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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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seit diesem Zeitpunkte endlich auch die deutsche Presse ihre politischen Ideen
und Nachrichten zum großen Teil den französischen Blättern. Sie wurde frei¬
willig der fremden Presse dienstbar, und ihre Abhängigkeit von dieser ging so
weit, daß sie während der Koalitionskriege häufig sogar die Berichte über die
Schlachten zwischen Franzosen und Deutschen urteilslos aus den feindlichen
Blättern abdruckte. -- Die wilde Sturmflut des französischen Journalismus
wurde sofort eingedämmt, als Napoleon durch den Staatsstreich vom
18. Brumaire (9. November 1799) zur Macht gelangte. Er dachte bekanntlich
über die Presse anders als Friedrich der Große, der da sagte, "man dürfe die
Freiheit der Gazellen nicht genieren, wenn sie interessant sein sollten," er war
auch der Zeitungskritik gegenüber viel empfindlicher als Cromwell, der meinte:
"Meine Regierung verdient nicht zu bestehen, wenn sie einen Papierschaß nicht
aushalten kann." Er suchte die Teilnahme der erregten Masse von der Politik
abzulenken und richtete für die Zerstreuung der Pariser die Opernbälle ein,
damit die Zeitungen, wie er zu einem Vertrauten äußerte, darüber schreiben
sollten. "Denn so lange sie das tun, werden sich die Leute nicht mit der
Politik beschäftigen, und das ist gerade das, was ich will. Mögen sich die
Leute vergnügen und tanzen, aber sie sollen es bleiben lassen, ihre Nase in die
Pläne der Regierung zu stecken." Napoleon ließ durch einen einzigen Federstrich
fünfundzwanzig Tageblätter von der Bildfläche verschwinden, durch einen Erlaß vom
17. Januar 1800 wurde es nur dreizehn Zeitungen gestattet, weiter zu erscheinen.
Eine Verordnung vom 5. Februar 1810 setzte ein eigenes Generaldirektorium
für die Druckereien und den Buchhandel ein, das, von einer Anzahl Zensoren
gestützt, die Presse beeinflussen und überwachen mußte. Seit dem 3. August 1810
wurde in jedem Departement nur eine Zeitung geduldet, die Zahl der politischen
Blätter in Paris sank auf vier herab. Es waren die "Gazette de France",
das "Journal de Paris", das "Journal de l'Empire" (früher "Journal des
D6half et Döcrets" genannt) und der "Moniteur universel", der 1789 von
dem Buchhändler Joseph Panckouke gegründet war und zum amtlichen Organ
erhoben wurde, dessen Wortlaut für alle französischen Zeitungen maßgebend
war. -- Die Napoleonische Zensur war herrisch wie ein Tagesbefehl und
unabwendbar wie ein Kommandowort. Der Kaiser kannte die Macht der
kleinen, schwarzen Truppen, die Tag für Tag auf dem weißen Papier in Reih
und Glied marschieren, und deren Geschosse auch töten können, nicht den Leib,
aber die Seele. Die Führung dieser Heere ließ er nicht gern in fremden
Händen, er wollte sie selbst befehligen wie die Kriegsmacht der Rheinbund¬
staaten. Die Tagespresse, die gefährliche Waffe, wollte er nach seinem Willen
formen und handhaben und mit ihr diese Vorpostengefechte der Diplomatie
liefern. Über die Leiber herrschte er durch den eisernen Ring, mit dem er die
Nationen umschlossen hielt, die Geister aber wollte er mit dem großen papierener
Netze fangen. -- In der Napoleonischen Zeit wurde die freiwillige Dienstbar¬
keit der deutschen Presse zu einem harten, literarischen Frohndienst. Die


seit diesem Zeitpunkte endlich auch die deutsche Presse ihre politischen Ideen
und Nachrichten zum großen Teil den französischen Blättern. Sie wurde frei¬
willig der fremden Presse dienstbar, und ihre Abhängigkeit von dieser ging so
weit, daß sie während der Koalitionskriege häufig sogar die Berichte über die
Schlachten zwischen Franzosen und Deutschen urteilslos aus den feindlichen
Blättern abdruckte. — Die wilde Sturmflut des französischen Journalismus
wurde sofort eingedämmt, als Napoleon durch den Staatsstreich vom
18. Brumaire (9. November 1799) zur Macht gelangte. Er dachte bekanntlich
über die Presse anders als Friedrich der Große, der da sagte, „man dürfe die
Freiheit der Gazellen nicht genieren, wenn sie interessant sein sollten," er war
auch der Zeitungskritik gegenüber viel empfindlicher als Cromwell, der meinte:
„Meine Regierung verdient nicht zu bestehen, wenn sie einen Papierschaß nicht
aushalten kann." Er suchte die Teilnahme der erregten Masse von der Politik
abzulenken und richtete für die Zerstreuung der Pariser die Opernbälle ein,
damit die Zeitungen, wie er zu einem Vertrauten äußerte, darüber schreiben
sollten. „Denn so lange sie das tun, werden sich die Leute nicht mit der
Politik beschäftigen, und das ist gerade das, was ich will. Mögen sich die
Leute vergnügen und tanzen, aber sie sollen es bleiben lassen, ihre Nase in die
Pläne der Regierung zu stecken." Napoleon ließ durch einen einzigen Federstrich
fünfundzwanzig Tageblätter von der Bildfläche verschwinden, durch einen Erlaß vom
17. Januar 1800 wurde es nur dreizehn Zeitungen gestattet, weiter zu erscheinen.
Eine Verordnung vom 5. Februar 1810 setzte ein eigenes Generaldirektorium
für die Druckereien und den Buchhandel ein, das, von einer Anzahl Zensoren
gestützt, die Presse beeinflussen und überwachen mußte. Seit dem 3. August 1810
wurde in jedem Departement nur eine Zeitung geduldet, die Zahl der politischen
Blätter in Paris sank auf vier herab. Es waren die „Gazette de France",
das „Journal de Paris", das „Journal de l'Empire" (früher „Journal des
D6half et Döcrets" genannt) und der „Moniteur universel", der 1789 von
dem Buchhändler Joseph Panckouke gegründet war und zum amtlichen Organ
erhoben wurde, dessen Wortlaut für alle französischen Zeitungen maßgebend
war. — Die Napoleonische Zensur war herrisch wie ein Tagesbefehl und
unabwendbar wie ein Kommandowort. Der Kaiser kannte die Macht der
kleinen, schwarzen Truppen, die Tag für Tag auf dem weißen Papier in Reih
und Glied marschieren, und deren Geschosse auch töten können, nicht den Leib,
aber die Seele. Die Führung dieser Heere ließ er nicht gern in fremden
Händen, er wollte sie selbst befehligen wie die Kriegsmacht der Rheinbund¬
staaten. Die Tagespresse, die gefährliche Waffe, wollte er nach seinem Willen
formen und handhaben und mit ihr diese Vorpostengefechte der Diplomatie
liefern. Über die Leiber herrschte er durch den eisernen Ring, mit dem er die
Nationen umschlossen hielt, die Geister aber wollte er mit dem großen papierener
Netze fangen. — In der Napoleonischen Zeit wurde die freiwillige Dienstbar¬
keit der deutschen Presse zu einem harten, literarischen Frohndienst. Die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/24>, abgerufen am 01.09.2024.