, -- wie daS Brausen gewaltiger
Wasser brausen sie (Jesaja 17, 12) .

So sehen die Propheten den nahenden Sturm, und die dunkle Art, mit
der sie ihn künden, ist nur zu bezeichnend. Sie empfanden eben den kommenden
Krieg um so leidenschaftlicher, als in jenen Zeiten und Ländern das Kommen
länger dauerte als der Krieg selbst. Wenn der assyrische Großkönig von Ninive
auszog, um das unbotmäßige Israel zu bestrafen, brauchte er Monate, um die
syrische Wüste durchquerend ans Ziel zu gelangen. Die Kunde seines Kommens
aber flog ihm vorauf, nur ganz undeutlich, aber um so furchtbarer je un¬
gewisser sie war. Und dann kam er immer noch überraschender, als heute in
der Zeit des Funkspruchs je ein Feind hereinbrechen kann. Daher die dunkle,
fernher grollende Poesie, die diesen Kriegsdrohungen ihr Gepräge gibt.


Kriegerisches prophetentum

Verkündets unter den Völkern
Und meldets und Pflanzt ein Panier auf!
MeldctS! Verhehlt nichts!
Sprecht: Babel ist erobert!

(Jeremia ö0, 2)

oder:


Verkündet in Ägypten und meldet in Migdol!
Ja, meldet in Migdol und Tahpanhes: usw.

(Ebenda 46, 14)

Diese Eingangsformel kehrt immer wieder.

Wenden wir uns nun dem Inhalte der Orakel zu, so ist es — das liegt
schon im Wesen des Orakels — zunächst der kommende Krieg, den die Pro»
pheten weissagen und mit dem sie ihr Volk warnen und schrecken. Das Be¬
zeichnende für diese erste Gruppe von Kriegsorakeln ist das dunkle Grauen,
das in ihnen waltet. Da wird kein Name genannt, es ist nicht dies oder
jenes Volk, das kommt, sondern „ein" Volk.


Ein Banner wird er Pflanzen für die Völker der Ferne,
und eines herbeilocken vom Rande der Erde.
Und siehe, eilends kommt es, unaufhaltsam heran.
Kein Müder, kein Strauchelnder ist darunter,
sie schlafen und schlummern nicht.
Nicht löst sich der Gurt ihrer Lenden,
nicht reißt ihm ein Schuhriemen.
Ihre Pfeile sind geschärft, und all ihre Bogen gespannt.
Die Hufe ihrer Rosse gleichen Kieseln und ihre Räder
sind wie Wirbelwind.
Ihr Gebrüll ist wie das Brüllen des Löwen,
sie brüllen wie Jungleuen:
Knurren und Packen den Raub und bergen ihn und keiner rettet.
Sie donnern heran wie MeereStosen.
Da blickt man zur Erde, und siehe, dichtes Dunkel, (Jesaja ö, 26—30) und das Licht verfinstert sich in Wolken. ^

Wehe ein Tosen vieler Völker, wie MeereStosen tosen sie,
und ein Brausen der Nationen, — wie daS Brausen gewaltiger
Wasser brausen sie (Jesaja 17, 12) .

So sehen die Propheten den nahenden Sturm, und die dunkle Art, mit
der sie ihn künden, ist nur zu bezeichnend. Sie empfanden eben den kommenden
Krieg um so leidenschaftlicher, als in jenen Zeiten und Ländern das Kommen
länger dauerte als der Krieg selbst. Wenn der assyrische Großkönig von Ninive
auszog, um das unbotmäßige Israel zu bestrafen, brauchte er Monate, um die
syrische Wüste durchquerend ans Ziel zu gelangen. Die Kunde seines Kommens
aber flog ihm vorauf, nur ganz undeutlich, aber um so furchtbarer je un¬
gewisser sie war. Und dann kam er immer noch überraschender, als heute in
der Zeit des Funkspruchs je ein Feind hereinbrechen kann. Daher die dunkle,
fernher grollende Poesie, die diesen Kriegsdrohungen ihr Gepräge gibt.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0374" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/330474"/>
          <fw type="header" place="top"> Kriegerisches prophetentum</fw><lb/>
          <quote> Verkündets unter den Völkern<lb/>
Und meldets und Pflanzt ein Panier auf!<lb/>
MeldctS! Verhehlt nichts!<lb/>
Sprecht: Babel ist erobert!</quote><lb/>
          <note type="bibl"> (Jeremia ö0, 2)</note><lb/>
          <p xml:id="ID_1565"> oder:</p><lb/>
          <quote> Verkündet in Ägypten und meldet in Migdol!<lb/>
Ja, meldet in Migdol und Tahpanhes: usw.</quote><lb/>
          <note type="bibl"> (Ebenda 46, 14)</note><lb/>
          <p xml:id="ID_1566"> Diese Eingangsformel kehrt immer wieder.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1567"> Wenden wir uns nun dem Inhalte der Orakel zu, so ist es &#x2014; das liegt<lb/>
schon im Wesen des Orakels &#x2014; zunächst der kommende Krieg, den die Pro»<lb/>
pheten weissagen und mit dem sie ihr Volk warnen und schrecken. Das Be¬<lb/>
zeichnende für diese erste Gruppe von Kriegsorakeln ist das dunkle Grauen,<lb/>
das in ihnen waltet. Da wird kein Name genannt, es ist nicht dies oder<lb/>
jenes Volk, das kommt, sondern &#x201E;ein" Volk.</p><lb/>
          <quote> Ein Banner wird er Pflanzen für die Völker der Ferne,<lb/>
und eines herbeilocken vom Rande der Erde.<lb/>
Und siehe, eilends kommt es, unaufhaltsam heran.<lb/>
Kein Müder, kein Strauchelnder ist darunter,<lb/>
sie schlafen und schlummern nicht.<lb/>
Nicht löst sich der Gurt ihrer Lenden,<lb/>
nicht reißt ihm ein Schuhriemen.<lb/>
Ihre Pfeile sind geschärft, und all ihre Bogen gespannt.<lb/>
Die Hufe ihrer Rosse gleichen Kieseln und ihre Räder<lb/>
sind wie Wirbelwind.<lb/>
Ihr Gebrüll ist wie das Brüllen des Löwen,<lb/>
sie brüllen wie Jungleuen:<lb/>
Knurren und Packen den Raub und bergen ihn und keiner rettet.<lb/>
Sie donnern heran wie MeereStosen.<lb/>
Da blickt man zur Erde, und siehe, dichtes Dunkel,<bibl> (Jesaja ö, 26&#x2014;30)</bibl> und das Licht verfinstert sich in Wolken. ^ </quote><lb/>
          <quote> Wehe ein Tosen vieler Völker, wie MeereStosen tosen sie,<lb/>
und ein Brausen der Nationen, &#x2014; wie daS Brausen gewaltiger<lb/>
Wasser brausen sie<bibl> (Jesaja 17, 12)</bibl> .</quote><lb/>
          <p xml:id="ID_1568"> So sehen die Propheten den nahenden Sturm, und die dunkle Art, mit<lb/>
der sie ihn künden, ist nur zu bezeichnend. Sie empfanden eben den kommenden<lb/>
Krieg um so leidenschaftlicher, als in jenen Zeiten und Ländern das Kommen<lb/>
länger dauerte als der Krieg selbst. Wenn der assyrische Großkönig von Ninive<lb/>
auszog, um das unbotmäßige Israel zu bestrafen, brauchte er Monate, um die<lb/>
syrische Wüste durchquerend ans Ziel zu gelangen. Die Kunde seines Kommens<lb/>
aber flog ihm vorauf, nur ganz undeutlich, aber um so furchtbarer je un¬<lb/>
gewisser sie war. Und dann kam er immer noch überraschender, als heute in<lb/>
der Zeit des Funkspruchs je ein Feind hereinbrechen kann. Daher die dunkle,<lb/>
fernher grollende Poesie, die diesen Kriegsdrohungen ihr Gepräge gibt.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0374] Kriegerisches prophetentum Verkündets unter den Völkern Und meldets und Pflanzt ein Panier auf! MeldctS! Verhehlt nichts! Sprecht: Babel ist erobert! (Jeremia ö0, 2) oder: Verkündet in Ägypten und meldet in Migdol! Ja, meldet in Migdol und Tahpanhes: usw. (Ebenda 46, 14) Diese Eingangsformel kehrt immer wieder. Wenden wir uns nun dem Inhalte der Orakel zu, so ist es — das liegt schon im Wesen des Orakels — zunächst der kommende Krieg, den die Pro» pheten weissagen und mit dem sie ihr Volk warnen und schrecken. Das Be¬ zeichnende für diese erste Gruppe von Kriegsorakeln ist das dunkle Grauen, das in ihnen waltet. Da wird kein Name genannt, es ist nicht dies oder jenes Volk, das kommt, sondern „ein" Volk. Ein Banner wird er Pflanzen für die Völker der Ferne, und eines herbeilocken vom Rande der Erde. Und siehe, eilends kommt es, unaufhaltsam heran. Kein Müder, kein Strauchelnder ist darunter, sie schlafen und schlummern nicht. Nicht löst sich der Gurt ihrer Lenden, nicht reißt ihm ein Schuhriemen. Ihre Pfeile sind geschärft, und all ihre Bogen gespannt. Die Hufe ihrer Rosse gleichen Kieseln und ihre Räder sind wie Wirbelwind. Ihr Gebrüll ist wie das Brüllen des Löwen, sie brüllen wie Jungleuen: Knurren und Packen den Raub und bergen ihn und keiner rettet. Sie donnern heran wie MeereStosen. Da blickt man zur Erde, und siehe, dichtes Dunkel, (Jesaja ö, 26—30) und das Licht verfinstert sich in Wolken. ^ Wehe ein Tosen vieler Völker, wie MeereStosen tosen sie, und ein Brausen der Nationen, — wie daS Brausen gewaltiger Wasser brausen sie (Jesaja 17, 12) . So sehen die Propheten den nahenden Sturm, und die dunkle Art, mit der sie ihn künden, ist nur zu bezeichnend. Sie empfanden eben den kommenden Krieg um so leidenschaftlicher, als in jenen Zeiten und Ländern das Kommen länger dauerte als der Krieg selbst. Wenn der assyrische Großkönig von Ninive auszog, um das unbotmäßige Israel zu bestrafen, brauchte er Monate, um die syrische Wüste durchquerend ans Ziel zu gelangen. Die Kunde seines Kommens aber flog ihm vorauf, nur ganz undeutlich, aber um so furchtbarer je un¬ gewisser sie war. Und dann kam er immer noch überraschender, als heute in der Zeit des Funkspruchs je ein Feind hereinbrechen kann. Daher die dunkle, fernher grollende Poesie, die diesen Kriegsdrohungen ihr Gepräge gibt.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/374
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/374>, abgerufen am 28.07.2024.