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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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Rußlands Nachbarn

hofft, daß irgend ein äußeres Ereignis auf dem Kriegstheater eintreten
wird, das Schweden gewissermaßen die reife Frucht von selbst wird in den
Schoß fallen lassen -- oder daß Rußland sich vielleicht sogar freiwillig zu
einem Verkaufe der Alandinfeln verstehen wird. Aber das find unklare Träume
von Politikern, die keine Realpolitiker sind.

Fest steht bei dem gegenwärtigen Verhältnis Rußlands zu Schweden
lediglich Folgendes:

Nußland hat seine internationalen Versprechungen, die es zur Nicht-
befestigung der Alandinseln verpflichteten, verletzt. Dabei macht es für die
Wirkung auf Schweden wenig aus, daß Schweden kein aktiver Partner an den
Vereinbarungen von 1856 gewesen ist.

Denn die Befestigung der Alandinseln, die einige Meilen von Stockholm,
Schwedens Hauptstadt, entfernt liegen, ist für Schweden eine außerordentlich
wichtige Angelegenheit. Rußland hat sich damit zur Beherrscherin des Schlüssels
des schwedischen Meeres -- des Bodenlöcher Busens -- gemacht. Die Be¬
festigung ist um so bedenklicher, als die Festungsanlagen der schwedischen Küste
ihr Gesicht zuwenden. Nußland und England müssen, wie General Axel Rappe
in seiner bemerkenswerten Schrift ausgeführt hat, sich für eine kommende
Zeit die Brücke offen halten, die später den Verbindungsweg von England nach
Rußland über Schweden zu bilden berufen ist. Die dauernde Befestigung von
Aland kann nach Rappe nur den Sinn haben, "als Stützpunkt für Offensiv¬
unternehmungen" gegen Schweden für den Fall zu dienen, daß Schweden sich
einmal den Forderungen der Entente, die eines Tages unfehlbar werden
präsentiert werden, nicht willig fügen wird. Wird die Norrlandbahn durch einen
englisch-russischen Vorstoß von den Alandinseln her abgeschnitten, "so können", wie
Rappe feststellt, "russische Landungstruppen nördlich der Unterbrechungsstelle den
in einem norwegischen Hafen gekanteten englischen Streitkräften die Hand reichen.
Das ist es eben, was England und Nußland wollen. Und "es handelt sich nicht
nur um das mittlere und obere Norrland, sondern auch um das südliche und
damit um das Herz des schwedischen Reiches".

So ist wohl die Sorge schwedischer Patrioten begreiflich. Denn Rußland
hat seinen festen Willen kundgegeben, während der Dauer des Krieges auf
Schwedens Wünsche keinerlei Rücksicht zu nehmen. Alles bleibt also wie
es ist.

Das einzige, was somit durch Verhandlungen wird erreicht werden
können, ist ein Versprechen Rußlands, den vertragsmäßigen Zustand nach dem
Kriege wieder herzustellen. Wird es, selbst wenn Rußland geschlagen ist --
ohne daß Schweden aus eigener Kraft die Vertragsverletzung wieder rück¬
gängig gemacht hat, wird es nach einem Frieden, an dem Schweden kein
Partner sein wird, für Schweden allein möglich sein, dem großen Rußland
gegenüber seine Wünsche mit Nachdruck zur Geltung zu bringen? Man wird
diese Frage ohne weiteres mit einem kategorischen Nein beantworten müssen.


Rußlands Nachbarn

hofft, daß irgend ein äußeres Ereignis auf dem Kriegstheater eintreten
wird, das Schweden gewissermaßen die reife Frucht von selbst wird in den
Schoß fallen lassen — oder daß Rußland sich vielleicht sogar freiwillig zu
einem Verkaufe der Alandinfeln verstehen wird. Aber das find unklare Träume
von Politikern, die keine Realpolitiker sind.

Fest steht bei dem gegenwärtigen Verhältnis Rußlands zu Schweden
lediglich Folgendes:

Nußland hat seine internationalen Versprechungen, die es zur Nicht-
befestigung der Alandinseln verpflichteten, verletzt. Dabei macht es für die
Wirkung auf Schweden wenig aus, daß Schweden kein aktiver Partner an den
Vereinbarungen von 1856 gewesen ist.

Denn die Befestigung der Alandinseln, die einige Meilen von Stockholm,
Schwedens Hauptstadt, entfernt liegen, ist für Schweden eine außerordentlich
wichtige Angelegenheit. Rußland hat sich damit zur Beherrscherin des Schlüssels
des schwedischen Meeres — des Bodenlöcher Busens — gemacht. Die Be¬
festigung ist um so bedenklicher, als die Festungsanlagen der schwedischen Küste
ihr Gesicht zuwenden. Nußland und England müssen, wie General Axel Rappe
in seiner bemerkenswerten Schrift ausgeführt hat, sich für eine kommende
Zeit die Brücke offen halten, die später den Verbindungsweg von England nach
Rußland über Schweden zu bilden berufen ist. Die dauernde Befestigung von
Aland kann nach Rappe nur den Sinn haben, „als Stützpunkt für Offensiv¬
unternehmungen" gegen Schweden für den Fall zu dienen, daß Schweden sich
einmal den Forderungen der Entente, die eines Tages unfehlbar werden
präsentiert werden, nicht willig fügen wird. Wird die Norrlandbahn durch einen
englisch-russischen Vorstoß von den Alandinseln her abgeschnitten, „so können", wie
Rappe feststellt, „russische Landungstruppen nördlich der Unterbrechungsstelle den
in einem norwegischen Hafen gekanteten englischen Streitkräften die Hand reichen.
Das ist es eben, was England und Nußland wollen. Und „es handelt sich nicht
nur um das mittlere und obere Norrland, sondern auch um das südliche und
damit um das Herz des schwedischen Reiches".

So ist wohl die Sorge schwedischer Patrioten begreiflich. Denn Rußland
hat seinen festen Willen kundgegeben, während der Dauer des Krieges auf
Schwedens Wünsche keinerlei Rücksicht zu nehmen. Alles bleibt also wie
es ist.

Das einzige, was somit durch Verhandlungen wird erreicht werden
können, ist ein Versprechen Rußlands, den vertragsmäßigen Zustand nach dem
Kriege wieder herzustellen. Wird es, selbst wenn Rußland geschlagen ist —
ohne daß Schweden aus eigener Kraft die Vertragsverletzung wieder rück¬
gängig gemacht hat, wird es nach einem Frieden, an dem Schweden kein
Partner sein wird, für Schweden allein möglich sein, dem großen Rußland
gegenüber seine Wünsche mit Nachdruck zur Geltung zu bringen? Man wird
diese Frage ohne weiteres mit einem kategorischen Nein beantworten müssen.


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[0334] Rußlands Nachbarn hofft, daß irgend ein äußeres Ereignis auf dem Kriegstheater eintreten wird, das Schweden gewissermaßen die reife Frucht von selbst wird in den Schoß fallen lassen — oder daß Rußland sich vielleicht sogar freiwillig zu einem Verkaufe der Alandinfeln verstehen wird. Aber das find unklare Träume von Politikern, die keine Realpolitiker sind. Fest steht bei dem gegenwärtigen Verhältnis Rußlands zu Schweden lediglich Folgendes: Nußland hat seine internationalen Versprechungen, die es zur Nicht- befestigung der Alandinseln verpflichteten, verletzt. Dabei macht es für die Wirkung auf Schweden wenig aus, daß Schweden kein aktiver Partner an den Vereinbarungen von 1856 gewesen ist. Denn die Befestigung der Alandinseln, die einige Meilen von Stockholm, Schwedens Hauptstadt, entfernt liegen, ist für Schweden eine außerordentlich wichtige Angelegenheit. Rußland hat sich damit zur Beherrscherin des Schlüssels des schwedischen Meeres — des Bodenlöcher Busens — gemacht. Die Be¬ festigung ist um so bedenklicher, als die Festungsanlagen der schwedischen Küste ihr Gesicht zuwenden. Nußland und England müssen, wie General Axel Rappe in seiner bemerkenswerten Schrift ausgeführt hat, sich für eine kommende Zeit die Brücke offen halten, die später den Verbindungsweg von England nach Rußland über Schweden zu bilden berufen ist. Die dauernde Befestigung von Aland kann nach Rappe nur den Sinn haben, „als Stützpunkt für Offensiv¬ unternehmungen" gegen Schweden für den Fall zu dienen, daß Schweden sich einmal den Forderungen der Entente, die eines Tages unfehlbar werden präsentiert werden, nicht willig fügen wird. Wird die Norrlandbahn durch einen englisch-russischen Vorstoß von den Alandinseln her abgeschnitten, „so können", wie Rappe feststellt, „russische Landungstruppen nördlich der Unterbrechungsstelle den in einem norwegischen Hafen gekanteten englischen Streitkräften die Hand reichen. Das ist es eben, was England und Nußland wollen. Und „es handelt sich nicht nur um das mittlere und obere Norrland, sondern auch um das südliche und damit um das Herz des schwedischen Reiches". So ist wohl die Sorge schwedischer Patrioten begreiflich. Denn Rußland hat seinen festen Willen kundgegeben, während der Dauer des Krieges auf Schwedens Wünsche keinerlei Rücksicht zu nehmen. Alles bleibt also wie es ist. Das einzige, was somit durch Verhandlungen wird erreicht werden können, ist ein Versprechen Rußlands, den vertragsmäßigen Zustand nach dem Kriege wieder herzustellen. Wird es, selbst wenn Rußland geschlagen ist — ohne daß Schweden aus eigener Kraft die Vertragsverletzung wieder rück¬ gängig gemacht hat, wird es nach einem Frieden, an dem Schweden kein Partner sein wird, für Schweden allein möglich sein, dem großen Rußland gegenüber seine Wünsche mit Nachdruck zur Geltung zu bringen? Man wird diese Frage ohne weiteres mit einem kategorischen Nein beantworten müssen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/334>, abgerufen am 28.07.2024.