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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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Bausteine zur Geschichte des Baltenlandes

führt er Kolonisten und Kreuzfahrer ins Land. Er unterwirft die Dünaliven
und die Gebiete von Treiben und Terweten und setzt der russischen Macht
Grenzen, indem er sich die dem Großfürsten von Polozk unterstehenden Teil¬
fürsten von Kukenois und Gercike (Zargrad und Kokenhusen) unterordnet.
Endlich wendet er sich gegen die Ehlen, die ihm jedoch, durch die Russen von
Pleskau und Nowgorod unterstützt, so starken Widerstand leisten, daß er, die
eigene Kraft unterschätzend, sich nur Hilfe an Waldemar den Zweiten von
Dänemark wendet, der bei Reval landet und das anliegende Gebiet der dänischen
Herrschaft unterwirft. 1207 wird Albert von den: Hohenstaufenkönig Philipp
mit Livland belehnt und deutscher Reichsfürst. Damit ist auch der rechtliche
Zusammenhang mit dem Mutterlande hergestellt, aus dem der Kolonie aller¬
dings nie eine Unterstützung erwachsen sollte.

Nicht das ganze von den Deutschen eroberte Gebiet unterstand Werth
Herrschaft: er hatte dem Orden bald nach seiner Gründung ein Drittel allen
eroberten Gebietes einräumen müssen, und schon 1210 erlangt dieser vom
Papste eine Bulle, die der weltlichen Oberherrschaft des Bischofs ein Ende macht
und dem Orden alles Gebiet, das er noch erobern würde, verspricht. Der
Papst hoffte, indem er die Kräfte des Landes fo verteilte, daß sie sich die
Wage hielten, zu erreichen, daß sein Einfluß dort entscheidend werde und daß
ihm dort im Nordosten der Christenheit ein neuer Kirchenstaat entstehen würde.
Es war dies eine sür die Entwicklung des Landes verhängnisvolle, seine ein¬
heitliche Kraft auflösende Entscheidung: treten doch neben den Bischof von Riga,
dessen Gebiet an der Dura und hinauf zur livländischen Aa lag, und den
Orden, dessen Hauptgebiet in Kurland und Südestland lag, noch Bischöfe von
Dorpat, Osel und Kurland mit erheblichem Landbesitz, ferner der Bischof von
Neval und die Städte Riga und Reval. Der Orden erleidet bald eine wesent¬
liche Änderung. In der Schlacht an der Säule 1236 durch die Litauer sast
ganz vernichtet, wird er 1237 vom deutschen Orden, der seit kurzem in Preußen
tätig war, aufgenommen und als dessen livländischer Zweig einem ziemlich
selbständigen Landmeister unterstellt.

Der deutsche Orden führt sich mit einer Reihe weitaussehender Taten in
Livland ein. Er versucht, die deutsche Macht über den Peipus-See aus¬
zudehnen. Der See wird umgangen, Jsborsk erobert und Koporje am Finnischen
Meerbusen befestigt. Gleichzeitig faßt Schweden unter Jarl Birger an der
Newamündung Fuß. Aber gar zu bald erfolgt ein jäher Rückschlag: Alexander
Newski besiegt die Schweden 1240 an der Newa, vertreibt 1242 die Deutschen
aus Pleskau und schlägt sie auf dem Eise des Peipus-Sees. Ebensowenig
haben die Unternehmungen des Ordens gegen Litauen, dessen Großfürst Min"
daugas sich 1253 taufen ließ und der den Orden mit Schenkungen und Frei¬
briefen überschüttete, dauernden Erfolg. Bei einem Teile des litauischen Volkes,
den Schamanen, entsteht starker Widerstand gegen den Orden; sie bringen ihm
bei Durben eine schwere Niederlage bei. Schließlich sällt auch Mindagas ab


Bausteine zur Geschichte des Baltenlandes

führt er Kolonisten und Kreuzfahrer ins Land. Er unterwirft die Dünaliven
und die Gebiete von Treiben und Terweten und setzt der russischen Macht
Grenzen, indem er sich die dem Großfürsten von Polozk unterstehenden Teil¬
fürsten von Kukenois und Gercike (Zargrad und Kokenhusen) unterordnet.
Endlich wendet er sich gegen die Ehlen, die ihm jedoch, durch die Russen von
Pleskau und Nowgorod unterstützt, so starken Widerstand leisten, daß er, die
eigene Kraft unterschätzend, sich nur Hilfe an Waldemar den Zweiten von
Dänemark wendet, der bei Reval landet und das anliegende Gebiet der dänischen
Herrschaft unterwirft. 1207 wird Albert von den: Hohenstaufenkönig Philipp
mit Livland belehnt und deutscher Reichsfürst. Damit ist auch der rechtliche
Zusammenhang mit dem Mutterlande hergestellt, aus dem der Kolonie aller¬
dings nie eine Unterstützung erwachsen sollte.

Nicht das ganze von den Deutschen eroberte Gebiet unterstand Werth
Herrschaft: er hatte dem Orden bald nach seiner Gründung ein Drittel allen
eroberten Gebietes einräumen müssen, und schon 1210 erlangt dieser vom
Papste eine Bulle, die der weltlichen Oberherrschaft des Bischofs ein Ende macht
und dem Orden alles Gebiet, das er noch erobern würde, verspricht. Der
Papst hoffte, indem er die Kräfte des Landes fo verteilte, daß sie sich die
Wage hielten, zu erreichen, daß sein Einfluß dort entscheidend werde und daß
ihm dort im Nordosten der Christenheit ein neuer Kirchenstaat entstehen würde.
Es war dies eine sür die Entwicklung des Landes verhängnisvolle, seine ein¬
heitliche Kraft auflösende Entscheidung: treten doch neben den Bischof von Riga,
dessen Gebiet an der Dura und hinauf zur livländischen Aa lag, und den
Orden, dessen Hauptgebiet in Kurland und Südestland lag, noch Bischöfe von
Dorpat, Osel und Kurland mit erheblichem Landbesitz, ferner der Bischof von
Neval und die Städte Riga und Reval. Der Orden erleidet bald eine wesent¬
liche Änderung. In der Schlacht an der Säule 1236 durch die Litauer sast
ganz vernichtet, wird er 1237 vom deutschen Orden, der seit kurzem in Preußen
tätig war, aufgenommen und als dessen livländischer Zweig einem ziemlich
selbständigen Landmeister unterstellt.

Der deutsche Orden führt sich mit einer Reihe weitaussehender Taten in
Livland ein. Er versucht, die deutsche Macht über den Peipus-See aus¬
zudehnen. Der See wird umgangen, Jsborsk erobert und Koporje am Finnischen
Meerbusen befestigt. Gleichzeitig faßt Schweden unter Jarl Birger an der
Newamündung Fuß. Aber gar zu bald erfolgt ein jäher Rückschlag: Alexander
Newski besiegt die Schweden 1240 an der Newa, vertreibt 1242 die Deutschen
aus Pleskau und schlägt sie auf dem Eise des Peipus-Sees. Ebensowenig
haben die Unternehmungen des Ordens gegen Litauen, dessen Großfürst Min»
daugas sich 1253 taufen ließ und der den Orden mit Schenkungen und Frei¬
briefen überschüttete, dauernden Erfolg. Bei einem Teile des litauischen Volkes,
den Schamanen, entsteht starker Widerstand gegen den Orden; sie bringen ihm
bei Durben eine schwere Niederlage bei. Schließlich sällt auch Mindagas ab


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[0281] Bausteine zur Geschichte des Baltenlandes führt er Kolonisten und Kreuzfahrer ins Land. Er unterwirft die Dünaliven und die Gebiete von Treiben und Terweten und setzt der russischen Macht Grenzen, indem er sich die dem Großfürsten von Polozk unterstehenden Teil¬ fürsten von Kukenois und Gercike (Zargrad und Kokenhusen) unterordnet. Endlich wendet er sich gegen die Ehlen, die ihm jedoch, durch die Russen von Pleskau und Nowgorod unterstützt, so starken Widerstand leisten, daß er, die eigene Kraft unterschätzend, sich nur Hilfe an Waldemar den Zweiten von Dänemark wendet, der bei Reval landet und das anliegende Gebiet der dänischen Herrschaft unterwirft. 1207 wird Albert von den: Hohenstaufenkönig Philipp mit Livland belehnt und deutscher Reichsfürst. Damit ist auch der rechtliche Zusammenhang mit dem Mutterlande hergestellt, aus dem der Kolonie aller¬ dings nie eine Unterstützung erwachsen sollte. Nicht das ganze von den Deutschen eroberte Gebiet unterstand Werth Herrschaft: er hatte dem Orden bald nach seiner Gründung ein Drittel allen eroberten Gebietes einräumen müssen, und schon 1210 erlangt dieser vom Papste eine Bulle, die der weltlichen Oberherrschaft des Bischofs ein Ende macht und dem Orden alles Gebiet, das er noch erobern würde, verspricht. Der Papst hoffte, indem er die Kräfte des Landes fo verteilte, daß sie sich die Wage hielten, zu erreichen, daß sein Einfluß dort entscheidend werde und daß ihm dort im Nordosten der Christenheit ein neuer Kirchenstaat entstehen würde. Es war dies eine sür die Entwicklung des Landes verhängnisvolle, seine ein¬ heitliche Kraft auflösende Entscheidung: treten doch neben den Bischof von Riga, dessen Gebiet an der Dura und hinauf zur livländischen Aa lag, und den Orden, dessen Hauptgebiet in Kurland und Südestland lag, noch Bischöfe von Dorpat, Osel und Kurland mit erheblichem Landbesitz, ferner der Bischof von Neval und die Städte Riga und Reval. Der Orden erleidet bald eine wesent¬ liche Änderung. In der Schlacht an der Säule 1236 durch die Litauer sast ganz vernichtet, wird er 1237 vom deutschen Orden, der seit kurzem in Preußen tätig war, aufgenommen und als dessen livländischer Zweig einem ziemlich selbständigen Landmeister unterstellt. Der deutsche Orden führt sich mit einer Reihe weitaussehender Taten in Livland ein. Er versucht, die deutsche Macht über den Peipus-See aus¬ zudehnen. Der See wird umgangen, Jsborsk erobert und Koporje am Finnischen Meerbusen befestigt. Gleichzeitig faßt Schweden unter Jarl Birger an der Newamündung Fuß. Aber gar zu bald erfolgt ein jäher Rückschlag: Alexander Newski besiegt die Schweden 1240 an der Newa, vertreibt 1242 die Deutschen aus Pleskau und schlägt sie auf dem Eise des Peipus-Sees. Ebensowenig haben die Unternehmungen des Ordens gegen Litauen, dessen Großfürst Min» daugas sich 1253 taufen ließ und der den Orden mit Schenkungen und Frei¬ briefen überschüttete, dauernden Erfolg. Bei einem Teile des litauischen Volkes, den Schamanen, entsteht starker Widerstand gegen den Orden; sie bringen ihm bei Durben eine schwere Niederlage bei. Schließlich sällt auch Mindagas ab

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/281>, abgerufen am 27.07.2024.