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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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Zur Reichsbuchwoch"

lich, wie lange es überhaupt gedauert hat, bis eine solche Erkenntnis hinter der
Front Wurzel schlagen konnte. Die in ihrem Sinne sprachen, wurden lange
als halbe Narren schroff abgewiesen. Noch etliche Monate vor Weihnachten
1915 war es nötig, daß der Börsenverein der Deutschen Buchhändler in Leipzig
an seine im Felde stehenden Mitglieder, sowohl Verleger wie Sortimenter, ein
Rundschreiben erließ, um Material zu sammeln und einwandfrei auf diese
Weise zu erfahren, ob draußen überhaupt Bücher erwünscht seien und wie die
Versorgung sich bisher gestellt habe.

Die erste Frage wurde durchweg bejaht. Was aber auf die zweite an
negativen Antworten zu Tage kam, ist im höchsten Grade betrübend.

Seitdem ist vieles auf dem Wege der Besserung. Feldbuchhandlungen,
Bataillonsbibliotheken, fahrbare Feldbüchereien sind errichtet worden. Aber
gerade die Feldbuchhandlungen, deren Aufgabe eine so außerordentlich bedeut¬
same ist, sind zum Teil in die Hände etlicher großer Verleger geraten, die nun
durch sie allzu einseitig ihre Kollektivum vertreiben.

Auf diese Weise wird das Lesebedürfnis im Felde zu einem Unterhaltungs¬
bedürfnis degradiert. Und nichts ist falscher. Niemals noch ist der dem
Deutschen innewohnende Drang nach Belehrung, nach Aufklärung so stark zu
Tage getreten wie jetzt. Und gerade die innerlichsten Momente haben Geltung
bekommen. So nur war es möglich, daß so stille Dichter wie Raabe, Storm
und Keller wahre Triumphe feierten. So nur konnte, was uns mit tiefster
Freude erfüllen sollte, Goethes "Faust" das meist gelesene Buch in unserer
Feldarmee werden.

Den Vertrieb der nur auf gangbarste Absatzartikel eingerichteten Feld¬
buchhandlungen mit zu korrigieren, ist auch eine der Aufgaben der Reichs"
buchwoche 1916.

Was unsere Soldaten brauchen, ist nach der Art und Weise verschieden,
wie sie dem Vaterlande gerade dienen. Der Schützengraben stellt auch in
Hinsicht der Versorgung mit Lektüre andere Anforderungen als die Etappe und
das Lazarett.

Wer Verwandte oder Bekannte in vorderster Linie hat, der schicke ihnen
Bücher kleineren Umfangs, aber gute Bücher, wenn auch Schriften mit sehr
vielen Betrachtungen nicht willkommen sind. Besonders der einfache Mann
braucht dort etwas, das stark und farbig das Leben wiederspiegelt. Keinesfalls
aber schicke man Kriegsliteratur! Die will an der Front niemand haben.
Man kennt dort den Kampf aus eigener Anschauung und sucht in der Lektüre
Ausspannung, Rückkehr in das frühere Leben, da man noch Zivilist war, eine
Brücke zwischen der Vergangenheit über diese blutige Gegenwart hinaus in
eine ruhigere Zukunft.

In den Etappen und Lazaretten zieht mau dickere Bände meist den
dünneren vor. Man darf ja nicht vergessen, wie eintönig dort die Langeweile
ist, wie langsam oft die dienstfreien Stunden vergehen. Sie werden aus--


Zur Reichsbuchwoch«

lich, wie lange es überhaupt gedauert hat, bis eine solche Erkenntnis hinter der
Front Wurzel schlagen konnte. Die in ihrem Sinne sprachen, wurden lange
als halbe Narren schroff abgewiesen. Noch etliche Monate vor Weihnachten
1915 war es nötig, daß der Börsenverein der Deutschen Buchhändler in Leipzig
an seine im Felde stehenden Mitglieder, sowohl Verleger wie Sortimenter, ein
Rundschreiben erließ, um Material zu sammeln und einwandfrei auf diese
Weise zu erfahren, ob draußen überhaupt Bücher erwünscht seien und wie die
Versorgung sich bisher gestellt habe.

Die erste Frage wurde durchweg bejaht. Was aber auf die zweite an
negativen Antworten zu Tage kam, ist im höchsten Grade betrübend.

Seitdem ist vieles auf dem Wege der Besserung. Feldbuchhandlungen,
Bataillonsbibliotheken, fahrbare Feldbüchereien sind errichtet worden. Aber
gerade die Feldbuchhandlungen, deren Aufgabe eine so außerordentlich bedeut¬
same ist, sind zum Teil in die Hände etlicher großer Verleger geraten, die nun
durch sie allzu einseitig ihre Kollektivum vertreiben.

Auf diese Weise wird das Lesebedürfnis im Felde zu einem Unterhaltungs¬
bedürfnis degradiert. Und nichts ist falscher. Niemals noch ist der dem
Deutschen innewohnende Drang nach Belehrung, nach Aufklärung so stark zu
Tage getreten wie jetzt. Und gerade die innerlichsten Momente haben Geltung
bekommen. So nur war es möglich, daß so stille Dichter wie Raabe, Storm
und Keller wahre Triumphe feierten. So nur konnte, was uns mit tiefster
Freude erfüllen sollte, Goethes „Faust" das meist gelesene Buch in unserer
Feldarmee werden.

Den Vertrieb der nur auf gangbarste Absatzartikel eingerichteten Feld¬
buchhandlungen mit zu korrigieren, ist auch eine der Aufgaben der Reichs»
buchwoche 1916.

Was unsere Soldaten brauchen, ist nach der Art und Weise verschieden,
wie sie dem Vaterlande gerade dienen. Der Schützengraben stellt auch in
Hinsicht der Versorgung mit Lektüre andere Anforderungen als die Etappe und
das Lazarett.

Wer Verwandte oder Bekannte in vorderster Linie hat, der schicke ihnen
Bücher kleineren Umfangs, aber gute Bücher, wenn auch Schriften mit sehr
vielen Betrachtungen nicht willkommen sind. Besonders der einfache Mann
braucht dort etwas, das stark und farbig das Leben wiederspiegelt. Keinesfalls
aber schicke man Kriegsliteratur! Die will an der Front niemand haben.
Man kennt dort den Kampf aus eigener Anschauung und sucht in der Lektüre
Ausspannung, Rückkehr in das frühere Leben, da man noch Zivilist war, eine
Brücke zwischen der Vergangenheit über diese blutige Gegenwart hinaus in
eine ruhigere Zukunft.

In den Etappen und Lazaretten zieht mau dickere Bände meist den
dünneren vor. Man darf ja nicht vergessen, wie eintönig dort die Langeweile
ist, wie langsam oft die dienstfreien Stunden vergehen. Sie werden aus--


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[0265] Zur Reichsbuchwoch« lich, wie lange es überhaupt gedauert hat, bis eine solche Erkenntnis hinter der Front Wurzel schlagen konnte. Die in ihrem Sinne sprachen, wurden lange als halbe Narren schroff abgewiesen. Noch etliche Monate vor Weihnachten 1915 war es nötig, daß der Börsenverein der Deutschen Buchhändler in Leipzig an seine im Felde stehenden Mitglieder, sowohl Verleger wie Sortimenter, ein Rundschreiben erließ, um Material zu sammeln und einwandfrei auf diese Weise zu erfahren, ob draußen überhaupt Bücher erwünscht seien und wie die Versorgung sich bisher gestellt habe. Die erste Frage wurde durchweg bejaht. Was aber auf die zweite an negativen Antworten zu Tage kam, ist im höchsten Grade betrübend. Seitdem ist vieles auf dem Wege der Besserung. Feldbuchhandlungen, Bataillonsbibliotheken, fahrbare Feldbüchereien sind errichtet worden. Aber gerade die Feldbuchhandlungen, deren Aufgabe eine so außerordentlich bedeut¬ same ist, sind zum Teil in die Hände etlicher großer Verleger geraten, die nun durch sie allzu einseitig ihre Kollektivum vertreiben. Auf diese Weise wird das Lesebedürfnis im Felde zu einem Unterhaltungs¬ bedürfnis degradiert. Und nichts ist falscher. Niemals noch ist der dem Deutschen innewohnende Drang nach Belehrung, nach Aufklärung so stark zu Tage getreten wie jetzt. Und gerade die innerlichsten Momente haben Geltung bekommen. So nur war es möglich, daß so stille Dichter wie Raabe, Storm und Keller wahre Triumphe feierten. So nur konnte, was uns mit tiefster Freude erfüllen sollte, Goethes „Faust" das meist gelesene Buch in unserer Feldarmee werden. Den Vertrieb der nur auf gangbarste Absatzartikel eingerichteten Feld¬ buchhandlungen mit zu korrigieren, ist auch eine der Aufgaben der Reichs» buchwoche 1916. Was unsere Soldaten brauchen, ist nach der Art und Weise verschieden, wie sie dem Vaterlande gerade dienen. Der Schützengraben stellt auch in Hinsicht der Versorgung mit Lektüre andere Anforderungen als die Etappe und das Lazarett. Wer Verwandte oder Bekannte in vorderster Linie hat, der schicke ihnen Bücher kleineren Umfangs, aber gute Bücher, wenn auch Schriften mit sehr vielen Betrachtungen nicht willkommen sind. Besonders der einfache Mann braucht dort etwas, das stark und farbig das Leben wiederspiegelt. Keinesfalls aber schicke man Kriegsliteratur! Die will an der Front niemand haben. Man kennt dort den Kampf aus eigener Anschauung und sucht in der Lektüre Ausspannung, Rückkehr in das frühere Leben, da man noch Zivilist war, eine Brücke zwischen der Vergangenheit über diese blutige Gegenwart hinaus in eine ruhigere Zukunft. In den Etappen und Lazaretten zieht mau dickere Bände meist den dünneren vor. Man darf ja nicht vergessen, wie eintönig dort die Langeweile ist, wie langsam oft die dienstfreien Stunden vergehen. Sie werden aus--

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/265>, abgerufen am 22.12.2024.