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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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Unsere Gerichte und das feindliche Ausland

ländereigenschaft nach deutschen Gesetzen auf den Bestand und die Erfüllung
von Verträgen einen erheblichen Einfluß ausübt. Dagegen hat Frankreich
nach dem Vorgange Englands durch einen Erlaß alle Verträge mit Deutschen,
Österreichern, Ungarn und mit allen Personen, die in diesen Ländern wohnen,
gleichviel welchem Staate sie angehören, ferner mit allen Deutschen, Öster¬
reichern und Ungarn, die in anderen Ländern, z. B. den Vereinigten Staaten
von Amerika wohnen, für nichtig erklärt. Diese Vorschrift geht viel weiter als
das auch von Deutschland nach dem Vorgange Englands und Frankreichs er¬
lassene Zahlungsverbot. Insbesondere sind Versicherungsverträge erloschen,
Handelsgesellschaften aufgelöst. In England hat der feindliche Fremdling die
Klagefähigkeit verloren, während gegen ihn vor englischen Gerichten geklagt
werden kann. So lange der Krieg dauert, können überhaupt keine Forderungen
entstehen. Oben ist eine Entscheidung eines deutschen Gerichts mitgeteilt über
einen Fall, wo die Vertreter englischer Versicherungsgesellschaften gegen eine
deutsche Gesellschaft wegen eines Rundschreibens die Unterlassungsklage erhoben
hatten mit der Behauptung, das Rundschreiben verstoße gegen die guten Sitten
und sei ein unlauterer Wettbewerb.

Die Zerstörungen deutschen Eigentums, die Plünderungen (seit dem dritten
November 1914 brachten französische Zeitungen ständige Berichte darüber
unter der Überschrift I^a cnasse aux maisons allsmanäes) und die
Mißhandlungen Deutscher, für die eine Genugtuung bisher nicht gewährt ist,
seien hier nur nebenbei erwähnt, etwas ausführlicher soll auf die Strafrechts¬
pflege eingegangen werden. Von einer Berliner Strafkammer wurde ein Russe
von der Anklage der Majestätsbeleidigung freigesprochen, weil er sich nicht be¬
wußt gewesen sei, eine Beleidigung begangen zu haben. In England sind
mehrmals Deutsche wegen geringfügiger Vergehen hart bestraft worden, z. B.
einer, der die Einschreibung als Deutscher versäumt, ein anderer, der bestritten
hatte, noch kriegsdienstpflichtig zu sein, ein dritter, weil er für den Besitz seines
photographischen Apparats keine Erlaubnis eingeholt hatte. Das überaus
harte Urteil eines französischen Gerichts gegen deutsche Arzte, die Wein für
Verwundete "erbeutet" hatten, erregte selbst in Frankreich Unwillen. Deutsche
Offiziere, die beim Rückzug von der Marne wochenlang vergebens versucht
hatten, zum deutschen Heere zurückzugelangen, sind vom Kriegsgericht Chalons
wegen Plünderung und Zerstörung von Hindernissen zu fünf Jahren Gefängnis
verurteilt worden. Über die unwürdige und schmachvolle Behandlung deutscher
Kriegsgefangener ist öfters berichtet worden, die gefangene Besatzung deutscher
Unterseeboote sollte überhaupt nicht als kriegsgefangen angesehen, vielmehr sollten
die Leute wie gemeine Mörder behandelt werden. Das tollste an Recht¬
sprechung ist jedoch der Spruch eines englischen Leichenschaugerichts über die
Opfer eines Zeppelinangriffs: durch ihn sind nämlich unser Kaiser und unser
Kronprinz als mitschuldig an vorsätzlichen Morde erklärt worden.

Zur Kennzeichnung des Geistes der französischen Rechtsprechung sei hier


Unsere Gerichte und das feindliche Ausland

ländereigenschaft nach deutschen Gesetzen auf den Bestand und die Erfüllung
von Verträgen einen erheblichen Einfluß ausübt. Dagegen hat Frankreich
nach dem Vorgange Englands durch einen Erlaß alle Verträge mit Deutschen,
Österreichern, Ungarn und mit allen Personen, die in diesen Ländern wohnen,
gleichviel welchem Staate sie angehören, ferner mit allen Deutschen, Öster¬
reichern und Ungarn, die in anderen Ländern, z. B. den Vereinigten Staaten
von Amerika wohnen, für nichtig erklärt. Diese Vorschrift geht viel weiter als
das auch von Deutschland nach dem Vorgange Englands und Frankreichs er¬
lassene Zahlungsverbot. Insbesondere sind Versicherungsverträge erloschen,
Handelsgesellschaften aufgelöst. In England hat der feindliche Fremdling die
Klagefähigkeit verloren, während gegen ihn vor englischen Gerichten geklagt
werden kann. So lange der Krieg dauert, können überhaupt keine Forderungen
entstehen. Oben ist eine Entscheidung eines deutschen Gerichts mitgeteilt über
einen Fall, wo die Vertreter englischer Versicherungsgesellschaften gegen eine
deutsche Gesellschaft wegen eines Rundschreibens die Unterlassungsklage erhoben
hatten mit der Behauptung, das Rundschreiben verstoße gegen die guten Sitten
und sei ein unlauterer Wettbewerb.

Die Zerstörungen deutschen Eigentums, die Plünderungen (seit dem dritten
November 1914 brachten französische Zeitungen ständige Berichte darüber
unter der Überschrift I^a cnasse aux maisons allsmanäes) und die
Mißhandlungen Deutscher, für die eine Genugtuung bisher nicht gewährt ist,
seien hier nur nebenbei erwähnt, etwas ausführlicher soll auf die Strafrechts¬
pflege eingegangen werden. Von einer Berliner Strafkammer wurde ein Russe
von der Anklage der Majestätsbeleidigung freigesprochen, weil er sich nicht be¬
wußt gewesen sei, eine Beleidigung begangen zu haben. In England sind
mehrmals Deutsche wegen geringfügiger Vergehen hart bestraft worden, z. B.
einer, der die Einschreibung als Deutscher versäumt, ein anderer, der bestritten
hatte, noch kriegsdienstpflichtig zu sein, ein dritter, weil er für den Besitz seines
photographischen Apparats keine Erlaubnis eingeholt hatte. Das überaus
harte Urteil eines französischen Gerichts gegen deutsche Arzte, die Wein für
Verwundete „erbeutet" hatten, erregte selbst in Frankreich Unwillen. Deutsche
Offiziere, die beim Rückzug von der Marne wochenlang vergebens versucht
hatten, zum deutschen Heere zurückzugelangen, sind vom Kriegsgericht Chalons
wegen Plünderung und Zerstörung von Hindernissen zu fünf Jahren Gefängnis
verurteilt worden. Über die unwürdige und schmachvolle Behandlung deutscher
Kriegsgefangener ist öfters berichtet worden, die gefangene Besatzung deutscher
Unterseeboote sollte überhaupt nicht als kriegsgefangen angesehen, vielmehr sollten
die Leute wie gemeine Mörder behandelt werden. Das tollste an Recht¬
sprechung ist jedoch der Spruch eines englischen Leichenschaugerichts über die
Opfer eines Zeppelinangriffs: durch ihn sind nämlich unser Kaiser und unser
Kronprinz als mitschuldig an vorsätzlichen Morde erklärt worden.

Zur Kennzeichnung des Geistes der französischen Rechtsprechung sei hier


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[0194] Unsere Gerichte und das feindliche Ausland ländereigenschaft nach deutschen Gesetzen auf den Bestand und die Erfüllung von Verträgen einen erheblichen Einfluß ausübt. Dagegen hat Frankreich nach dem Vorgange Englands durch einen Erlaß alle Verträge mit Deutschen, Österreichern, Ungarn und mit allen Personen, die in diesen Ländern wohnen, gleichviel welchem Staate sie angehören, ferner mit allen Deutschen, Öster¬ reichern und Ungarn, die in anderen Ländern, z. B. den Vereinigten Staaten von Amerika wohnen, für nichtig erklärt. Diese Vorschrift geht viel weiter als das auch von Deutschland nach dem Vorgange Englands und Frankreichs er¬ lassene Zahlungsverbot. Insbesondere sind Versicherungsverträge erloschen, Handelsgesellschaften aufgelöst. In England hat der feindliche Fremdling die Klagefähigkeit verloren, während gegen ihn vor englischen Gerichten geklagt werden kann. So lange der Krieg dauert, können überhaupt keine Forderungen entstehen. Oben ist eine Entscheidung eines deutschen Gerichts mitgeteilt über einen Fall, wo die Vertreter englischer Versicherungsgesellschaften gegen eine deutsche Gesellschaft wegen eines Rundschreibens die Unterlassungsklage erhoben hatten mit der Behauptung, das Rundschreiben verstoße gegen die guten Sitten und sei ein unlauterer Wettbewerb. Die Zerstörungen deutschen Eigentums, die Plünderungen (seit dem dritten November 1914 brachten französische Zeitungen ständige Berichte darüber unter der Überschrift I^a cnasse aux maisons allsmanäes) und die Mißhandlungen Deutscher, für die eine Genugtuung bisher nicht gewährt ist, seien hier nur nebenbei erwähnt, etwas ausführlicher soll auf die Strafrechts¬ pflege eingegangen werden. Von einer Berliner Strafkammer wurde ein Russe von der Anklage der Majestätsbeleidigung freigesprochen, weil er sich nicht be¬ wußt gewesen sei, eine Beleidigung begangen zu haben. In England sind mehrmals Deutsche wegen geringfügiger Vergehen hart bestraft worden, z. B. einer, der die Einschreibung als Deutscher versäumt, ein anderer, der bestritten hatte, noch kriegsdienstpflichtig zu sein, ein dritter, weil er für den Besitz seines photographischen Apparats keine Erlaubnis eingeholt hatte. Das überaus harte Urteil eines französischen Gerichts gegen deutsche Arzte, die Wein für Verwundete „erbeutet" hatten, erregte selbst in Frankreich Unwillen. Deutsche Offiziere, die beim Rückzug von der Marne wochenlang vergebens versucht hatten, zum deutschen Heere zurückzugelangen, sind vom Kriegsgericht Chalons wegen Plünderung und Zerstörung von Hindernissen zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt worden. Über die unwürdige und schmachvolle Behandlung deutscher Kriegsgefangener ist öfters berichtet worden, die gefangene Besatzung deutscher Unterseeboote sollte überhaupt nicht als kriegsgefangen angesehen, vielmehr sollten die Leute wie gemeine Mörder behandelt werden. Das tollste an Recht¬ sprechung ist jedoch der Spruch eines englischen Leichenschaugerichts über die Opfer eines Zeppelinangriffs: durch ihn sind nämlich unser Kaiser und unser Kronprinz als mitschuldig an vorsätzlichen Morde erklärt worden. Zur Kennzeichnung des Geistes der französischen Rechtsprechung sei hier

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/194>, abgerufen am 01.09.2024.