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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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Bausteine zur Geschichte des Baltenlandes

Christoph von Mecklenburg gefangen. Jetzt mischt sich König Sigismund
Angust von Polen ein und verlangt Freilassung der Gefangenen. Fürsten¬
berg, der inzwischen Ordensmeister geworden ist. läßt sich nicht einschüchtern
und rüstet sich zum Kampf gegen Polen. Aber er hat die innere Kraft des
Landes überschätzt: nur ein geringer Teil der Vasallen erscheint, und im
Orden bildet sich eine mächtige polnische Partei. So kann Fürstenberg nur
7000 Deutsche und eine Anzahl Landsknechte und undeutsche Bauern auf¬
bringen, während der Polenkönig mit 80 000 Mann heranzieht. Bei dieser
Ungleichheit der Kräfte bleibt dem von allen Seiten bestürmten Meister nur
der schwerste und verhängnisvollste Schritt übrig: er beugt sich in Poswol
1557 vor den Polen, läßt die Gefangenen frei und schließt entgegen dem
russisch-livländischen Frieden von 1554 ein Bündnis mit Polen gegen Moskau.

Dies mußte auf die Beziehungen zu Rußland sehr ungünstig einwirken.
Schon die zum Frieden von 1554 führenden Verhandlungen waren schwierig
genug gewesen. Man hatte den Russen nicht nur freien Handel in Lwland
und freien Durchzug für Rußlandreisende zugestehen, sondern sich auch zu
einem Zins sür Dorpat, dessen Rückstände binnen drei Jahren zu zahlen waren,
verpflichten müssen; gegen diese Zahlung war ein Friede von fünfzehn Jahren
gewährt worden. 1557 kommt es zu neuen Verhandlungen über die Höhe des
Zinses. Als die Parteien über die Summe einig sind, stellt es sich heraus, daß
die Deutschen kein Geld mitgebracht haben. Die Russen geraten in größten
Zorn und ihre Heereshaufen überschreiten Anfang 1558 die Grenze Livlands
in einer Stärke von 30000 Mann, um überall unerhörte Greuel anzurichten.
Vergebens sucht Fürstenberg die Kräfte des Landes zu einem starken Heer zu
sammeln. Der Erzbischof verweigert Unterstützung, Bischöfe und Ritterschaften
lassen den Meister im Stich, die Ständeversammlung gewährt keinerlei Hilfe.
Schließlich sammelt Fürstenberg im Lager von Kirrempäh 1500 Reiter, 1500
Bauernschützen und einiges Feldgeschütz, eine winzige Zahl gegenüber 60 000 bis
70000 Russen; dazu die Furcht vor dem Verrat des Bischofs von Dorpat.
Ein energisches Vorgehen ist so unmöglich. Durch Fahrlässigkeit fällt Narwa;
die Feste Neuhauser kann nicht entsetzt werden und fällt ebenso wie Dorpat in
die Hand des Feindes. Endlich innere Schwierigkeiten im Orden: der über¬
aus selbstsüchtige und ehrgeizige Kontur von Fellin -- Gotthard Kettler --
der sich mit polnischer Hilfe einen Teil des Landes anzueignen hofft, wird zum
Koadjutor gewählt. Bald überträgt Fürstenberg ihm auch die Leitung des
stattlichen, 7000 Knechte, 10 000 Bauern. 2000 Reiter zählenden Heeres.
Nicht zum Heile des Landes! Zwar gelingt es Kettler, Ringen zurückzuerobern
und bei Terrafer ein russisches Lager von 12000 Mann zu zersprengen und
bis nahe vor Dorpat zu verfolgen, aber anstatt diese Stadt zurückzugewinnen,
eilt er nach Reval, wo politische Gründe: der wachsende, seinen Interessen un¬
günstige dänische Einfluß, seine Anwesenheit wünschenswert machen. Damit ist
ein aussichtsreiches, weiteres Vordringen gegen die Russen, insbesondere die


Bausteine zur Geschichte des Baltenlandes

Christoph von Mecklenburg gefangen. Jetzt mischt sich König Sigismund
Angust von Polen ein und verlangt Freilassung der Gefangenen. Fürsten¬
berg, der inzwischen Ordensmeister geworden ist. läßt sich nicht einschüchtern
und rüstet sich zum Kampf gegen Polen. Aber er hat die innere Kraft des
Landes überschätzt: nur ein geringer Teil der Vasallen erscheint, und im
Orden bildet sich eine mächtige polnische Partei. So kann Fürstenberg nur
7000 Deutsche und eine Anzahl Landsknechte und undeutsche Bauern auf¬
bringen, während der Polenkönig mit 80 000 Mann heranzieht. Bei dieser
Ungleichheit der Kräfte bleibt dem von allen Seiten bestürmten Meister nur
der schwerste und verhängnisvollste Schritt übrig: er beugt sich in Poswol
1557 vor den Polen, läßt die Gefangenen frei und schließt entgegen dem
russisch-livländischen Frieden von 1554 ein Bündnis mit Polen gegen Moskau.

Dies mußte auf die Beziehungen zu Rußland sehr ungünstig einwirken.
Schon die zum Frieden von 1554 führenden Verhandlungen waren schwierig
genug gewesen. Man hatte den Russen nicht nur freien Handel in Lwland
und freien Durchzug für Rußlandreisende zugestehen, sondern sich auch zu
einem Zins sür Dorpat, dessen Rückstände binnen drei Jahren zu zahlen waren,
verpflichten müssen; gegen diese Zahlung war ein Friede von fünfzehn Jahren
gewährt worden. 1557 kommt es zu neuen Verhandlungen über die Höhe des
Zinses. Als die Parteien über die Summe einig sind, stellt es sich heraus, daß
die Deutschen kein Geld mitgebracht haben. Die Russen geraten in größten
Zorn und ihre Heereshaufen überschreiten Anfang 1558 die Grenze Livlands
in einer Stärke von 30000 Mann, um überall unerhörte Greuel anzurichten.
Vergebens sucht Fürstenberg die Kräfte des Landes zu einem starken Heer zu
sammeln. Der Erzbischof verweigert Unterstützung, Bischöfe und Ritterschaften
lassen den Meister im Stich, die Ständeversammlung gewährt keinerlei Hilfe.
Schließlich sammelt Fürstenberg im Lager von Kirrempäh 1500 Reiter, 1500
Bauernschützen und einiges Feldgeschütz, eine winzige Zahl gegenüber 60 000 bis
70000 Russen; dazu die Furcht vor dem Verrat des Bischofs von Dorpat.
Ein energisches Vorgehen ist so unmöglich. Durch Fahrlässigkeit fällt Narwa;
die Feste Neuhauser kann nicht entsetzt werden und fällt ebenso wie Dorpat in
die Hand des Feindes. Endlich innere Schwierigkeiten im Orden: der über¬
aus selbstsüchtige und ehrgeizige Kontur von Fellin — Gotthard Kettler —
der sich mit polnischer Hilfe einen Teil des Landes anzueignen hofft, wird zum
Koadjutor gewählt. Bald überträgt Fürstenberg ihm auch die Leitung des
stattlichen, 7000 Knechte, 10 000 Bauern. 2000 Reiter zählenden Heeres.
Nicht zum Heile des Landes! Zwar gelingt es Kettler, Ringen zurückzuerobern
und bei Terrafer ein russisches Lager von 12000 Mann zu zersprengen und
bis nahe vor Dorpat zu verfolgen, aber anstatt diese Stadt zurückzugewinnen,
eilt er nach Reval, wo politische Gründe: der wachsende, seinen Interessen un¬
günstige dänische Einfluß, seine Anwesenheit wünschenswert machen. Damit ist
ein aussichtsreiches, weiteres Vordringen gegen die Russen, insbesondere die


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[0286] Bausteine zur Geschichte des Baltenlandes Christoph von Mecklenburg gefangen. Jetzt mischt sich König Sigismund Angust von Polen ein und verlangt Freilassung der Gefangenen. Fürsten¬ berg, der inzwischen Ordensmeister geworden ist. läßt sich nicht einschüchtern und rüstet sich zum Kampf gegen Polen. Aber er hat die innere Kraft des Landes überschätzt: nur ein geringer Teil der Vasallen erscheint, und im Orden bildet sich eine mächtige polnische Partei. So kann Fürstenberg nur 7000 Deutsche und eine Anzahl Landsknechte und undeutsche Bauern auf¬ bringen, während der Polenkönig mit 80 000 Mann heranzieht. Bei dieser Ungleichheit der Kräfte bleibt dem von allen Seiten bestürmten Meister nur der schwerste und verhängnisvollste Schritt übrig: er beugt sich in Poswol 1557 vor den Polen, läßt die Gefangenen frei und schließt entgegen dem russisch-livländischen Frieden von 1554 ein Bündnis mit Polen gegen Moskau. Dies mußte auf die Beziehungen zu Rußland sehr ungünstig einwirken. Schon die zum Frieden von 1554 führenden Verhandlungen waren schwierig genug gewesen. Man hatte den Russen nicht nur freien Handel in Lwland und freien Durchzug für Rußlandreisende zugestehen, sondern sich auch zu einem Zins sür Dorpat, dessen Rückstände binnen drei Jahren zu zahlen waren, verpflichten müssen; gegen diese Zahlung war ein Friede von fünfzehn Jahren gewährt worden. 1557 kommt es zu neuen Verhandlungen über die Höhe des Zinses. Als die Parteien über die Summe einig sind, stellt es sich heraus, daß die Deutschen kein Geld mitgebracht haben. Die Russen geraten in größten Zorn und ihre Heereshaufen überschreiten Anfang 1558 die Grenze Livlands in einer Stärke von 30000 Mann, um überall unerhörte Greuel anzurichten. Vergebens sucht Fürstenberg die Kräfte des Landes zu einem starken Heer zu sammeln. Der Erzbischof verweigert Unterstützung, Bischöfe und Ritterschaften lassen den Meister im Stich, die Ständeversammlung gewährt keinerlei Hilfe. Schließlich sammelt Fürstenberg im Lager von Kirrempäh 1500 Reiter, 1500 Bauernschützen und einiges Feldgeschütz, eine winzige Zahl gegenüber 60 000 bis 70000 Russen; dazu die Furcht vor dem Verrat des Bischofs von Dorpat. Ein energisches Vorgehen ist so unmöglich. Durch Fahrlässigkeit fällt Narwa; die Feste Neuhauser kann nicht entsetzt werden und fällt ebenso wie Dorpat in die Hand des Feindes. Endlich innere Schwierigkeiten im Orden: der über¬ aus selbstsüchtige und ehrgeizige Kontur von Fellin — Gotthard Kettler — der sich mit polnischer Hilfe einen Teil des Landes anzueignen hofft, wird zum Koadjutor gewählt. Bald überträgt Fürstenberg ihm auch die Leitung des stattlichen, 7000 Knechte, 10 000 Bauern. 2000 Reiter zählenden Heeres. Nicht zum Heile des Landes! Zwar gelingt es Kettler, Ringen zurückzuerobern und bei Terrafer ein russisches Lager von 12000 Mann zu zersprengen und bis nahe vor Dorpat zu verfolgen, aber anstatt diese Stadt zurückzugewinnen, eilt er nach Reval, wo politische Gründe: der wachsende, seinen Interessen un¬ günstige dänische Einfluß, seine Anwesenheit wünschenswert machen. Damit ist ein aussichtsreiches, weiteres Vordringen gegen die Russen, insbesondere die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/286>, abgerufen am 23.12.2024.