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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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Die Auslose der Bcgabien

"Vorschriften" nicht genügen konnte, seine Heimat verlassen, um sich im Aus¬
lande ein Arbeitsfeld zu suchen, wo man weniger engherzig war. Andere
Völker haben den Nutzen davon gehabt. Sollen wir auch in Zukunft solche
Männer abstoßen, die oft genug unter Mühen und Entbehrungen sich das
angeeignet haben, was sie für den Beruf nötig hatten, obschon sie in ihrer
Jugend die vorgeschriebenen Schulen nicht besuchen und die vorgeschriebenen
Prüfungen nicht machen konnten? Eine organisierte Fürsorge darf das nicht
dulden; sie muß die bestehenden Schwierigkeiten beseitigen, die bei gutem Willen
überwunden werden können. Man kann es denen, die durch Prüfungen gewisse
Vorbedingungen erfüllt haben, nicht verdenken, wenn sie darauf bedacht sind,
sich nun auch die erworbenen Vorrechte zu sichern und keinen in ihren Kreis
M lassen, der die Vorbedingungen nicht erfüllt hat; wenn sie aus Standes¬
interessen den Aufstieg der Autodidakten bekämpfen. Hier kann nur der Staat
helfen, und den Weg hat der Krieg mit seinen Notprüfungen gezeigt. Menschen,
die sich durch ihre Arbeit hervorragend brauchbar erwiesen haben, soll man
Gelegenheit geben, sich unter erleichterten Bedingungen das vorgeschriebene
Zeugnis zu verschaffen. Damit sind dann die Gründe hinfällig geworden, die
der weiteren Laufbahn im Wege stehen; denn die Vorbedingungen sind ja
erfüllt. Schon die Möglichkeit, trotz abnormer Bildungslaufbahn doch zum
Ziele kommen zu können, wird für viele tüchtige Menschen ein Ansporn zum
Weiterstreben sein.

"Wenn das Kamel und der edle Renner im Wüstensande um die Wette
laufen, dann siegt das Kamel". Der tüchtigste Mensch verfehlt sein Leben,
wenn er nicht aus den Platz kommt, auf dem er seine Fähigkeiten verwenden
kann. Für sein Volk aber ist das verfehlte Leben ein vielleicht unersetzlicher
Verlust. Das deutsche Volk kann aber in der nächsten Zukunft viele solcher
Verluste nicht ohne Schaden ertragen, und deshalb muß es eine organisierte
Auslese seiner Begabten und eine geordnete Fürsorge für die Tüchtigen in die
Wege leiten.




Die Auslose der Bcgabien

„Vorschriften" nicht genügen konnte, seine Heimat verlassen, um sich im Aus¬
lande ein Arbeitsfeld zu suchen, wo man weniger engherzig war. Andere
Völker haben den Nutzen davon gehabt. Sollen wir auch in Zukunft solche
Männer abstoßen, die oft genug unter Mühen und Entbehrungen sich das
angeeignet haben, was sie für den Beruf nötig hatten, obschon sie in ihrer
Jugend die vorgeschriebenen Schulen nicht besuchen und die vorgeschriebenen
Prüfungen nicht machen konnten? Eine organisierte Fürsorge darf das nicht
dulden; sie muß die bestehenden Schwierigkeiten beseitigen, die bei gutem Willen
überwunden werden können. Man kann es denen, die durch Prüfungen gewisse
Vorbedingungen erfüllt haben, nicht verdenken, wenn sie darauf bedacht sind,
sich nun auch die erworbenen Vorrechte zu sichern und keinen in ihren Kreis
M lassen, der die Vorbedingungen nicht erfüllt hat; wenn sie aus Standes¬
interessen den Aufstieg der Autodidakten bekämpfen. Hier kann nur der Staat
helfen, und den Weg hat der Krieg mit seinen Notprüfungen gezeigt. Menschen,
die sich durch ihre Arbeit hervorragend brauchbar erwiesen haben, soll man
Gelegenheit geben, sich unter erleichterten Bedingungen das vorgeschriebene
Zeugnis zu verschaffen. Damit sind dann die Gründe hinfällig geworden, die
der weiteren Laufbahn im Wege stehen; denn die Vorbedingungen sind ja
erfüllt. Schon die Möglichkeit, trotz abnormer Bildungslaufbahn doch zum
Ziele kommen zu können, wird für viele tüchtige Menschen ein Ansporn zum
Weiterstreben sein.

„Wenn das Kamel und der edle Renner im Wüstensande um die Wette
laufen, dann siegt das Kamel". Der tüchtigste Mensch verfehlt sein Leben,
wenn er nicht aus den Platz kommt, auf dem er seine Fähigkeiten verwenden
kann. Für sein Volk aber ist das verfehlte Leben ein vielleicht unersetzlicher
Verlust. Das deutsche Volk kann aber in der nächsten Zukunft viele solcher
Verluste nicht ohne Schaden ertragen, und deshalb muß es eine organisierte
Auslese seiner Begabten und eine geordnete Fürsorge für die Tüchtigen in die
Wege leiten.




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[0185] Die Auslose der Bcgabien „Vorschriften" nicht genügen konnte, seine Heimat verlassen, um sich im Aus¬ lande ein Arbeitsfeld zu suchen, wo man weniger engherzig war. Andere Völker haben den Nutzen davon gehabt. Sollen wir auch in Zukunft solche Männer abstoßen, die oft genug unter Mühen und Entbehrungen sich das angeeignet haben, was sie für den Beruf nötig hatten, obschon sie in ihrer Jugend die vorgeschriebenen Schulen nicht besuchen und die vorgeschriebenen Prüfungen nicht machen konnten? Eine organisierte Fürsorge darf das nicht dulden; sie muß die bestehenden Schwierigkeiten beseitigen, die bei gutem Willen überwunden werden können. Man kann es denen, die durch Prüfungen gewisse Vorbedingungen erfüllt haben, nicht verdenken, wenn sie darauf bedacht sind, sich nun auch die erworbenen Vorrechte zu sichern und keinen in ihren Kreis M lassen, der die Vorbedingungen nicht erfüllt hat; wenn sie aus Standes¬ interessen den Aufstieg der Autodidakten bekämpfen. Hier kann nur der Staat helfen, und den Weg hat der Krieg mit seinen Notprüfungen gezeigt. Menschen, die sich durch ihre Arbeit hervorragend brauchbar erwiesen haben, soll man Gelegenheit geben, sich unter erleichterten Bedingungen das vorgeschriebene Zeugnis zu verschaffen. Damit sind dann die Gründe hinfällig geworden, die der weiteren Laufbahn im Wege stehen; denn die Vorbedingungen sind ja erfüllt. Schon die Möglichkeit, trotz abnormer Bildungslaufbahn doch zum Ziele kommen zu können, wird für viele tüchtige Menschen ein Ansporn zum Weiterstreben sein. „Wenn das Kamel und der edle Renner im Wüstensande um die Wette laufen, dann siegt das Kamel". Der tüchtigste Mensch verfehlt sein Leben, wenn er nicht aus den Platz kommt, auf dem er seine Fähigkeiten verwenden kann. Für sein Volk aber ist das verfehlte Leben ein vielleicht unersetzlicher Verlust. Das deutsche Volk kann aber in der nächsten Zukunft viele solcher Verluste nicht ohne Schaden ertragen, und deshalb muß es eine organisierte Auslese seiner Begabten und eine geordnete Fürsorge für die Tüchtigen in die Wege leiten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/185>, abgerufen am 01.09.2024.