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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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Die Tragödie Georgiens

König Jrakli der Zweite (1760/98), der als Soldat und Staatsmann gleich
genial gewesen sein muß, noch einmal die Perser besiegte. Eine kurze Zeit
äußerer Ruhe genügte, um die georgische Kultur wieder zum Leben zu bringen.
Sein Name wurde in Europa genannt; in den Werken Friedrichs des Großen
und Voltaires ist er zu finden. Fast gleichzeitig mit Jrakli in Ostgeorgien
hatte der Fürst Salomon der Große (1752/82) Westgeorgien vom türkischen
Joch befreit. Für Georgien schien eine neue Blüte heranzunahen.

Mit dem Tode der beiden Fürsten schwand diese Hoffnung. Wieder
wurden Türken und Perser wenn nicht Herren im Lande, so doch ständig
drohende Feinde, deren Vorhandensein einen neuen Aufschwung Georgiens
unmöglich machte. In dieser Zwangslage tat Georgien den verhängnisvollen
Schritt, mit dem es sich selbst das Schicksal schuf, unter dem es noch heute
blutet: es bewarb sich um die Schutzherrschaft Rußlands.

Schon im Jahre 1783 schloß Jraki mit der Kaiserin Katharina der Zweiten
einen Vertrag, der sechs Monate später ratifiziert wurde. Dieser Vertrag
enthält im Wesentlichen die folgenden Bestimmungen:


"Titel und Machtbefugnisse des Zaren von Georgien werden diesem und seinen
Nachkommen bis an das Ende aller Zeiten von Rußland bestätigt. -- Alle Länder, die
früher einmal zu Georgien gehörten, sollen für den Fall ihrer Wiedereinnahme, als
integrierende Teile Georgiens betrachtet werden. -- Die Investitur steht Rußland zu, eS
darf sie jedoch dem ältesten Sohne des Zaren nicht verweigern. -- Die Verfügung über
sämtliche Steuern und Einkünfte des Landes steht beim Zaren, ohne das Rußland sich
irgendwie in ihre Verwendung zu mischen hätte. Die Ernennung zu den hohen Staats-
nmtern geschieht durch den Zaren, Rußland hat von den Ernennungen ohne Einspruchs¬
recht Notiz zu nehmen. -- Der Heilige spröd Rußlands soll sich niemals, unter welchem
Vorwand auch immer, in die Angelegenheiten der autokephalen georgischen Kirche mischen."

Dieser Vertrag, der für die Kaiserin Katharina von Potemkin unter¬
zeichnet wurde, wahrte den Georgiern eine sehr weitgehende politische und
völlige kulturelle Freiheit. Vor allem ist der Paragraph wichtig, der ihnen
die Unantastbarkeit ihrer Kirchenverfassung zusicherte, denn er allein schon
garantierte ihnen den Fortbestand ihrer nationalen Kultur, -- wenn er ge¬
halten wurde.

Wenige Jahre später, 1799. schloß Georg der Zwölfte von Georgien einen
Schutzvertrag mit Kaiser Paul dem Ersten. Dieser Vertrag ging mit seinen
Folgen wesentlich weiter, als der zwischen Jrakli und Katharina abgeschlossene.
Durch ihn wäre Georgien zu einem direkten Vasallenstaat Rußlands geworden.
Die entscheidendenden Bestimmungen dieses Vertrages lauteten:


"Der Kaiser aller Reußen nimmt für sich und seine Nachkommen den Titel des
Laren von Georgien^ an. -- Die Regentenwürde verbleibt dem Sohne des letzten
Königs von Georgien und seinen Nachkommen. -- Georgien bleibt zwölf Jahre steuer¬
frei. -- Die Gold-, Silber- und Kupferbergwerke sollen von den Russen ausgebeutet
werden. -- 6000 Mann russischer Infanterie werden in Georgien stationiert, Festungs-
anlagen werden nach Bedarf errichtet. -- Die Münzen tragen auf der einen Seite das
russische Wappen."

Die Tragödie Georgiens

König Jrakli der Zweite (1760/98), der als Soldat und Staatsmann gleich
genial gewesen sein muß, noch einmal die Perser besiegte. Eine kurze Zeit
äußerer Ruhe genügte, um die georgische Kultur wieder zum Leben zu bringen.
Sein Name wurde in Europa genannt; in den Werken Friedrichs des Großen
und Voltaires ist er zu finden. Fast gleichzeitig mit Jrakli in Ostgeorgien
hatte der Fürst Salomon der Große (1752/82) Westgeorgien vom türkischen
Joch befreit. Für Georgien schien eine neue Blüte heranzunahen.

Mit dem Tode der beiden Fürsten schwand diese Hoffnung. Wieder
wurden Türken und Perser wenn nicht Herren im Lande, so doch ständig
drohende Feinde, deren Vorhandensein einen neuen Aufschwung Georgiens
unmöglich machte. In dieser Zwangslage tat Georgien den verhängnisvollen
Schritt, mit dem es sich selbst das Schicksal schuf, unter dem es noch heute
blutet: es bewarb sich um die Schutzherrschaft Rußlands.

Schon im Jahre 1783 schloß Jraki mit der Kaiserin Katharina der Zweiten
einen Vertrag, der sechs Monate später ratifiziert wurde. Dieser Vertrag
enthält im Wesentlichen die folgenden Bestimmungen:


„Titel und Machtbefugnisse des Zaren von Georgien werden diesem und seinen
Nachkommen bis an das Ende aller Zeiten von Rußland bestätigt. — Alle Länder, die
früher einmal zu Georgien gehörten, sollen für den Fall ihrer Wiedereinnahme, als
integrierende Teile Georgiens betrachtet werden. — Die Investitur steht Rußland zu, eS
darf sie jedoch dem ältesten Sohne des Zaren nicht verweigern. — Die Verfügung über
sämtliche Steuern und Einkünfte des Landes steht beim Zaren, ohne das Rußland sich
irgendwie in ihre Verwendung zu mischen hätte. Die Ernennung zu den hohen Staats-
nmtern geschieht durch den Zaren, Rußland hat von den Ernennungen ohne Einspruchs¬
recht Notiz zu nehmen. — Der Heilige spröd Rußlands soll sich niemals, unter welchem
Vorwand auch immer, in die Angelegenheiten der autokephalen georgischen Kirche mischen."

Dieser Vertrag, der für die Kaiserin Katharina von Potemkin unter¬
zeichnet wurde, wahrte den Georgiern eine sehr weitgehende politische und
völlige kulturelle Freiheit. Vor allem ist der Paragraph wichtig, der ihnen
die Unantastbarkeit ihrer Kirchenverfassung zusicherte, denn er allein schon
garantierte ihnen den Fortbestand ihrer nationalen Kultur, — wenn er ge¬
halten wurde.

Wenige Jahre später, 1799. schloß Georg der Zwölfte von Georgien einen
Schutzvertrag mit Kaiser Paul dem Ersten. Dieser Vertrag ging mit seinen
Folgen wesentlich weiter, als der zwischen Jrakli und Katharina abgeschlossene.
Durch ihn wäre Georgien zu einem direkten Vasallenstaat Rußlands geworden.
Die entscheidendenden Bestimmungen dieses Vertrages lauteten:


„Der Kaiser aller Reußen nimmt für sich und seine Nachkommen den Titel des
Laren von Georgien^ an. — Die Regentenwürde verbleibt dem Sohne des letzten
Königs von Georgien und seinen Nachkommen. — Georgien bleibt zwölf Jahre steuer¬
frei. — Die Gold-, Silber- und Kupferbergwerke sollen von den Russen ausgebeutet
werden. — 6000 Mann russischer Infanterie werden in Georgien stationiert, Festungs-
anlagen werden nach Bedarf errichtet. — Die Münzen tragen auf der einen Seite das
russische Wappen."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/252>, abgerufen am 23.12.2024.