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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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Rußlands Nachbarn

Es gilt hier die Formel, die die Königin der Niederlande ihrem auswärtigen
Minister unter ihr Bildnis geschrieben hat: nunc aut nunquam. Diejenigen,
die in Schweden die Wahrheit dieses Satzes nicht verstehen, müssen sich später
mit Mark Twain trösten, der einmal als Regel für ein gutes Leben die
Formel aufgestellt hat: "verschiebe nie auf morgen, was du auf übermorgen
verschieben kannst". In der Tat, man kann auch bequem nach diesem Rezept
leben, aber Schweden wird niemals wieder ein solches Heute vorfinden, wie es
jetzt da ist. Die Hoffnung auf ein Morgen und ein Übermorgen ist nur
eine Chimäre. Und das ist keine deutsche Meinung, sondern eine schwedische.
General Rappe läßt sich über diesen Punkt folgendermaßen aus:


"Diplomatische Versprechungen bezüglich der Schleifung der Befesti¬
gungen bei einem künstigen Friedensschluß sind keine genügende Garantie.
Unter der für uns kritischsten Periode des Krieges sind die Befestigungen
vorhanden und werden zweifellos zu dem beabsichtigten Zweck angewandt
werden. Nur durch die unmittelbare Neutralisierung der Inselgruppen
erhalten wir die militärische Bewegungsfreiheit wieder, die die Grund¬
bedingung für die Aufrechterhaltung einer wirklichen Neutralität Schwedens
sowohl, als für den Weiterbestand des Reiches ausmachen.

Die Mittel, unsere Lebenskraft geltend zu machen, besitzen wir noch,
solange Rußland und England -- die Ursachen mögen sein, welcher Art
sie wollen, -- noch nicht ganz bereit zu sein scheinen, ihre wahrscheinlichen
Absichten auszuführen. Es handelt sich darum, diese Mittel zur rechten
Zeit und auf die rechte Weise anzuwenden. Aber die Zeit, die
uns noch zur Verfügung steht, ist recht kurz bemessen."


Und an einer anderen Stelle bezeichnet es Rappe als unbestreitbare Wahr¬
heit, "daß das schwedische Volk in diesem Augenblicke sein Schicksal
selbst bestimmen muß, wenn es überhaupt von der Zukunft noch
etwas erwartet".

Die nahe Zukunft wird uns zeigen, ob die Stimmen schwedischer Patrioten
wie die von Rappe und Steffen Gehör finden werden, oder ob die Wahr-
nehmung augenblicklicher günstiger Handelskonjunkturen oder die Hoffnung auf
Eintauschung künftiger problematischer Handelsmöglichkeiten nach Rußland hin,
die von manchem sachkundigen Schweden geleugnet werden, die großen
politischen Lebensfragen des Schwedischen Staates, wie ein großes wucherndes
Schlinggewächs einen aufstrebenden Baum, zu Boden ziehen und im Sumpfe
ersticken lassen werden.

Ähnlich liegt es mit dem anderen Lande, das Rußland im Süden
flankiert, mit Rumänien. Dort haben die politischen Vorstellungen lange a"
Unklarheiten gelitten. Ein Teil des Landes schaute nach Siebenbürgen, und
das Hinblicken einer anderen Gruppe auf Bessarabien konnte das laute Treiben
der ungarnfeindlichen Politiker kaum zur Ruhe bringen. Die offizielle Politik des
Staates hat sich von den Schreiern auf der Gasse nie ganz beirren lasse".


ZI*
Rußlands Nachbarn

Es gilt hier die Formel, die die Königin der Niederlande ihrem auswärtigen
Minister unter ihr Bildnis geschrieben hat: nunc aut nunquam. Diejenigen,
die in Schweden die Wahrheit dieses Satzes nicht verstehen, müssen sich später
mit Mark Twain trösten, der einmal als Regel für ein gutes Leben die
Formel aufgestellt hat: „verschiebe nie auf morgen, was du auf übermorgen
verschieben kannst". In der Tat, man kann auch bequem nach diesem Rezept
leben, aber Schweden wird niemals wieder ein solches Heute vorfinden, wie es
jetzt da ist. Die Hoffnung auf ein Morgen und ein Übermorgen ist nur
eine Chimäre. Und das ist keine deutsche Meinung, sondern eine schwedische.
General Rappe läßt sich über diesen Punkt folgendermaßen aus:


„Diplomatische Versprechungen bezüglich der Schleifung der Befesti¬
gungen bei einem künstigen Friedensschluß sind keine genügende Garantie.
Unter der für uns kritischsten Periode des Krieges sind die Befestigungen
vorhanden und werden zweifellos zu dem beabsichtigten Zweck angewandt
werden. Nur durch die unmittelbare Neutralisierung der Inselgruppen
erhalten wir die militärische Bewegungsfreiheit wieder, die die Grund¬
bedingung für die Aufrechterhaltung einer wirklichen Neutralität Schwedens
sowohl, als für den Weiterbestand des Reiches ausmachen.

Die Mittel, unsere Lebenskraft geltend zu machen, besitzen wir noch,
solange Rußland und England — die Ursachen mögen sein, welcher Art
sie wollen, — noch nicht ganz bereit zu sein scheinen, ihre wahrscheinlichen
Absichten auszuführen. Es handelt sich darum, diese Mittel zur rechten
Zeit und auf die rechte Weise anzuwenden. Aber die Zeit, die
uns noch zur Verfügung steht, ist recht kurz bemessen."


Und an einer anderen Stelle bezeichnet es Rappe als unbestreitbare Wahr¬
heit, „daß das schwedische Volk in diesem Augenblicke sein Schicksal
selbst bestimmen muß, wenn es überhaupt von der Zukunft noch
etwas erwartet".

Die nahe Zukunft wird uns zeigen, ob die Stimmen schwedischer Patrioten
wie die von Rappe und Steffen Gehör finden werden, oder ob die Wahr-
nehmung augenblicklicher günstiger Handelskonjunkturen oder die Hoffnung auf
Eintauschung künftiger problematischer Handelsmöglichkeiten nach Rußland hin,
die von manchem sachkundigen Schweden geleugnet werden, die großen
politischen Lebensfragen des Schwedischen Staates, wie ein großes wucherndes
Schlinggewächs einen aufstrebenden Baum, zu Boden ziehen und im Sumpfe
ersticken lassen werden.

Ähnlich liegt es mit dem anderen Lande, das Rußland im Süden
flankiert, mit Rumänien. Dort haben die politischen Vorstellungen lange a«
Unklarheiten gelitten. Ein Teil des Landes schaute nach Siebenbürgen, und
das Hinblicken einer anderen Gruppe auf Bessarabien konnte das laute Treiben
der ungarnfeindlichen Politiker kaum zur Ruhe bringen. Die offizielle Politik des
Staates hat sich von den Schreiern auf der Gasse nie ganz beirren lasse«.


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[0335] Rußlands Nachbarn Es gilt hier die Formel, die die Königin der Niederlande ihrem auswärtigen Minister unter ihr Bildnis geschrieben hat: nunc aut nunquam. Diejenigen, die in Schweden die Wahrheit dieses Satzes nicht verstehen, müssen sich später mit Mark Twain trösten, der einmal als Regel für ein gutes Leben die Formel aufgestellt hat: „verschiebe nie auf morgen, was du auf übermorgen verschieben kannst". In der Tat, man kann auch bequem nach diesem Rezept leben, aber Schweden wird niemals wieder ein solches Heute vorfinden, wie es jetzt da ist. Die Hoffnung auf ein Morgen und ein Übermorgen ist nur eine Chimäre. Und das ist keine deutsche Meinung, sondern eine schwedische. General Rappe läßt sich über diesen Punkt folgendermaßen aus: „Diplomatische Versprechungen bezüglich der Schleifung der Befesti¬ gungen bei einem künstigen Friedensschluß sind keine genügende Garantie. Unter der für uns kritischsten Periode des Krieges sind die Befestigungen vorhanden und werden zweifellos zu dem beabsichtigten Zweck angewandt werden. Nur durch die unmittelbare Neutralisierung der Inselgruppen erhalten wir die militärische Bewegungsfreiheit wieder, die die Grund¬ bedingung für die Aufrechterhaltung einer wirklichen Neutralität Schwedens sowohl, als für den Weiterbestand des Reiches ausmachen. Die Mittel, unsere Lebenskraft geltend zu machen, besitzen wir noch, solange Rußland und England — die Ursachen mögen sein, welcher Art sie wollen, — noch nicht ganz bereit zu sein scheinen, ihre wahrscheinlichen Absichten auszuführen. Es handelt sich darum, diese Mittel zur rechten Zeit und auf die rechte Weise anzuwenden. Aber die Zeit, die uns noch zur Verfügung steht, ist recht kurz bemessen." Und an einer anderen Stelle bezeichnet es Rappe als unbestreitbare Wahr¬ heit, „daß das schwedische Volk in diesem Augenblicke sein Schicksal selbst bestimmen muß, wenn es überhaupt von der Zukunft noch etwas erwartet". Die nahe Zukunft wird uns zeigen, ob die Stimmen schwedischer Patrioten wie die von Rappe und Steffen Gehör finden werden, oder ob die Wahr- nehmung augenblicklicher günstiger Handelskonjunkturen oder die Hoffnung auf Eintauschung künftiger problematischer Handelsmöglichkeiten nach Rußland hin, die von manchem sachkundigen Schweden geleugnet werden, die großen politischen Lebensfragen des Schwedischen Staates, wie ein großes wucherndes Schlinggewächs einen aufstrebenden Baum, zu Boden ziehen und im Sumpfe ersticken lassen werden. Ähnlich liegt es mit dem anderen Lande, das Rußland im Süden flankiert, mit Rumänien. Dort haben die politischen Vorstellungen lange a« Unklarheiten gelitten. Ein Teil des Landes schaute nach Siebenbürgen, und das Hinblicken einer anderen Gruppe auf Bessarabien konnte das laute Treiben der ungarnfeindlichen Politiker kaum zur Ruhe bringen. Die offizielle Politik des Staates hat sich von den Schreiern auf der Gasse nie ganz beirren lasse«. ZI*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/335>, abgerufen am 28.07.2024.