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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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ein rechtschaffener, überaus kluger, in Finanz-- und Handelsfragen mit schärfster
Einsicht begabter Geschäftsmann, der trotz politisch freier Denkungsart bei der
Regierung in hohem Ansehen stand und für den finanziellen Berater des
Kaisers Franz galt; ein reiches Leben war über ihn hinweggegangen, das er
nach der ihm eigenen Art in sich verarbeitet hatte; er wurde mit Recht für ein
etwas altväterisches Original angesehen, dessen Antlitz aber den Ausdruck froher
Heiterkeit trug, die in Witz und Laune reichlich ausströmte. Für geistig
Strebende, zumal Künstler, hatte er ein warmes Herz. Seine Gattin, zwei
Jahre jünger als ihre Schwester Fanny, der sie an Lebhaftigkeit nachstand,
vereinigte mit dem feinen Ton einer vornehmen Dame viel freundliches Wohl¬
wollen, das auch dem Geringsten ihrer Gäste zugute kam. Sie war eine begabte
Frau, der gegenüber selbst Wilhelm von Humboldt, einer der Vertreter Preußens
aus dem Kongresse, sich wohl über die politische Lage ausließ, und daß es ihr
an warmen Gemütsregungen nicht mangelte, beweist ein an Goethe gerichteter,
aus ihrer Feder stammender Brief vom 11. November 1812, in dem sie den
Tod ihrer Schwägerin, einer Frau von Flies, und denjenigen der Baronin
Eybenberg beklagt. Auch das Haus Eskeles war wie das Arnsteinsche zur
Kongreßzeit ein Sammelpunkt für alles, was Wien an Einheimischen und
Fremden. Vornehmen und Geringen, vom mächtigen Fürsten bis zum armen
Künstler Ausgezeichnetes besaß; vor allem vereinigte sein Salon häufig die
Spitzen der Diplomatie. Wenn man bei Arnstems mehr ein buntes Durch¬
einander fand, so trafen sich bei Eskeles hauptsächlich gewählte kleinere Zirkel;
gab es pompöse Festlichkeiten, entschlüpfte der Hausherr, nachdem er die Pflichten
der Repräsentation erfüllt hatte, gern in ein Hinterstübchen, um dort im Kreise
alter Haus- und kluger Geschäftsfreunde den Abend bei Bier und Tabak zu
beschließen. Goethe hatte die Familie Eskeles 1803 in Franzensbad kennen
gelernt: er las ihnen aus seinen Gedichten vor, tafelte an ihrem Tische gut
und freute sich der zwanglosen, durch Anekdoten und Witze gewürzten Unter¬
haltung. Der Reiz der vom Tag lebenden Gesellschaft verflatterte freilich mit
dem Augenblick, und der dauernde Gewinn dieser Stunden war für den Geiste?-
gewaltigen nicht groß. Doch blieb er, wie wir sahen, mit dem Eskeles'sehen
Kreise in Verbindung.

Mehr als hundert Jahre sind dahingegangen, seit der Kongreß tagte; aber
wer sich dös farbenprächtige Bild rekonstruieren will, wird in dem bunten
Ensemble einen so bescheidenen wie wichtigen Faktor nicht übersehen dürfen:
das Judentum.




ein rechtschaffener, überaus kluger, in Finanz-- und Handelsfragen mit schärfster
Einsicht begabter Geschäftsmann, der trotz politisch freier Denkungsart bei der
Regierung in hohem Ansehen stand und für den finanziellen Berater des
Kaisers Franz galt; ein reiches Leben war über ihn hinweggegangen, das er
nach der ihm eigenen Art in sich verarbeitet hatte; er wurde mit Recht für ein
etwas altväterisches Original angesehen, dessen Antlitz aber den Ausdruck froher
Heiterkeit trug, die in Witz und Laune reichlich ausströmte. Für geistig
Strebende, zumal Künstler, hatte er ein warmes Herz. Seine Gattin, zwei
Jahre jünger als ihre Schwester Fanny, der sie an Lebhaftigkeit nachstand,
vereinigte mit dem feinen Ton einer vornehmen Dame viel freundliches Wohl¬
wollen, das auch dem Geringsten ihrer Gäste zugute kam. Sie war eine begabte
Frau, der gegenüber selbst Wilhelm von Humboldt, einer der Vertreter Preußens
aus dem Kongresse, sich wohl über die politische Lage ausließ, und daß es ihr
an warmen Gemütsregungen nicht mangelte, beweist ein an Goethe gerichteter,
aus ihrer Feder stammender Brief vom 11. November 1812, in dem sie den
Tod ihrer Schwägerin, einer Frau von Flies, und denjenigen der Baronin
Eybenberg beklagt. Auch das Haus Eskeles war wie das Arnsteinsche zur
Kongreßzeit ein Sammelpunkt für alles, was Wien an Einheimischen und
Fremden. Vornehmen und Geringen, vom mächtigen Fürsten bis zum armen
Künstler Ausgezeichnetes besaß; vor allem vereinigte sein Salon häufig die
Spitzen der Diplomatie. Wenn man bei Arnstems mehr ein buntes Durch¬
einander fand, so trafen sich bei Eskeles hauptsächlich gewählte kleinere Zirkel;
gab es pompöse Festlichkeiten, entschlüpfte der Hausherr, nachdem er die Pflichten
der Repräsentation erfüllt hatte, gern in ein Hinterstübchen, um dort im Kreise
alter Haus- und kluger Geschäftsfreunde den Abend bei Bier und Tabak zu
beschließen. Goethe hatte die Familie Eskeles 1803 in Franzensbad kennen
gelernt: er las ihnen aus seinen Gedichten vor, tafelte an ihrem Tische gut
und freute sich der zwanglosen, durch Anekdoten und Witze gewürzten Unter¬
haltung. Der Reiz der vom Tag lebenden Gesellschaft verflatterte freilich mit
dem Augenblick, und der dauernde Gewinn dieser Stunden war für den Geiste?-
gewaltigen nicht groß. Doch blieb er, wie wir sahen, mit dem Eskeles'sehen
Kreise in Verbindung.

Mehr als hundert Jahre sind dahingegangen, seit der Kongreß tagte; aber
wer sich dös farbenprächtige Bild rekonstruieren will, wird in dem bunten
Ensemble einen so bescheidenen wie wichtigen Faktor nicht übersehen dürfen:
das Judentum.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/166>, abgerufen am 01.09.2024.