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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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Die Rriegslyrik der deutschen Arbeiter

kraft haben ihn zum Dichter reifen lassen. In den "Deutschen Werkstätten"
in Dresden-Hellerau stand der Dreiundzwanzigjährige an der Maschine, als ihn
der Krieg zur Fahne einberief. Barthels "Verse aus den Argonnen" sind kein
Kriegsliederbuch im landläufigen Sinne. Aber was diese furchtbaren Argonnen-
kämpfe dem Soldaten an Eindrücken gegeben, ist hier zum stärksten persönlichen
Erleben in seinem Dichterwort geworden. Die Art, wie er dies verkündet,
wertet ihn zum Dichter. Selbst diese erlebten Kriegstage bereiten ihm einen
Ansporn, seine Geisteskraft zu formen, das Leben als eine sich stets er¬
neuernde Welt zu betrachten und deren Seele zu fühlen. Seinen Band
"Goethe-Gedichte" führt er im Tornister mit. Er liest sogar darin während
einer kurzen Ruhepause im Kampfgewühl. Das gibt ihm neue Kraft für
Geist und Körper. Was ihm dieser Heros unter den deutschen Geistesfürsten
bedeutet, sagt sein nach ihm benanntes Gedicht "Goethe". Edel, hilfreich und
gut, so will er den neuen Menschen wissen. Sein Gedicht "Die neue Zeit"
verkündet die gleichen Weltanschauungen; die der all umfassenden Menschen¬
liebe, Denn keine Schlacht mehr tobt. Weich und mild regt's sich in seinen:
Herzen, gedenkt er der Liebsten in der Heimat: "Du bist so gut und sternenrein,
durch dich kann ich begnadet sein". Auch die Natur gibt ihm Herzensschönheit und
Lebensreinheit. Sei es der beginnende Tag, der Sonnenuntergang, der Zauber
der Frühlingsnacht, die er innerlich erlebt als Wunder der Natur. Sein Ge¬
dicht "Der Regen" ist auch sprachlich ein Meisterwerk. Man höre die Schilde¬
rung des Tag und Nacht andauernden Regens:

Auch der weiblichen Schönheit gilt sein Lied und das höchste Ziel ist
ihm, wie er es in seiner "Verkündigung" ersehnt, die Verbrüderung aller Menschen
zu Werken des Friedens und des Segens. Wenn unser Dichter aus dem
Arbeiterstande in jeden: Lebensaugenblick ein neu geprägtes Dasein fühlt und
sagt "ich will die höchste Form, bis mich der Tod zerschlägt", dann mögen
uns unsere Feinde weiter ruhig als Barbaren schmähen. Wir sind uns unseres
eigenen geistigen und sittlichen Wertes bewußt. Max Barthels Gedicht¬
sammlung "Verse aus den Argonnen" ist für alle bestimmt, die Lebensreinheit
und Lebenskraft fühlen.

Alfons Petzold ist der österreichische Arbeiterdichter des Weltkrieges.
Ein Kriegsmann ist er nicht geworden, denn Krankheit zwang ihn daheim zu
bleiben. Mit einem Schlage jedoch hat der Krieg sein früheres Leben ge¬
ändert: "Fleißig standen wir vor Werkbank und sausendem Rad, jubelten über


Die Rriegslyrik der deutschen Arbeiter

kraft haben ihn zum Dichter reifen lassen. In den „Deutschen Werkstätten"
in Dresden-Hellerau stand der Dreiundzwanzigjährige an der Maschine, als ihn
der Krieg zur Fahne einberief. Barthels „Verse aus den Argonnen" sind kein
Kriegsliederbuch im landläufigen Sinne. Aber was diese furchtbaren Argonnen-
kämpfe dem Soldaten an Eindrücken gegeben, ist hier zum stärksten persönlichen
Erleben in seinem Dichterwort geworden. Die Art, wie er dies verkündet,
wertet ihn zum Dichter. Selbst diese erlebten Kriegstage bereiten ihm einen
Ansporn, seine Geisteskraft zu formen, das Leben als eine sich stets er¬
neuernde Welt zu betrachten und deren Seele zu fühlen. Seinen Band
„Goethe-Gedichte" führt er im Tornister mit. Er liest sogar darin während
einer kurzen Ruhepause im Kampfgewühl. Das gibt ihm neue Kraft für
Geist und Körper. Was ihm dieser Heros unter den deutschen Geistesfürsten
bedeutet, sagt sein nach ihm benanntes Gedicht „Goethe". Edel, hilfreich und
gut, so will er den neuen Menschen wissen. Sein Gedicht „Die neue Zeit"
verkündet die gleichen Weltanschauungen; die der all umfassenden Menschen¬
liebe, Denn keine Schlacht mehr tobt. Weich und mild regt's sich in seinen:
Herzen, gedenkt er der Liebsten in der Heimat: „Du bist so gut und sternenrein,
durch dich kann ich begnadet sein". Auch die Natur gibt ihm Herzensschönheit und
Lebensreinheit. Sei es der beginnende Tag, der Sonnenuntergang, der Zauber
der Frühlingsnacht, die er innerlich erlebt als Wunder der Natur. Sein Ge¬
dicht „Der Regen" ist auch sprachlich ein Meisterwerk. Man höre die Schilde¬
rung des Tag und Nacht andauernden Regens:

Auch der weiblichen Schönheit gilt sein Lied und das höchste Ziel ist
ihm, wie er es in seiner „Verkündigung" ersehnt, die Verbrüderung aller Menschen
zu Werken des Friedens und des Segens. Wenn unser Dichter aus dem
Arbeiterstande in jeden: Lebensaugenblick ein neu geprägtes Dasein fühlt und
sagt „ich will die höchste Form, bis mich der Tod zerschlägt", dann mögen
uns unsere Feinde weiter ruhig als Barbaren schmähen. Wir sind uns unseres
eigenen geistigen und sittlichen Wertes bewußt. Max Barthels Gedicht¬
sammlung „Verse aus den Argonnen" ist für alle bestimmt, die Lebensreinheit
und Lebenskraft fühlen.

Alfons Petzold ist der österreichische Arbeiterdichter des Weltkrieges.
Ein Kriegsmann ist er nicht geworden, denn Krankheit zwang ihn daheim zu
bleiben. Mit einem Schlage jedoch hat der Krieg sein früheres Leben ge¬
ändert: „Fleißig standen wir vor Werkbank und sausendem Rad, jubelten über


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[0232] Die Rriegslyrik der deutschen Arbeiter kraft haben ihn zum Dichter reifen lassen. In den „Deutschen Werkstätten" in Dresden-Hellerau stand der Dreiundzwanzigjährige an der Maschine, als ihn der Krieg zur Fahne einberief. Barthels „Verse aus den Argonnen" sind kein Kriegsliederbuch im landläufigen Sinne. Aber was diese furchtbaren Argonnen- kämpfe dem Soldaten an Eindrücken gegeben, ist hier zum stärksten persönlichen Erleben in seinem Dichterwort geworden. Die Art, wie er dies verkündet, wertet ihn zum Dichter. Selbst diese erlebten Kriegstage bereiten ihm einen Ansporn, seine Geisteskraft zu formen, das Leben als eine sich stets er¬ neuernde Welt zu betrachten und deren Seele zu fühlen. Seinen Band „Goethe-Gedichte" führt er im Tornister mit. Er liest sogar darin während einer kurzen Ruhepause im Kampfgewühl. Das gibt ihm neue Kraft für Geist und Körper. Was ihm dieser Heros unter den deutschen Geistesfürsten bedeutet, sagt sein nach ihm benanntes Gedicht „Goethe". Edel, hilfreich und gut, so will er den neuen Menschen wissen. Sein Gedicht „Die neue Zeit" verkündet die gleichen Weltanschauungen; die der all umfassenden Menschen¬ liebe, Denn keine Schlacht mehr tobt. Weich und mild regt's sich in seinen: Herzen, gedenkt er der Liebsten in der Heimat: „Du bist so gut und sternenrein, durch dich kann ich begnadet sein". Auch die Natur gibt ihm Herzensschönheit und Lebensreinheit. Sei es der beginnende Tag, der Sonnenuntergang, der Zauber der Frühlingsnacht, die er innerlich erlebt als Wunder der Natur. Sein Ge¬ dicht „Der Regen" ist auch sprachlich ein Meisterwerk. Man höre die Schilde¬ rung des Tag und Nacht andauernden Regens: Auch der weiblichen Schönheit gilt sein Lied und das höchste Ziel ist ihm, wie er es in seiner „Verkündigung" ersehnt, die Verbrüderung aller Menschen zu Werken des Friedens und des Segens. Wenn unser Dichter aus dem Arbeiterstande in jeden: Lebensaugenblick ein neu geprägtes Dasein fühlt und sagt „ich will die höchste Form, bis mich der Tod zerschlägt", dann mögen uns unsere Feinde weiter ruhig als Barbaren schmähen. Wir sind uns unseres eigenen geistigen und sittlichen Wertes bewußt. Max Barthels Gedicht¬ sammlung „Verse aus den Argonnen" ist für alle bestimmt, die Lebensreinheit und Lebenskraft fühlen. Alfons Petzold ist der österreichische Arbeiterdichter des Weltkrieges. Ein Kriegsmann ist er nicht geworden, denn Krankheit zwang ihn daheim zu bleiben. Mit einem Schlage jedoch hat der Krieg sein früheres Leben ge¬ ändert: „Fleißig standen wir vor Werkbank und sausendem Rad, jubelten über

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/232>, abgerufen am 28.07.2024.