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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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Ueber Heereszahlen alter und neuer Zeit

Einem so gewissenhaften Manne wie Friedrich Wilhelm dem Dritten erschienen
bei Auerstädt die in Wirklichkeit zahlenmäßig schwächeren Framosen nicht bloß
etwa um die Hälfte stärker als die eignen Truppen, sondern er hielt sie sogar
für ziemlich dreimal so stark als sie wirklich waren.

Aber weder falsche Zählung noch falsche Schätzung erklären zur Genüge
die ungeheuerlichen Übertreibungen leichtgläubiger Zeiten, die der Anlaß geworden
sind, daß die historische Kritik gelegentlich die Heereszahlen geradezu für das
Unglaubwürdigste in der Geschichte erklärt hat. Der entscheidende Grund liegt
vielmehr in dem übergewaltigen Erregungszustand, in den durch den Krieg die
Gegner und über sie hinaus auch andere Völker notwendigerweise versetzt werden.
Leidenschaftslos können eben Kriege nicht geführt werden. Wir haben es ja
sogar gesehen, wie auch kühle, an straffe geistige Zucht gewöhnte Gelehrte die
klare Besinnung verloren, wie sie vom voraussetzungslosen Suchen nach Wahr¬
heit auf die wilden Wege der Leidenschaftlichkeit gerieten, In Zeiten aber,
denen sachliche Genauigkeit auch als erstrebenswertes Ziel fremd war, bot der
von Furcht und Stolz, von Haß und Siegesfreude erregten Phantasie mit den
freiesten Spielraum das Gebiet der Zahlen. Die allzeit und überall zu be¬
obachtende natürliche Freude an großen Zahlen verband sich innig mit der den
meisten Menschen an sich eigenen und durch den Krieg aufs höchste gesteigerten
Neigung zu Überschwang und Übertreibung. Fehlten alsann der geschichtlichen
Überlieferung für die Heereszahlen authentische Angaben, was viel öfter der Fall
war als man denkt, so wurden auf Grund auch der wildesten und darum
um so lieber geglaubten Gerüchte runde oder irgendwie typische Zahlen un¬
bedenklich aufgenommen und weitergegeben.




Ueber Heereszahlen alter und neuer Zeit

Einem so gewissenhaften Manne wie Friedrich Wilhelm dem Dritten erschienen
bei Auerstädt die in Wirklichkeit zahlenmäßig schwächeren Framosen nicht bloß
etwa um die Hälfte stärker als die eignen Truppen, sondern er hielt sie sogar
für ziemlich dreimal so stark als sie wirklich waren.

Aber weder falsche Zählung noch falsche Schätzung erklären zur Genüge
die ungeheuerlichen Übertreibungen leichtgläubiger Zeiten, die der Anlaß geworden
sind, daß die historische Kritik gelegentlich die Heereszahlen geradezu für das
Unglaubwürdigste in der Geschichte erklärt hat. Der entscheidende Grund liegt
vielmehr in dem übergewaltigen Erregungszustand, in den durch den Krieg die
Gegner und über sie hinaus auch andere Völker notwendigerweise versetzt werden.
Leidenschaftslos können eben Kriege nicht geführt werden. Wir haben es ja
sogar gesehen, wie auch kühle, an straffe geistige Zucht gewöhnte Gelehrte die
klare Besinnung verloren, wie sie vom voraussetzungslosen Suchen nach Wahr¬
heit auf die wilden Wege der Leidenschaftlichkeit gerieten, In Zeiten aber,
denen sachliche Genauigkeit auch als erstrebenswertes Ziel fremd war, bot der
von Furcht und Stolz, von Haß und Siegesfreude erregten Phantasie mit den
freiesten Spielraum das Gebiet der Zahlen. Die allzeit und überall zu be¬
obachtende natürliche Freude an großen Zahlen verband sich innig mit der den
meisten Menschen an sich eigenen und durch den Krieg aufs höchste gesteigerten
Neigung zu Überschwang und Übertreibung. Fehlten alsann der geschichtlichen
Überlieferung für die Heereszahlen authentische Angaben, was viel öfter der Fall
war als man denkt, so wurden auf Grund auch der wildesten und darum
um so lieber geglaubten Gerüchte runde oder irgendwie typische Zahlen un¬
bedenklich aufgenommen und weitergegeben.




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[0228] Ueber Heereszahlen alter und neuer Zeit Einem so gewissenhaften Manne wie Friedrich Wilhelm dem Dritten erschienen bei Auerstädt die in Wirklichkeit zahlenmäßig schwächeren Framosen nicht bloß etwa um die Hälfte stärker als die eignen Truppen, sondern er hielt sie sogar für ziemlich dreimal so stark als sie wirklich waren. Aber weder falsche Zählung noch falsche Schätzung erklären zur Genüge die ungeheuerlichen Übertreibungen leichtgläubiger Zeiten, die der Anlaß geworden sind, daß die historische Kritik gelegentlich die Heereszahlen geradezu für das Unglaubwürdigste in der Geschichte erklärt hat. Der entscheidende Grund liegt vielmehr in dem übergewaltigen Erregungszustand, in den durch den Krieg die Gegner und über sie hinaus auch andere Völker notwendigerweise versetzt werden. Leidenschaftslos können eben Kriege nicht geführt werden. Wir haben es ja sogar gesehen, wie auch kühle, an straffe geistige Zucht gewöhnte Gelehrte die klare Besinnung verloren, wie sie vom voraussetzungslosen Suchen nach Wahr¬ heit auf die wilden Wege der Leidenschaftlichkeit gerieten, In Zeiten aber, denen sachliche Genauigkeit auch als erstrebenswertes Ziel fremd war, bot der von Furcht und Stolz, von Haß und Siegesfreude erregten Phantasie mit den freiesten Spielraum das Gebiet der Zahlen. Die allzeit und überall zu be¬ obachtende natürliche Freude an großen Zahlen verband sich innig mit der den meisten Menschen an sich eigenen und durch den Krieg aufs höchste gesteigerten Neigung zu Überschwang und Übertreibung. Fehlten alsann der geschichtlichen Überlieferung für die Heereszahlen authentische Angaben, was viel öfter der Fall war als man denkt, so wurden auf Grund auch der wildesten und darum um so lieber geglaubten Gerüchte runde oder irgendwie typische Zahlen un¬ bedenklich aufgenommen und weitergegeben.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/228>, abgerufen am 27.07.2024.