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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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Zurückeroberung von Dorpat aufgegeben, das Land weiterem feindlichen Ein¬
brüche preisgegeben. Dieser erfolgt mit großer Macht im Jahre 1559. Die
Russen belagern, wenngleich erfolglos, Riga und dringen in Kurland ein. Nach
einem Waffenstillstand im Laufe des Jahres 1559 wiederholt sich der russische
Einfall. Der tapfere Landmarschall des Ordens, Phillipp Schall von Bell, der
sich mit dem von Kettler herbeigerufenen polnischen Feldherrn Hieronymus
Chodkiewicz vereinigen soll, läßt sich bei Ermes 1560 mit nur 500 Reitern
und gleicher Anzahl Fußvolk auf eine Schlacht ein. Zunächst scheint das
Häuflein zu siegen, wird aber trotz größter Tapferkeit so völlig überwältigt,
daß kaum 5 Mann entkommen sein sollen. Es war die letzte, nicht unrühm¬
liche Entfaltung der Ordensfahne. Bald darauf kapituliert Fellin, der stärkste,
von Fürstenberg befehligte Platz Nord-Livlands; die Kriegsknechte, für deren
Löhnung Kettler nicht gesorgt hat, übergeben die Stadt dem Feinde. Nur
gegen Reval sind die feindlichen Angriffe ohne Erfolg.

Es war längst deutlich, daß das Land sich nicht aus eigener Macht ver¬
teidigen, sondern sich nach auswärtigem Schutz umsehen mußte. Von der
zunächst verpflichteten Stelle, dem Deutschen Reiche, war er nicht zu erwarten;
nicht einmal die versprochene Geldunterstützung von 100000 Gulden ist auf¬
gebracht worden. Es bleiben nur Dänemark, Schweden und Polen als Retter
möglich. Von diesen Staaten erscheint Fürstenberg Dänemark am geeignetsten,
weil diese Macht bei ihrer Entfernung und geringen Bevölkerung kaum eine
Gefahr für das Land werden konnte. Kettler dagegen war Anhänger eines
Anschlusses an Polen. Die Pläne Kettlers gelangen zur Durchführung, da
dieser 1559 endgültig über Fürstenberg gesiegt hatte und Meister geworden war.
Man einigt sich dahin, daß Kettler Polen für tatkräftige Hilfe gegen Moskau
die Unterwerfung des Landes in derselben Weise wie Preußen anbieten solle.
Es kommt in Wilna zwischen Kettler und König Sigismund August ein Vertrag
zustande, durch den der Orden unter gleichzeitiger Verpfändung einer Anzahl
Schlösser sich dem Könige, wenn er ihn gegen Moskau verteidigt, zu Schutz und
Schirm gibt. Einen ähnlichen Vertrag schließt der Erzbischof. Polen zögert
mit der Hilfe zu beginnen. Es erweckt den Anschein, daß Kettler und der
König, um das Land, mit dessen Widerstand man rechnen mußte, mürbe zu
machen, übereingekommen waren, zunächst keine Hilfe zu leisten, die Not zu
steigern und das Land zum Anschluß an Polen um jeden Preis zu bringen.
Inzwischen unterwerfen sich andere Teile des Landes Dänemark und Schweden:
die Bistümer Ösel und Kurland gehen durch Vereinbarung mit dem Bischof
auf den dänischen Prinzen Magnus, eine unfähige Persönlichkeit mit weit¬
gehenden Ansprüchen, über. In Reval erscheint im März 1561 der Schwede
Klas Horn. Ohne Truppen und mit geringen Mitteln gelingt es ihm, fremde
Truppen zu sich herüberzuziehen und die Stände eines großen Teiles von Estland
und die Stadt Reval zur Huldigung für Schweden zu bringen. Nunmehr
entschießt sich auch Polen-Litauen zu einem rascheren Vorgehen. Ein pslnisch-


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Zurückeroberung von Dorpat aufgegeben, das Land weiterem feindlichen Ein¬
brüche preisgegeben. Dieser erfolgt mit großer Macht im Jahre 1559. Die
Russen belagern, wenngleich erfolglos, Riga und dringen in Kurland ein. Nach
einem Waffenstillstand im Laufe des Jahres 1559 wiederholt sich der russische
Einfall. Der tapfere Landmarschall des Ordens, Phillipp Schall von Bell, der
sich mit dem von Kettler herbeigerufenen polnischen Feldherrn Hieronymus
Chodkiewicz vereinigen soll, läßt sich bei Ermes 1560 mit nur 500 Reitern
und gleicher Anzahl Fußvolk auf eine Schlacht ein. Zunächst scheint das
Häuflein zu siegen, wird aber trotz größter Tapferkeit so völlig überwältigt,
daß kaum 5 Mann entkommen sein sollen. Es war die letzte, nicht unrühm¬
liche Entfaltung der Ordensfahne. Bald darauf kapituliert Fellin, der stärkste,
von Fürstenberg befehligte Platz Nord-Livlands; die Kriegsknechte, für deren
Löhnung Kettler nicht gesorgt hat, übergeben die Stadt dem Feinde. Nur
gegen Reval sind die feindlichen Angriffe ohne Erfolg.

Es war längst deutlich, daß das Land sich nicht aus eigener Macht ver¬
teidigen, sondern sich nach auswärtigem Schutz umsehen mußte. Von der
zunächst verpflichteten Stelle, dem Deutschen Reiche, war er nicht zu erwarten;
nicht einmal die versprochene Geldunterstützung von 100000 Gulden ist auf¬
gebracht worden. Es bleiben nur Dänemark, Schweden und Polen als Retter
möglich. Von diesen Staaten erscheint Fürstenberg Dänemark am geeignetsten,
weil diese Macht bei ihrer Entfernung und geringen Bevölkerung kaum eine
Gefahr für das Land werden konnte. Kettler dagegen war Anhänger eines
Anschlusses an Polen. Die Pläne Kettlers gelangen zur Durchführung, da
dieser 1559 endgültig über Fürstenberg gesiegt hatte und Meister geworden war.
Man einigt sich dahin, daß Kettler Polen für tatkräftige Hilfe gegen Moskau
die Unterwerfung des Landes in derselben Weise wie Preußen anbieten solle.
Es kommt in Wilna zwischen Kettler und König Sigismund August ein Vertrag
zustande, durch den der Orden unter gleichzeitiger Verpfändung einer Anzahl
Schlösser sich dem Könige, wenn er ihn gegen Moskau verteidigt, zu Schutz und
Schirm gibt. Einen ähnlichen Vertrag schließt der Erzbischof. Polen zögert
mit der Hilfe zu beginnen. Es erweckt den Anschein, daß Kettler und der
König, um das Land, mit dessen Widerstand man rechnen mußte, mürbe zu
machen, übereingekommen waren, zunächst keine Hilfe zu leisten, die Not zu
steigern und das Land zum Anschluß an Polen um jeden Preis zu bringen.
Inzwischen unterwerfen sich andere Teile des Landes Dänemark und Schweden:
die Bistümer Ösel und Kurland gehen durch Vereinbarung mit dem Bischof
auf den dänischen Prinzen Magnus, eine unfähige Persönlichkeit mit weit¬
gehenden Ansprüchen, über. In Reval erscheint im März 1561 der Schwede
Klas Horn. Ohne Truppen und mit geringen Mitteln gelingt es ihm, fremde
Truppen zu sich herüberzuziehen und die Stände eines großen Teiles von Estland
und die Stadt Reval zur Huldigung für Schweden zu bringen. Nunmehr
entschießt sich auch Polen-Litauen zu einem rascheren Vorgehen. Ein pslnisch-


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[0287] Zurückeroberung von Dorpat aufgegeben, das Land weiterem feindlichen Ein¬ brüche preisgegeben. Dieser erfolgt mit großer Macht im Jahre 1559. Die Russen belagern, wenngleich erfolglos, Riga und dringen in Kurland ein. Nach einem Waffenstillstand im Laufe des Jahres 1559 wiederholt sich der russische Einfall. Der tapfere Landmarschall des Ordens, Phillipp Schall von Bell, der sich mit dem von Kettler herbeigerufenen polnischen Feldherrn Hieronymus Chodkiewicz vereinigen soll, läßt sich bei Ermes 1560 mit nur 500 Reitern und gleicher Anzahl Fußvolk auf eine Schlacht ein. Zunächst scheint das Häuflein zu siegen, wird aber trotz größter Tapferkeit so völlig überwältigt, daß kaum 5 Mann entkommen sein sollen. Es war die letzte, nicht unrühm¬ liche Entfaltung der Ordensfahne. Bald darauf kapituliert Fellin, der stärkste, von Fürstenberg befehligte Platz Nord-Livlands; die Kriegsknechte, für deren Löhnung Kettler nicht gesorgt hat, übergeben die Stadt dem Feinde. Nur gegen Reval sind die feindlichen Angriffe ohne Erfolg. Es war längst deutlich, daß das Land sich nicht aus eigener Macht ver¬ teidigen, sondern sich nach auswärtigem Schutz umsehen mußte. Von der zunächst verpflichteten Stelle, dem Deutschen Reiche, war er nicht zu erwarten; nicht einmal die versprochene Geldunterstützung von 100000 Gulden ist auf¬ gebracht worden. Es bleiben nur Dänemark, Schweden und Polen als Retter möglich. Von diesen Staaten erscheint Fürstenberg Dänemark am geeignetsten, weil diese Macht bei ihrer Entfernung und geringen Bevölkerung kaum eine Gefahr für das Land werden konnte. Kettler dagegen war Anhänger eines Anschlusses an Polen. Die Pläne Kettlers gelangen zur Durchführung, da dieser 1559 endgültig über Fürstenberg gesiegt hatte und Meister geworden war. Man einigt sich dahin, daß Kettler Polen für tatkräftige Hilfe gegen Moskau die Unterwerfung des Landes in derselben Weise wie Preußen anbieten solle. Es kommt in Wilna zwischen Kettler und König Sigismund August ein Vertrag zustande, durch den der Orden unter gleichzeitiger Verpfändung einer Anzahl Schlösser sich dem Könige, wenn er ihn gegen Moskau verteidigt, zu Schutz und Schirm gibt. Einen ähnlichen Vertrag schließt der Erzbischof. Polen zögert mit der Hilfe zu beginnen. Es erweckt den Anschein, daß Kettler und der König, um das Land, mit dessen Widerstand man rechnen mußte, mürbe zu machen, übereingekommen waren, zunächst keine Hilfe zu leisten, die Not zu steigern und das Land zum Anschluß an Polen um jeden Preis zu bringen. Inzwischen unterwerfen sich andere Teile des Landes Dänemark und Schweden: die Bistümer Ösel und Kurland gehen durch Vereinbarung mit dem Bischof auf den dänischen Prinzen Magnus, eine unfähige Persönlichkeit mit weit¬ gehenden Ansprüchen, über. In Reval erscheint im März 1561 der Schwede Klas Horn. Ohne Truppen und mit geringen Mitteln gelingt es ihm, fremde Truppen zu sich herüberzuziehen und die Stände eines großen Teiles von Estland und die Stadt Reval zur Huldigung für Schweden zu bringen. Nunmehr entschießt sich auch Polen-Litauen zu einem rascheren Vorgehen. Ein pslnisch- 13*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/287>, abgerufen am 28.07.2024.