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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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Das Judentum auf dem Wiener Kongreß

Berliner Kreises, in dein sie den Gästen, darunter dem Prinzen Louis Ferdinand,
des geistvollen Königs genialen Neffen, Goethes Werke analysiert hatte; ihr
neues Heim, ein bureau ä'6Spuk. in dem man mehr Gewicht auf Geist und
Gemüt als auf die Entfaltung kostspieligen Prunkes legte, wurde bald zu einem
Mittelpunkte anregenden Gedankenaustausches. Und auch der jüdische Arzt
und Schriftsteller Dr. Koreff, der als Leibmedicus des Fürsten Hardenberg
mit diesem nach Wien gekommen war und sich schnell eine praxig ele^us
gründete, spielte -- um neben den Damen doch auch einen Herrn zu nennen --
w den vornehmen Kreisen des Kongresses eine geistig anregende Rolle.

Eine andere Gruppe jüdischer Besucher der großen politischen Tagung
waren Bittsteller, gekommen, die Interessen ihrer Glaubensgenossen wahr¬
zunehmen; so ein Bankier Lämel, Vertreter der Prager Judenschaft, und Jakob
Baruch, der Vater Ludwig Börnes, den die jüdischen Einwohner der Stadt
Frankfurt am Main entsandt hatten, um den drohenden Verlust ihrer neu¬
erworbenen bürgerlichen Rechte abzuwehren. Jüdischen Ursprungs war auch
ein gewisser schon 1771 nach Wien verschlagener, aus dürftigen Verhältnissen
stammender Epstein, der es bis zum Sekretär der böhmischen Hofkanzlei
brachte, unter dem Namen v. Ankerberg geadelt wurde und zur Zeit des
Kongresses durch Geist, Witz, mannigfache Kenntnisse, sein vortreffliches Schach¬
spiel und eine berühmte Münzensammlung glänzte. Als Musikfreund aber
und weit den Dilettantismus überragenden Tonkünstler lernen wir den ebenfalls
einer jüdischen Familie entstammenden Joseph Honig, Edlen v. Henikstein,
einen Wiener Großkaufmann, kennen, der Mozarts Freund gewesen war und
auch Beethoven förderte; er spielte meisterhaft die Mandoline wie das Violon¬
cello, wirkte auch gern als Quartettspieler, und die musikalischen Abende in
seinem Hause waren berühmt.

Das Hauptkontingent der bei den vornehmen Kreisen des Kongresses
akkreditierten Juden stellten aber, wie oben angedeutet, die Bankiers. Unter
ihnen finden wir den Wiener Großhändler Leopold Anton Eilau, der besonders
zu dem Könige von Bayern gute Beziehungen hatte und später von diesem
geadelt wurde, dann Leopold Herz, bei dem die beste Gesellschaft verkehrte, um
sich an seinen auserlesenen Diners zu ergötzen. Gleich am Tage nach seiner
Ankunft speiste beispielsweise Wellington mit Lord Castlereagh, Lord Stewart,
dem Fürsten Metternich und Talleyrand wie anderen hochgestellten Persönlich¬
keiten bei ihm zu Mittag. Vielleicht hatte Metternich den berühmten Briten
Angeführt; nach dem Urteile weiter Kreise sollte der österreichische Staatsmann
den Juden Herz protegieren, weil er ihm Geld schulde. Auch das Geynmllersche
Haus, vertreten durch die beiden mit ihrem Neffen assoziierten Bankiers dieses
Namens, spielte eine große Rolle; es besorgte während des Kongresses, um nur
dieses eine anzuführen, die Geldgeschäfte Talleyrands. Als eine Leuchte der
Gesellschaft glänzte zumal Frau Rosalie von Geymüller; diese war früher in
der sehr begüterten gräflich Fries'schen Familie, deren Chef, Graf Moritz, aller-


Das Judentum auf dem Wiener Kongreß

Berliner Kreises, in dein sie den Gästen, darunter dem Prinzen Louis Ferdinand,
des geistvollen Königs genialen Neffen, Goethes Werke analysiert hatte; ihr
neues Heim, ein bureau ä'6Spuk. in dem man mehr Gewicht auf Geist und
Gemüt als auf die Entfaltung kostspieligen Prunkes legte, wurde bald zu einem
Mittelpunkte anregenden Gedankenaustausches. Und auch der jüdische Arzt
und Schriftsteller Dr. Koreff, der als Leibmedicus des Fürsten Hardenberg
mit diesem nach Wien gekommen war und sich schnell eine praxig ele^us
gründete, spielte — um neben den Damen doch auch einen Herrn zu nennen —
w den vornehmen Kreisen des Kongresses eine geistig anregende Rolle.

Eine andere Gruppe jüdischer Besucher der großen politischen Tagung
waren Bittsteller, gekommen, die Interessen ihrer Glaubensgenossen wahr¬
zunehmen; so ein Bankier Lämel, Vertreter der Prager Judenschaft, und Jakob
Baruch, der Vater Ludwig Börnes, den die jüdischen Einwohner der Stadt
Frankfurt am Main entsandt hatten, um den drohenden Verlust ihrer neu¬
erworbenen bürgerlichen Rechte abzuwehren. Jüdischen Ursprungs war auch
ein gewisser schon 1771 nach Wien verschlagener, aus dürftigen Verhältnissen
stammender Epstein, der es bis zum Sekretär der böhmischen Hofkanzlei
brachte, unter dem Namen v. Ankerberg geadelt wurde und zur Zeit des
Kongresses durch Geist, Witz, mannigfache Kenntnisse, sein vortreffliches Schach¬
spiel und eine berühmte Münzensammlung glänzte. Als Musikfreund aber
und weit den Dilettantismus überragenden Tonkünstler lernen wir den ebenfalls
einer jüdischen Familie entstammenden Joseph Honig, Edlen v. Henikstein,
einen Wiener Großkaufmann, kennen, der Mozarts Freund gewesen war und
auch Beethoven förderte; er spielte meisterhaft die Mandoline wie das Violon¬
cello, wirkte auch gern als Quartettspieler, und die musikalischen Abende in
seinem Hause waren berühmt.

Das Hauptkontingent der bei den vornehmen Kreisen des Kongresses
akkreditierten Juden stellten aber, wie oben angedeutet, die Bankiers. Unter
ihnen finden wir den Wiener Großhändler Leopold Anton Eilau, der besonders
zu dem Könige von Bayern gute Beziehungen hatte und später von diesem
geadelt wurde, dann Leopold Herz, bei dem die beste Gesellschaft verkehrte, um
sich an seinen auserlesenen Diners zu ergötzen. Gleich am Tage nach seiner
Ankunft speiste beispielsweise Wellington mit Lord Castlereagh, Lord Stewart,
dem Fürsten Metternich und Talleyrand wie anderen hochgestellten Persönlich¬
keiten bei ihm zu Mittag. Vielleicht hatte Metternich den berühmten Briten
Angeführt; nach dem Urteile weiter Kreise sollte der österreichische Staatsmann
den Juden Herz protegieren, weil er ihm Geld schulde. Auch das Geynmllersche
Haus, vertreten durch die beiden mit ihrem Neffen assoziierten Bankiers dieses
Namens, spielte eine große Rolle; es besorgte während des Kongresses, um nur
dieses eine anzuführen, die Geldgeschäfte Talleyrands. Als eine Leuchte der
Gesellschaft glänzte zumal Frau Rosalie von Geymüller; diese war früher in
der sehr begüterten gräflich Fries'schen Familie, deren Chef, Graf Moritz, aller-


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[0161] Das Judentum auf dem Wiener Kongreß Berliner Kreises, in dein sie den Gästen, darunter dem Prinzen Louis Ferdinand, des geistvollen Königs genialen Neffen, Goethes Werke analysiert hatte; ihr neues Heim, ein bureau ä'6Spuk. in dem man mehr Gewicht auf Geist und Gemüt als auf die Entfaltung kostspieligen Prunkes legte, wurde bald zu einem Mittelpunkte anregenden Gedankenaustausches. Und auch der jüdische Arzt und Schriftsteller Dr. Koreff, der als Leibmedicus des Fürsten Hardenberg mit diesem nach Wien gekommen war und sich schnell eine praxig ele^us gründete, spielte — um neben den Damen doch auch einen Herrn zu nennen — w den vornehmen Kreisen des Kongresses eine geistig anregende Rolle. Eine andere Gruppe jüdischer Besucher der großen politischen Tagung waren Bittsteller, gekommen, die Interessen ihrer Glaubensgenossen wahr¬ zunehmen; so ein Bankier Lämel, Vertreter der Prager Judenschaft, und Jakob Baruch, der Vater Ludwig Börnes, den die jüdischen Einwohner der Stadt Frankfurt am Main entsandt hatten, um den drohenden Verlust ihrer neu¬ erworbenen bürgerlichen Rechte abzuwehren. Jüdischen Ursprungs war auch ein gewisser schon 1771 nach Wien verschlagener, aus dürftigen Verhältnissen stammender Epstein, der es bis zum Sekretär der böhmischen Hofkanzlei brachte, unter dem Namen v. Ankerberg geadelt wurde und zur Zeit des Kongresses durch Geist, Witz, mannigfache Kenntnisse, sein vortreffliches Schach¬ spiel und eine berühmte Münzensammlung glänzte. Als Musikfreund aber und weit den Dilettantismus überragenden Tonkünstler lernen wir den ebenfalls einer jüdischen Familie entstammenden Joseph Honig, Edlen v. Henikstein, einen Wiener Großkaufmann, kennen, der Mozarts Freund gewesen war und auch Beethoven förderte; er spielte meisterhaft die Mandoline wie das Violon¬ cello, wirkte auch gern als Quartettspieler, und die musikalischen Abende in seinem Hause waren berühmt. Das Hauptkontingent der bei den vornehmen Kreisen des Kongresses akkreditierten Juden stellten aber, wie oben angedeutet, die Bankiers. Unter ihnen finden wir den Wiener Großhändler Leopold Anton Eilau, der besonders zu dem Könige von Bayern gute Beziehungen hatte und später von diesem geadelt wurde, dann Leopold Herz, bei dem die beste Gesellschaft verkehrte, um sich an seinen auserlesenen Diners zu ergötzen. Gleich am Tage nach seiner Ankunft speiste beispielsweise Wellington mit Lord Castlereagh, Lord Stewart, dem Fürsten Metternich und Talleyrand wie anderen hochgestellten Persönlich¬ keiten bei ihm zu Mittag. Vielleicht hatte Metternich den berühmten Briten Angeführt; nach dem Urteile weiter Kreise sollte der österreichische Staatsmann den Juden Herz protegieren, weil er ihm Geld schulde. Auch das Geynmllersche Haus, vertreten durch die beiden mit ihrem Neffen assoziierten Bankiers dieses Namens, spielte eine große Rolle; es besorgte während des Kongresses, um nur dieses eine anzuführen, die Geldgeschäfte Talleyrands. Als eine Leuchte der Gesellschaft glänzte zumal Frau Rosalie von Geymüller; diese war früher in der sehr begüterten gräflich Fries'schen Familie, deren Chef, Graf Moritz, aller-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/161>, abgerufen am 01.09.2024.