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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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Der Apostel des deutschen Idealismus

was früher alleinige Aufgabe des Klerus war. Mag solche Tendenz nicht
überall gleich stark hervortreten, fo hat doch ganz gewiß gerade der Kantianis-
mus, sofern er mit der Lehre vom Primat der praktischen Vernunft wirklich
Ernst machen will, das Ziel, Lebensgesetz und Weltanschauung zu werden.
Indem Fichte dies erfaßte und sich als Apostel eines von Kant ausgehenden
Evangeliums fühlte, hatte er Recht, wenn er Kant besser zu verstehen und zu
erfüllen glaubte, als die reinen Kantianer seiner Zeit, ja als der Meister selbst.

Man muß Fichtes Persönlichkeit und Lebensgang als Schlüssel zu seinem
Werke betrachten. Als Studierter Theologe ist er unter religiösen Gesichtspunkten
zu Kant vorgedrungen. Er hat selber diese Bekehrung (1790) keineswegs als
theoretische Erleuchtung empfunden, sondern als Annahme einer "edleren Moral".
In Wirklichkeit war es die Annahme einer neuen Religion. Diesen Weg:
von der religiös-ethischen Persönlichkeit Fichtes sein Werk zu verstehen, führt
uns ein im vorigen Jahre erschienenes Buch des Leipziger Privatdozenten
Bergmann, das Fichtes pädagogische Leistung behandelt (Ernst Bergmann,
Fichte der Erzieher zum Deutschtum, Leipzig, Felix Meiner, 1915; Preis
br. 5 M., geb. 6 M.). Der Verfasser läßt die Bedeutung des Philosophen als
religiösen Lehrers hervortreten. Ich möchte an dieser Stelle noch weiter gehen:
nicht bloß wie ein Lehrer und Prediger der Religion mutet Fichte an, sondern
geradezu wie ein Apostel und Kirchengründer.

Bevor Fichte Kants Lehre kennen lernte, huldigte er einem pantheistischen
Determinismus, den Bergmann von dem Leipziger Philosophen Platner und
von Hume ableitet. Das Individuum schien ihm ganz eingebettet in den
endlosen Verlauf der Naturkausalität und widerspruchslos geleitet von der
Vorsehung. Da erfuhr Fichte die Freiheitslehre Kants. Die Erkenntnistheorie
des Königsbergers ließ ihm sein Ich außerhalb des Naturzwanges erscheinen,
infolgedessen mit der Fähigkeit begabt, sich selbst Gesetze zu geben und mit
seinem Willen in den Zusammenhang der Dinge einzugreifen. Das war für
Fichte nicht eine bloße Erkenntnis, sondern eine Offenbarung, und wie eine
Offenbarung hat er Kants Lehre auf sich wirken und fein Handeln von ihr
bestimmen lassen, -- bis den Selbstgerechten die böse Erfahrung des Atheismus-
streites (1799) wie ein Blitzstrahl traf und ihn vom Jenenser Katheder auf-
trieb. Diese Erfahrung wurde ihm zu einem zweiten Offenbarungserlebnis und
verwandelte, ohne daß aber das Bewußtsein der Freiheit von der Natur ver¬
loren ging, den autonomen Trotz in die Demut des Mystikers und in den
sehnsuchtsvollen Glauben an das Eine, das göttliche Sein, das immer siegreich
bleibt, auch wenn wir unterliegen, das ewig lebendig ist, auch wenn wir
sterben müssen. Das Ich gilt jetzt als bloßes "Dasein" des Seins und verliert
alle eigene Realität. In dieser Einkehr unter die Fittige des Absoluten ist
Fichte ein echter Romantiker. Hatten doch die Stimmführer der Romantik
auch schon seine "Wissenschaftslehre" mit gutem Grunde zu ihrer philosophischen
Programmschrift ausgerufen.


Der Apostel des deutschen Idealismus

was früher alleinige Aufgabe des Klerus war. Mag solche Tendenz nicht
überall gleich stark hervortreten, fo hat doch ganz gewiß gerade der Kantianis-
mus, sofern er mit der Lehre vom Primat der praktischen Vernunft wirklich
Ernst machen will, das Ziel, Lebensgesetz und Weltanschauung zu werden.
Indem Fichte dies erfaßte und sich als Apostel eines von Kant ausgehenden
Evangeliums fühlte, hatte er Recht, wenn er Kant besser zu verstehen und zu
erfüllen glaubte, als die reinen Kantianer seiner Zeit, ja als der Meister selbst.

Man muß Fichtes Persönlichkeit und Lebensgang als Schlüssel zu seinem
Werke betrachten. Als Studierter Theologe ist er unter religiösen Gesichtspunkten
zu Kant vorgedrungen. Er hat selber diese Bekehrung (1790) keineswegs als
theoretische Erleuchtung empfunden, sondern als Annahme einer „edleren Moral".
In Wirklichkeit war es die Annahme einer neuen Religion. Diesen Weg:
von der religiös-ethischen Persönlichkeit Fichtes sein Werk zu verstehen, führt
uns ein im vorigen Jahre erschienenes Buch des Leipziger Privatdozenten
Bergmann, das Fichtes pädagogische Leistung behandelt (Ernst Bergmann,
Fichte der Erzieher zum Deutschtum, Leipzig, Felix Meiner, 1915; Preis
br. 5 M., geb. 6 M.). Der Verfasser läßt die Bedeutung des Philosophen als
religiösen Lehrers hervortreten. Ich möchte an dieser Stelle noch weiter gehen:
nicht bloß wie ein Lehrer und Prediger der Religion mutet Fichte an, sondern
geradezu wie ein Apostel und Kirchengründer.

Bevor Fichte Kants Lehre kennen lernte, huldigte er einem pantheistischen
Determinismus, den Bergmann von dem Leipziger Philosophen Platner und
von Hume ableitet. Das Individuum schien ihm ganz eingebettet in den
endlosen Verlauf der Naturkausalität und widerspruchslos geleitet von der
Vorsehung. Da erfuhr Fichte die Freiheitslehre Kants. Die Erkenntnistheorie
des Königsbergers ließ ihm sein Ich außerhalb des Naturzwanges erscheinen,
infolgedessen mit der Fähigkeit begabt, sich selbst Gesetze zu geben und mit
seinem Willen in den Zusammenhang der Dinge einzugreifen. Das war für
Fichte nicht eine bloße Erkenntnis, sondern eine Offenbarung, und wie eine
Offenbarung hat er Kants Lehre auf sich wirken und fein Handeln von ihr
bestimmen lassen, — bis den Selbstgerechten die böse Erfahrung des Atheismus-
streites (1799) wie ein Blitzstrahl traf und ihn vom Jenenser Katheder auf-
trieb. Diese Erfahrung wurde ihm zu einem zweiten Offenbarungserlebnis und
verwandelte, ohne daß aber das Bewußtsein der Freiheit von der Natur ver¬
loren ging, den autonomen Trotz in die Demut des Mystikers und in den
sehnsuchtsvollen Glauben an das Eine, das göttliche Sein, das immer siegreich
bleibt, auch wenn wir unterliegen, das ewig lebendig ist, auch wenn wir
sterben müssen. Das Ich gilt jetzt als bloßes „Dasein" des Seins und verliert
alle eigene Realität. In dieser Einkehr unter die Fittige des Absoluten ist
Fichte ein echter Romantiker. Hatten doch die Stimmführer der Romantik
auch schon seine „Wissenschaftslehre" mit gutem Grunde zu ihrer philosophischen
Programmschrift ausgerufen.


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[0274] Der Apostel des deutschen Idealismus was früher alleinige Aufgabe des Klerus war. Mag solche Tendenz nicht überall gleich stark hervortreten, fo hat doch ganz gewiß gerade der Kantianis- mus, sofern er mit der Lehre vom Primat der praktischen Vernunft wirklich Ernst machen will, das Ziel, Lebensgesetz und Weltanschauung zu werden. Indem Fichte dies erfaßte und sich als Apostel eines von Kant ausgehenden Evangeliums fühlte, hatte er Recht, wenn er Kant besser zu verstehen und zu erfüllen glaubte, als die reinen Kantianer seiner Zeit, ja als der Meister selbst. Man muß Fichtes Persönlichkeit und Lebensgang als Schlüssel zu seinem Werke betrachten. Als Studierter Theologe ist er unter religiösen Gesichtspunkten zu Kant vorgedrungen. Er hat selber diese Bekehrung (1790) keineswegs als theoretische Erleuchtung empfunden, sondern als Annahme einer „edleren Moral". In Wirklichkeit war es die Annahme einer neuen Religion. Diesen Weg: von der religiös-ethischen Persönlichkeit Fichtes sein Werk zu verstehen, führt uns ein im vorigen Jahre erschienenes Buch des Leipziger Privatdozenten Bergmann, das Fichtes pädagogische Leistung behandelt (Ernst Bergmann, Fichte der Erzieher zum Deutschtum, Leipzig, Felix Meiner, 1915; Preis br. 5 M., geb. 6 M.). Der Verfasser läßt die Bedeutung des Philosophen als religiösen Lehrers hervortreten. Ich möchte an dieser Stelle noch weiter gehen: nicht bloß wie ein Lehrer und Prediger der Religion mutet Fichte an, sondern geradezu wie ein Apostel und Kirchengründer. Bevor Fichte Kants Lehre kennen lernte, huldigte er einem pantheistischen Determinismus, den Bergmann von dem Leipziger Philosophen Platner und von Hume ableitet. Das Individuum schien ihm ganz eingebettet in den endlosen Verlauf der Naturkausalität und widerspruchslos geleitet von der Vorsehung. Da erfuhr Fichte die Freiheitslehre Kants. Die Erkenntnistheorie des Königsbergers ließ ihm sein Ich außerhalb des Naturzwanges erscheinen, infolgedessen mit der Fähigkeit begabt, sich selbst Gesetze zu geben und mit seinem Willen in den Zusammenhang der Dinge einzugreifen. Das war für Fichte nicht eine bloße Erkenntnis, sondern eine Offenbarung, und wie eine Offenbarung hat er Kants Lehre auf sich wirken und fein Handeln von ihr bestimmen lassen, — bis den Selbstgerechten die böse Erfahrung des Atheismus- streites (1799) wie ein Blitzstrahl traf und ihn vom Jenenser Katheder auf- trieb. Diese Erfahrung wurde ihm zu einem zweiten Offenbarungserlebnis und verwandelte, ohne daß aber das Bewußtsein der Freiheit von der Natur ver¬ loren ging, den autonomen Trotz in die Demut des Mystikers und in den sehnsuchtsvollen Glauben an das Eine, das göttliche Sein, das immer siegreich bleibt, auch wenn wir unterliegen, das ewig lebendig ist, auch wenn wir sterben müssen. Das Ich gilt jetzt als bloßes „Dasein" des Seins und verliert alle eigene Realität. In dieser Einkehr unter die Fittige des Absoluten ist Fichte ein echter Romantiker. Hatten doch die Stimmführer der Romantik auch schon seine „Wissenschaftslehre" mit gutem Grunde zu ihrer philosophischen Programmschrift ausgerufen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/274>, abgerufen am 27.07.2024.