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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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Bausteine zur Geschichte des Baltenlandes

und sucht, wenngleich ohne Erfolg, Verbindung mit Alexander Newski. Immerhin
war verhindert, daß der Orden in Litauen Fuß faßte. Mochte der Orden
1267 die Kuren, 1290 nach langjährigen erbitterten Kämpfen die Semgaller
(zwischen Semgaller Aa und Dura) endgültig unterwerfen -- Litauen, das
Mittelstück zwischen beiden Provinzen des Ordens, dessen Gewinnung ihn zu
einer Großmacht erhoben hätte, blieb unerobert. Damit fehlte es Livland, das
nach wie "or auf den Seeverkehr mit der Heimat angewiesen blieb, an einem
Wege, auf dem deutsche Bauern einwandern, die unentbehrliche, sichere Grund¬
lage deutschen Lebens in das Land kommen konnte.

Auch das zweite Ziel von höchster Wichtigkeit für die Geschicke des Landes:
die Vereinigung unter einer Regierung, wird nicht erreicht. Unter den Gewalten
des Landes war der Orden die bedeutendste, sowohl der Größe seines
Territoriums als auch seiner kriegerischen Leistungen und seiner planvollen
Politik wegen. Für seinen Tatendrang ist es bezeichnend, daß Livland in
dreiunosechzig Jahren bis 1300 nicht weniger als neunzehn Meister, von denen
fünf im Schlachtgetümmel fielen, gesehen hat. Die Entwicklung ist dem Orden
nicht ungünstig. 1330 unterwirft sich die Stadt Riga nach langen Streitig¬
keiten durch den "nackten Brief" dem Landmeifter Eberhard von Munheim.
Auch in Estland wird ihm ein größerer Machtzuwachs. Der große, mit einem
ungeheuren Blutbade unter den Deutschen beginnende Estenaufstand gibt dem
Orden Gelegenheit, in den dänischen Teil Estlands einzurücken, die Ehlen ent-,
scheidend zu schlagen und auf Verlangen der Vasallen Neval zu besetzen. Ein
von schwedischer Seite durch die Vögte von Abo und Wiborg unternommener
Versuch, sich an die Stelle der Dänen zu setzen, kommt zu spät. 1343 verkauft
Dänemark seine estländischen Besitzungen an den Hochmeister Heinrich Dusemer,
der Estland seinerseits dem livländischen Ordensmeister gegen die Verpflichtung,
die sür den Ankauf des Landes gezahlte Summe zu erstatten, abtritt. Schlie߬
lich gelingt es dem Orden, auch seine Stellung gegenüber dem Erzbischof zu
verstärken: durch päpstliche Bullen von 1394 und 1397 wurde bestimmt, daß
in dem Erzstifte Riga niemand ein Amt erlangen solle, der nicht vorher das
Ordensgelübde geleistet habe, und daß in Zukunft nur noch ein Ordensbruder
Erzbischof werden dürfe. Allerdings hat diese Maßnahme nicht den gewünschten
Erfolg gehabt. Nur zu oft haben die Erzbischöfe die in sie vom Orden gesetzten
Hoffnungen getäuscht und zahlreiche innere Kämpfe, am bekanntesten die durch
Sylvester Stodewescher entfachten, sind zwischen Erzbischof und Orden zum
Schaden des Landes ausgefochten worden. Ein weiterer Machtzuwachs war
dem Orden nicht beschieden: die Oberhoheit über das gesamte Land blieb ihm
versagt. Er hat sich sogar im Kirchholmer Vertrage 1452 mit dem Erzbischof
in die Herrschaft über die Stadt Riga geteilt. Wohl treten seit dem fünf¬
zehnten Jahrhundert allgemeine livländische Landtage mit ständischer Gliederung
zur Beratung innerer Angelegenheiten zusammen; aber sie können natürlich einen
Ersatz für eine einheitliche Negierung des Landes nicht bilden.


Bausteine zur Geschichte des Baltenlandes

und sucht, wenngleich ohne Erfolg, Verbindung mit Alexander Newski. Immerhin
war verhindert, daß der Orden in Litauen Fuß faßte. Mochte der Orden
1267 die Kuren, 1290 nach langjährigen erbitterten Kämpfen die Semgaller
(zwischen Semgaller Aa und Dura) endgültig unterwerfen — Litauen, das
Mittelstück zwischen beiden Provinzen des Ordens, dessen Gewinnung ihn zu
einer Großmacht erhoben hätte, blieb unerobert. Damit fehlte es Livland, das
nach wie »or auf den Seeverkehr mit der Heimat angewiesen blieb, an einem
Wege, auf dem deutsche Bauern einwandern, die unentbehrliche, sichere Grund¬
lage deutschen Lebens in das Land kommen konnte.

Auch das zweite Ziel von höchster Wichtigkeit für die Geschicke des Landes:
die Vereinigung unter einer Regierung, wird nicht erreicht. Unter den Gewalten
des Landes war der Orden die bedeutendste, sowohl der Größe seines
Territoriums als auch seiner kriegerischen Leistungen und seiner planvollen
Politik wegen. Für seinen Tatendrang ist es bezeichnend, daß Livland in
dreiunosechzig Jahren bis 1300 nicht weniger als neunzehn Meister, von denen
fünf im Schlachtgetümmel fielen, gesehen hat. Die Entwicklung ist dem Orden
nicht ungünstig. 1330 unterwirft sich die Stadt Riga nach langen Streitig¬
keiten durch den „nackten Brief" dem Landmeifter Eberhard von Munheim.
Auch in Estland wird ihm ein größerer Machtzuwachs. Der große, mit einem
ungeheuren Blutbade unter den Deutschen beginnende Estenaufstand gibt dem
Orden Gelegenheit, in den dänischen Teil Estlands einzurücken, die Ehlen ent-,
scheidend zu schlagen und auf Verlangen der Vasallen Neval zu besetzen. Ein
von schwedischer Seite durch die Vögte von Abo und Wiborg unternommener
Versuch, sich an die Stelle der Dänen zu setzen, kommt zu spät. 1343 verkauft
Dänemark seine estländischen Besitzungen an den Hochmeister Heinrich Dusemer,
der Estland seinerseits dem livländischen Ordensmeister gegen die Verpflichtung,
die sür den Ankauf des Landes gezahlte Summe zu erstatten, abtritt. Schlie߬
lich gelingt es dem Orden, auch seine Stellung gegenüber dem Erzbischof zu
verstärken: durch päpstliche Bullen von 1394 und 1397 wurde bestimmt, daß
in dem Erzstifte Riga niemand ein Amt erlangen solle, der nicht vorher das
Ordensgelübde geleistet habe, und daß in Zukunft nur noch ein Ordensbruder
Erzbischof werden dürfe. Allerdings hat diese Maßnahme nicht den gewünschten
Erfolg gehabt. Nur zu oft haben die Erzbischöfe die in sie vom Orden gesetzten
Hoffnungen getäuscht und zahlreiche innere Kämpfe, am bekanntesten die durch
Sylvester Stodewescher entfachten, sind zwischen Erzbischof und Orden zum
Schaden des Landes ausgefochten worden. Ein weiterer Machtzuwachs war
dem Orden nicht beschieden: die Oberhoheit über das gesamte Land blieb ihm
versagt. Er hat sich sogar im Kirchholmer Vertrage 1452 mit dem Erzbischof
in die Herrschaft über die Stadt Riga geteilt. Wohl treten seit dem fünf¬
zehnten Jahrhundert allgemeine livländische Landtage mit ständischer Gliederung
zur Beratung innerer Angelegenheiten zusammen; aber sie können natürlich einen
Ersatz für eine einheitliche Negierung des Landes nicht bilden.


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[0282] Bausteine zur Geschichte des Baltenlandes und sucht, wenngleich ohne Erfolg, Verbindung mit Alexander Newski. Immerhin war verhindert, daß der Orden in Litauen Fuß faßte. Mochte der Orden 1267 die Kuren, 1290 nach langjährigen erbitterten Kämpfen die Semgaller (zwischen Semgaller Aa und Dura) endgültig unterwerfen — Litauen, das Mittelstück zwischen beiden Provinzen des Ordens, dessen Gewinnung ihn zu einer Großmacht erhoben hätte, blieb unerobert. Damit fehlte es Livland, das nach wie »or auf den Seeverkehr mit der Heimat angewiesen blieb, an einem Wege, auf dem deutsche Bauern einwandern, die unentbehrliche, sichere Grund¬ lage deutschen Lebens in das Land kommen konnte. Auch das zweite Ziel von höchster Wichtigkeit für die Geschicke des Landes: die Vereinigung unter einer Regierung, wird nicht erreicht. Unter den Gewalten des Landes war der Orden die bedeutendste, sowohl der Größe seines Territoriums als auch seiner kriegerischen Leistungen und seiner planvollen Politik wegen. Für seinen Tatendrang ist es bezeichnend, daß Livland in dreiunosechzig Jahren bis 1300 nicht weniger als neunzehn Meister, von denen fünf im Schlachtgetümmel fielen, gesehen hat. Die Entwicklung ist dem Orden nicht ungünstig. 1330 unterwirft sich die Stadt Riga nach langen Streitig¬ keiten durch den „nackten Brief" dem Landmeifter Eberhard von Munheim. Auch in Estland wird ihm ein größerer Machtzuwachs. Der große, mit einem ungeheuren Blutbade unter den Deutschen beginnende Estenaufstand gibt dem Orden Gelegenheit, in den dänischen Teil Estlands einzurücken, die Ehlen ent-, scheidend zu schlagen und auf Verlangen der Vasallen Neval zu besetzen. Ein von schwedischer Seite durch die Vögte von Abo und Wiborg unternommener Versuch, sich an die Stelle der Dänen zu setzen, kommt zu spät. 1343 verkauft Dänemark seine estländischen Besitzungen an den Hochmeister Heinrich Dusemer, der Estland seinerseits dem livländischen Ordensmeister gegen die Verpflichtung, die sür den Ankauf des Landes gezahlte Summe zu erstatten, abtritt. Schlie߬ lich gelingt es dem Orden, auch seine Stellung gegenüber dem Erzbischof zu verstärken: durch päpstliche Bullen von 1394 und 1397 wurde bestimmt, daß in dem Erzstifte Riga niemand ein Amt erlangen solle, der nicht vorher das Ordensgelübde geleistet habe, und daß in Zukunft nur noch ein Ordensbruder Erzbischof werden dürfe. Allerdings hat diese Maßnahme nicht den gewünschten Erfolg gehabt. Nur zu oft haben die Erzbischöfe die in sie vom Orden gesetzten Hoffnungen getäuscht und zahlreiche innere Kämpfe, am bekanntesten die durch Sylvester Stodewescher entfachten, sind zwischen Erzbischof und Orden zum Schaden des Landes ausgefochten worden. Ein weiterer Machtzuwachs war dem Orden nicht beschieden: die Oberhoheit über das gesamte Land blieb ihm versagt. Er hat sich sogar im Kirchholmer Vertrage 1452 mit dem Erzbischof in die Herrschaft über die Stadt Riga geteilt. Wohl treten seit dem fünf¬ zehnten Jahrhundert allgemeine livländische Landtage mit ständischer Gliederung zur Beratung innerer Angelegenheiten zusammen; aber sie können natürlich einen Ersatz für eine einheitliche Negierung des Landes nicht bilden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/282>, abgerufen am 28.07.2024.