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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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Liberale Sammlung

Naumann ist als ein Fremder und keineswegs als ein politisch un¬
beschriebenes Blatt ins liberale Lager gekommen. Er kam aus konservativer
Umgebung. Auf Stöckers Spuren war er vom theologischen Beruf aus ins
politische Leben gelangt, und er hatte seine ganze reiche christlich-soziale und national¬
soziale Vergangenheit hinter sich, als er sich nach dem Fehlschlag seiner eigenen
Parteigründung der damaligen Freisinnigen Vereinigung anschloß. Er brachte
dieser an sich nicht sehr bedeutenden Gruppe ein großes Programm. Aber es
war kein liberales Programm, sondern das Ziel eines nationalen, ja im¬
perialistischen Sozialtsmus, genau dasselbe, das Naumann vorher durch selb¬
ständige Parteibildung angestrebt hatte. "Demokratie und Kaisertum" ist ja
die Formel, mit der er immer besonders gern sein politisches Ideal um¬
schrieben hat. Für diese Formel hat er erst die Freisinnige Vereinigung und
nach der von ihm und seinen Anhängern besonders geförderten linksliberalen
Fusion die ganze nunmehrige Fortschrittliche Volkspartei gewonnen. Wo etwa
noch Widerspruch in der Partei lebendig war, dürfte er unter dem Einfluß
des Krieges stark abgenommen haben. Dafür spricht die ganze Atmosphäre
der Zeit. Denn unsere wirtschaftliche Kriegsorganisation enthält ein gut
Stück Geist vom Geiste jenes imperialistischen Sozialismus, und unser sieg¬
reiches Heer ist ein ungeheurer demokratischer Apparat mit monarchischer
Spitze. Die Formel "Demokratie und Kaisertum" wird vielen glänzend be¬
währt erscheinen, und schon hat es Naumann verstanden, mit dem Schlagwort
"Mitteleuropa" ein über die Grenzen des Nationalstaates hinausweisendes
einleuchtendes Kriegsziel anzugeben, das der politischen Friedensarbeit einen
vergrößerten Raum zuweist und geeignet ist, manche Gegensätze mehr national
und mehr international gerichteter sozialistischer Gedanken auf einer mittleren
Linie auszugleichen. Es ist kaum ein Zweifel, daß die Partei, die Naumann
zu den Ihren zählt, nach den Erfahrungen der Kriegsperiode noch weit williger
seinem Geiste folgen wird als vorher.

Aber es ist ebensowenig zweifelhaft, daß die Fortschrittliche Volkspartei,
je mächtiger Naumanns Gedanken in ihr werden, desto mehr auch aufhört,
noch auf liberalem Boden zu stehen. Denn wenn man nicht überhaupt jeden
bestimmten Inhalt des Begriffs "Liberal" aufgeben will, dann ist es ganz
sicher, daß Naumanns nationaldemokratischer Sozialismus kein Liberalismus
ist. Er hat ja selbst, als er noch unbefangen war, für die Seinen die Partei¬
bezeichnung "Nationalsozial" gewählt, also ein Wort, dem der Begriff "Liberal"
fernliegt. Daß Liberalismus das gerade Gegenteil zu allem Sozialismus sei,
haben ganz besonders die Vorfahren unserer heutigen Fortschrittler fester ge¬
glaubt als irgend jemand. Und auch der wissenschaftliche Betrachter wird
niemals Klarheit in den Wirrwarr der deutschen Parteigeschichte hineinbringen,
wenn er nicht eine scharfe Scheidung zwischen dem liberalen und dem demo¬
kratischen Ideal vornimmt. Denn er weiß, daß die alten Liberalen der vor¬
märzlichen und der Reichsgründungszeit bet aller Opposition gegen die Herr-


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Liberale Sammlung

Naumann ist als ein Fremder und keineswegs als ein politisch un¬
beschriebenes Blatt ins liberale Lager gekommen. Er kam aus konservativer
Umgebung. Auf Stöckers Spuren war er vom theologischen Beruf aus ins
politische Leben gelangt, und er hatte seine ganze reiche christlich-soziale und national¬
soziale Vergangenheit hinter sich, als er sich nach dem Fehlschlag seiner eigenen
Parteigründung der damaligen Freisinnigen Vereinigung anschloß. Er brachte
dieser an sich nicht sehr bedeutenden Gruppe ein großes Programm. Aber es
war kein liberales Programm, sondern das Ziel eines nationalen, ja im¬
perialistischen Sozialtsmus, genau dasselbe, das Naumann vorher durch selb¬
ständige Parteibildung angestrebt hatte. „Demokratie und Kaisertum" ist ja
die Formel, mit der er immer besonders gern sein politisches Ideal um¬
schrieben hat. Für diese Formel hat er erst die Freisinnige Vereinigung und
nach der von ihm und seinen Anhängern besonders geförderten linksliberalen
Fusion die ganze nunmehrige Fortschrittliche Volkspartei gewonnen. Wo etwa
noch Widerspruch in der Partei lebendig war, dürfte er unter dem Einfluß
des Krieges stark abgenommen haben. Dafür spricht die ganze Atmosphäre
der Zeit. Denn unsere wirtschaftliche Kriegsorganisation enthält ein gut
Stück Geist vom Geiste jenes imperialistischen Sozialismus, und unser sieg¬
reiches Heer ist ein ungeheurer demokratischer Apparat mit monarchischer
Spitze. Die Formel „Demokratie und Kaisertum" wird vielen glänzend be¬
währt erscheinen, und schon hat es Naumann verstanden, mit dem Schlagwort
„Mitteleuropa" ein über die Grenzen des Nationalstaates hinausweisendes
einleuchtendes Kriegsziel anzugeben, das der politischen Friedensarbeit einen
vergrößerten Raum zuweist und geeignet ist, manche Gegensätze mehr national
und mehr international gerichteter sozialistischer Gedanken auf einer mittleren
Linie auszugleichen. Es ist kaum ein Zweifel, daß die Partei, die Naumann
zu den Ihren zählt, nach den Erfahrungen der Kriegsperiode noch weit williger
seinem Geiste folgen wird als vorher.

Aber es ist ebensowenig zweifelhaft, daß die Fortschrittliche Volkspartei,
je mächtiger Naumanns Gedanken in ihr werden, desto mehr auch aufhört,
noch auf liberalem Boden zu stehen. Denn wenn man nicht überhaupt jeden
bestimmten Inhalt des Begriffs „Liberal" aufgeben will, dann ist es ganz
sicher, daß Naumanns nationaldemokratischer Sozialismus kein Liberalismus
ist. Er hat ja selbst, als er noch unbefangen war, für die Seinen die Partei¬
bezeichnung „Nationalsozial" gewählt, also ein Wort, dem der Begriff „Liberal"
fernliegt. Daß Liberalismus das gerade Gegenteil zu allem Sozialismus sei,
haben ganz besonders die Vorfahren unserer heutigen Fortschrittler fester ge¬
glaubt als irgend jemand. Und auch der wissenschaftliche Betrachter wird
niemals Klarheit in den Wirrwarr der deutschen Parteigeschichte hineinbringen,
wenn er nicht eine scharfe Scheidung zwischen dem liberalen und dem demo¬
kratischen Ideal vornimmt. Denn er weiß, daß die alten Liberalen der vor¬
märzlichen und der Reichsgründungszeit bet aller Opposition gegen die Herr-


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[0367] Liberale Sammlung Naumann ist als ein Fremder und keineswegs als ein politisch un¬ beschriebenes Blatt ins liberale Lager gekommen. Er kam aus konservativer Umgebung. Auf Stöckers Spuren war er vom theologischen Beruf aus ins politische Leben gelangt, und er hatte seine ganze reiche christlich-soziale und national¬ soziale Vergangenheit hinter sich, als er sich nach dem Fehlschlag seiner eigenen Parteigründung der damaligen Freisinnigen Vereinigung anschloß. Er brachte dieser an sich nicht sehr bedeutenden Gruppe ein großes Programm. Aber es war kein liberales Programm, sondern das Ziel eines nationalen, ja im¬ perialistischen Sozialtsmus, genau dasselbe, das Naumann vorher durch selb¬ ständige Parteibildung angestrebt hatte. „Demokratie und Kaisertum" ist ja die Formel, mit der er immer besonders gern sein politisches Ideal um¬ schrieben hat. Für diese Formel hat er erst die Freisinnige Vereinigung und nach der von ihm und seinen Anhängern besonders geförderten linksliberalen Fusion die ganze nunmehrige Fortschrittliche Volkspartei gewonnen. Wo etwa noch Widerspruch in der Partei lebendig war, dürfte er unter dem Einfluß des Krieges stark abgenommen haben. Dafür spricht die ganze Atmosphäre der Zeit. Denn unsere wirtschaftliche Kriegsorganisation enthält ein gut Stück Geist vom Geiste jenes imperialistischen Sozialismus, und unser sieg¬ reiches Heer ist ein ungeheurer demokratischer Apparat mit monarchischer Spitze. Die Formel „Demokratie und Kaisertum" wird vielen glänzend be¬ währt erscheinen, und schon hat es Naumann verstanden, mit dem Schlagwort „Mitteleuropa" ein über die Grenzen des Nationalstaates hinausweisendes einleuchtendes Kriegsziel anzugeben, das der politischen Friedensarbeit einen vergrößerten Raum zuweist und geeignet ist, manche Gegensätze mehr national und mehr international gerichteter sozialistischer Gedanken auf einer mittleren Linie auszugleichen. Es ist kaum ein Zweifel, daß die Partei, die Naumann zu den Ihren zählt, nach den Erfahrungen der Kriegsperiode noch weit williger seinem Geiste folgen wird als vorher. Aber es ist ebensowenig zweifelhaft, daß die Fortschrittliche Volkspartei, je mächtiger Naumanns Gedanken in ihr werden, desto mehr auch aufhört, noch auf liberalem Boden zu stehen. Denn wenn man nicht überhaupt jeden bestimmten Inhalt des Begriffs „Liberal" aufgeben will, dann ist es ganz sicher, daß Naumanns nationaldemokratischer Sozialismus kein Liberalismus ist. Er hat ja selbst, als er noch unbefangen war, für die Seinen die Partei¬ bezeichnung „Nationalsozial" gewählt, also ein Wort, dem der Begriff „Liberal" fernliegt. Daß Liberalismus das gerade Gegenteil zu allem Sozialismus sei, haben ganz besonders die Vorfahren unserer heutigen Fortschrittler fester ge¬ glaubt als irgend jemand. Und auch der wissenschaftliche Betrachter wird niemals Klarheit in den Wirrwarr der deutschen Parteigeschichte hineinbringen, wenn er nicht eine scharfe Scheidung zwischen dem liberalen und dem demo¬ kratischen Ideal vornimmt. Denn er weiß, daß die alten Liberalen der vor¬ märzlichen und der Reichsgründungszeit bet aller Opposition gegen die Herr- 23»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/367>, abgerufen am 28.07.2024.