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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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Das Judentum auf dem Wiener Kongreß

sondern wer man war, darauf kam es an; für Leib und Seele fanden die
Gäste hier die reichste Labung, sie brachten Blüten und Früchte ihres Innen¬
lebens, um andere dafür einzusammeln, und der Ton, der in diesen Räumen
erklang, war gestimmt auf die Postulate feinster Geselligkeit. "Arnsteins scheinen
mehr als sonst en voZus", schrieb Vamhagen daher am 12. Oktober 1814
an Rahel. Und als das Weihnachtsfest dieses Jahres herankam, erlebte das
Haus einen neuen Triumph. In Wien kannte man eine Feier, wie sie in
Norddeutschland Sitte ist, nicht; aber Frau Fmnziska hatte die alte, liebe
Berliner Gewohnheit festgehalten und für den Heiligen Abend alle zum Kongreß
anwesenden preußischen Kapazitäten geladen, von denen jeder unter dem brennen¬
den Tannenbäume sein Geschenk erhielt. Es waren viele hohe preußische Be¬
amte dort, selbst der Staatskanzler Fürst Hardenberg erschie".

Die Vorzüge der Frau von Arnstein gingen auf ihr einziges, 1780 ge¬
borenes Kind Henriette über, die 1802 deu reichen Heinrich Pereira heiratete;
dieser wurde dann von seinem Schwiegervater adoptiert und später unter dem
Namen Pereira ° Arnstein in den Freiherrenstand erhoben. "Jettchen" Pereira
war so liebenswürdig wie geistreich und hatte auch literarische Interessen; in
ihrem Salon boten Tanz, Musi! und Vorlesen willkommene Abwechslung.
Theodor Körner fand an ihr eine Gönnerin, und als dessen Eltern im August
1812 ihren Sohn in Wien besuchten, verkehrten sie viel Sei Pereims. Frau
Henriette, eine begabte Schülerin Clementis und enthusiastische Verehrerin
Haydus, spielte gern in dem Salon des aus Schillers Jugendgeschichte bekannten
Klavierbauers und Musiklehrers Streicher, wo man sich ganz besonders für die
Kompositionen des Prinzen Louis Ferdinand interessierte. Während der Kongre߬
tage wirkte sie hier Mitte November 1814 in einem Trio des fürstlichen Ton¬
dichters mit und spielte im Mürz des folgenden Jahres an derselben Stelle
unter großem Beifall mit einer anderen Dame ein Klavierkonzert zu vier
Händen. Ssx Mx chi.e rassige Frau von hervorragender, allerdings prononciert
semitischer Schönheit; das Grassi'sche Gemälde, auf dem sie, gewissermaßen die
Gastlichkeit darstellend, eine Schale mit Früchten darbietet, läßt sie als reizendes
Wesen erscheinen. Dafür hielt sie jedenfalls auch der Fürst Moritz Dietrichstein,
der Mäzen, Freund Beethovens und spätere Erzieher des einstigen "Königs
von Rom", der auf einem Kongreßballe des Bankiers Johann Heinrich Geymüller
einen Walzer mit ihr tanzte, bei dem sich die sonst so gewandte Frau in den
Falten ihres Kleides verwickelte und mitsamt ihrem Kavalier einen bösen Fall
tat, ein Ereignis, das längere Zeit in der vornehmen Gesellschaft lebhaft be¬
sprochen wurde. Bezeichnend für den geistigen Standpunkt der im übrigen völlig
aufgeklärten Dame ist die Tatsache, daß in ihrem Hause die ihr befreundete
Gräfin Engl mit all dem feierlichen Ernste, den eine so wichtige Handlung er¬
fordert, die Karten zu schlagen pflegte.

Auch bei Arnsteins Schwager und Kompagnon, dem Freiherrn Bernhard
von Eskeles, herrschte reger gesellschaftlicher Verkehr. Der Hausherr selbst war


Das Judentum auf dem Wiener Kongreß

sondern wer man war, darauf kam es an; für Leib und Seele fanden die
Gäste hier die reichste Labung, sie brachten Blüten und Früchte ihres Innen¬
lebens, um andere dafür einzusammeln, und der Ton, der in diesen Räumen
erklang, war gestimmt auf die Postulate feinster Geselligkeit. „Arnsteins scheinen
mehr als sonst en voZus", schrieb Vamhagen daher am 12. Oktober 1814
an Rahel. Und als das Weihnachtsfest dieses Jahres herankam, erlebte das
Haus einen neuen Triumph. In Wien kannte man eine Feier, wie sie in
Norddeutschland Sitte ist, nicht; aber Frau Fmnziska hatte die alte, liebe
Berliner Gewohnheit festgehalten und für den Heiligen Abend alle zum Kongreß
anwesenden preußischen Kapazitäten geladen, von denen jeder unter dem brennen¬
den Tannenbäume sein Geschenk erhielt. Es waren viele hohe preußische Be¬
amte dort, selbst der Staatskanzler Fürst Hardenberg erschie».

Die Vorzüge der Frau von Arnstein gingen auf ihr einziges, 1780 ge¬
borenes Kind Henriette über, die 1802 deu reichen Heinrich Pereira heiratete;
dieser wurde dann von seinem Schwiegervater adoptiert und später unter dem
Namen Pereira ° Arnstein in den Freiherrenstand erhoben. „Jettchen" Pereira
war so liebenswürdig wie geistreich und hatte auch literarische Interessen; in
ihrem Salon boten Tanz, Musi! und Vorlesen willkommene Abwechslung.
Theodor Körner fand an ihr eine Gönnerin, und als dessen Eltern im August
1812 ihren Sohn in Wien besuchten, verkehrten sie viel Sei Pereims. Frau
Henriette, eine begabte Schülerin Clementis und enthusiastische Verehrerin
Haydus, spielte gern in dem Salon des aus Schillers Jugendgeschichte bekannten
Klavierbauers und Musiklehrers Streicher, wo man sich ganz besonders für die
Kompositionen des Prinzen Louis Ferdinand interessierte. Während der Kongre߬
tage wirkte sie hier Mitte November 1814 in einem Trio des fürstlichen Ton¬
dichters mit und spielte im Mürz des folgenden Jahres an derselben Stelle
unter großem Beifall mit einer anderen Dame ein Klavierkonzert zu vier
Händen. Ssx Mx chi.e rassige Frau von hervorragender, allerdings prononciert
semitischer Schönheit; das Grassi'sche Gemälde, auf dem sie, gewissermaßen die
Gastlichkeit darstellend, eine Schale mit Früchten darbietet, läßt sie als reizendes
Wesen erscheinen. Dafür hielt sie jedenfalls auch der Fürst Moritz Dietrichstein,
der Mäzen, Freund Beethovens und spätere Erzieher des einstigen „Königs
von Rom", der auf einem Kongreßballe des Bankiers Johann Heinrich Geymüller
einen Walzer mit ihr tanzte, bei dem sich die sonst so gewandte Frau in den
Falten ihres Kleides verwickelte und mitsamt ihrem Kavalier einen bösen Fall
tat, ein Ereignis, das längere Zeit in der vornehmen Gesellschaft lebhaft be¬
sprochen wurde. Bezeichnend für den geistigen Standpunkt der im übrigen völlig
aufgeklärten Dame ist die Tatsache, daß in ihrem Hause die ihr befreundete
Gräfin Engl mit all dem feierlichen Ernste, den eine so wichtige Handlung er¬
fordert, die Karten zu schlagen pflegte.

Auch bei Arnsteins Schwager und Kompagnon, dem Freiherrn Bernhard
von Eskeles, herrschte reger gesellschaftlicher Verkehr. Der Hausherr selbst war


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[0165] Das Judentum auf dem Wiener Kongreß sondern wer man war, darauf kam es an; für Leib und Seele fanden die Gäste hier die reichste Labung, sie brachten Blüten und Früchte ihres Innen¬ lebens, um andere dafür einzusammeln, und der Ton, der in diesen Räumen erklang, war gestimmt auf die Postulate feinster Geselligkeit. „Arnsteins scheinen mehr als sonst en voZus", schrieb Vamhagen daher am 12. Oktober 1814 an Rahel. Und als das Weihnachtsfest dieses Jahres herankam, erlebte das Haus einen neuen Triumph. In Wien kannte man eine Feier, wie sie in Norddeutschland Sitte ist, nicht; aber Frau Fmnziska hatte die alte, liebe Berliner Gewohnheit festgehalten und für den Heiligen Abend alle zum Kongreß anwesenden preußischen Kapazitäten geladen, von denen jeder unter dem brennen¬ den Tannenbäume sein Geschenk erhielt. Es waren viele hohe preußische Be¬ amte dort, selbst der Staatskanzler Fürst Hardenberg erschie». Die Vorzüge der Frau von Arnstein gingen auf ihr einziges, 1780 ge¬ borenes Kind Henriette über, die 1802 deu reichen Heinrich Pereira heiratete; dieser wurde dann von seinem Schwiegervater adoptiert und später unter dem Namen Pereira ° Arnstein in den Freiherrenstand erhoben. „Jettchen" Pereira war so liebenswürdig wie geistreich und hatte auch literarische Interessen; in ihrem Salon boten Tanz, Musi! und Vorlesen willkommene Abwechslung. Theodor Körner fand an ihr eine Gönnerin, und als dessen Eltern im August 1812 ihren Sohn in Wien besuchten, verkehrten sie viel Sei Pereims. Frau Henriette, eine begabte Schülerin Clementis und enthusiastische Verehrerin Haydus, spielte gern in dem Salon des aus Schillers Jugendgeschichte bekannten Klavierbauers und Musiklehrers Streicher, wo man sich ganz besonders für die Kompositionen des Prinzen Louis Ferdinand interessierte. Während der Kongre߬ tage wirkte sie hier Mitte November 1814 in einem Trio des fürstlichen Ton¬ dichters mit und spielte im Mürz des folgenden Jahres an derselben Stelle unter großem Beifall mit einer anderen Dame ein Klavierkonzert zu vier Händen. Ssx Mx chi.e rassige Frau von hervorragender, allerdings prononciert semitischer Schönheit; das Grassi'sche Gemälde, auf dem sie, gewissermaßen die Gastlichkeit darstellend, eine Schale mit Früchten darbietet, läßt sie als reizendes Wesen erscheinen. Dafür hielt sie jedenfalls auch der Fürst Moritz Dietrichstein, der Mäzen, Freund Beethovens und spätere Erzieher des einstigen „Königs von Rom", der auf einem Kongreßballe des Bankiers Johann Heinrich Geymüller einen Walzer mit ihr tanzte, bei dem sich die sonst so gewandte Frau in den Falten ihres Kleides verwickelte und mitsamt ihrem Kavalier einen bösen Fall tat, ein Ereignis, das längere Zeit in der vornehmen Gesellschaft lebhaft be¬ sprochen wurde. Bezeichnend für den geistigen Standpunkt der im übrigen völlig aufgeklärten Dame ist die Tatsache, daß in ihrem Hause die ihr befreundete Gräfin Engl mit all dem feierlichen Ernste, den eine so wichtige Handlung er¬ fordert, die Karten zu schlagen pflegte. Auch bei Arnsteins Schwager und Kompagnon, dem Freiherrn Bernhard von Eskeles, herrschte reger gesellschaftlicher Verkehr. Der Hausherr selbst war

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/165>, abgerufen am 01.09.2024.