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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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Das Judentum auf dem wiener Kongreß

Gcldmänner in schwierigen Lagen in Anspruch genommen haben und dachte
wie der in Wien ebenfalls anwesende Herzog Emerich Joseph v. Dalberg,
dessen Rezept -- er war erprobter Lebenskünstler ^ lautete, neben den
Weibern, die zum Amüsieren da seien, und den Schriftstellern, denen der
Mensch seine Reputation verdanke, müsse man vor allem auch die Freund¬
schaft der Bankiers kultivieren, um im gegebenen Falle des nötigen Mammons
nicht zu ermangeln. So war die gesellschaftliche Stellung der Finanzaristokratie
sicher fundiert, und fördernd wirkten noch die argen Geldnöte des öster¬
reichischen Staates mit, die den großen jüdischen Bankfirmen ermöglichten, als
Retter aufzutreten, und ihren Inhabern Zutritt zu den vornehmen Kreisen des
großen diplomatischen Sanhedrin verschafften. Ja, die blaute I^inanLL zeigte
bald das Bestreben, es in der Sorge für die Unterhaltung der Kongreßgäste
selbst dem Hofe gleich zu tun, und man fand mal wieder Gelegenheit zu er¬
kennen, welch gewaltige Macht das Geld ist; denn unter den ungezählten
Festen, durch die man die Fremdlinge ehrte, gehörten -- und das will wirklich
etwas sagen, wo jeder neue Tag auch neue Wunder dieser Art brachte --
diejenigen der Geldaristokratie zu den glänzendsten. Der Zusammenfluß so
vieler Begüterter ließ durch die Kassen der großen Bankhäuser ungeheure
Summen gehen, von denen ein beträchtlicher Teil den Chefs verblieb; und
wenn die erste Gesellschaft den exklusiven hohen Adel umfaßte -- in der so¬
genannten zweiten gab die hohe Finanz den Ton an; natürlich sehr zum
Mißbehagen gewisser reaktionärer Kreise, in denen das Schlagwort zirkulierte
-- es soll vom Grafen Münster stammen --: "Das ist der Hauptkamps
unserer Zeit, die Antichambre will durchaus in den Salon". Aber diese
Antichambre, soweit sie sich aus den jüdischen Finanzbaronen zusammensetzje,
verstand es -- das mußte man ihr lassen --, ihren unerhörten Luxus durch
die Liebenswürdigkeit des Empfanges noch zu übertreffen, und die Geselligkeit,
die sie übte, glich dem Schlüssel zu einem Schatzhause, aus dem man be¬
reichert weiterzog, denn im Wiener Judentum lag neben dem vielen Geld auch
viel Intelligenz aufgestapelt.

Mehrere Berliner Jüdinnen befruchteten dort zu Beginn des neunzehnten
Jahrhunderts die geistigen Kreise; so die einer reichen Kaufmannsfamilie ent¬
stammende Marianne Meyer, eine Erscheinung von blendender Schönheit wie
von fesselnder Koketterie, geistreich und witzig -- Goethe spricht von ihren
zarten Lippen und ihrer spitzen Zunge --, die einen Fürsten Reich heiratete
und nach dessen Tode unter dem Namen einer Frau v. Eybeuberg, den sie
nach einem Reußischen Rittersitze annahm, in der Hauptstadt Österreichs lebte
und den Berliner Goethe-Kultus dahin verpflanzen half; in ihre umfang¬
reiche Korrespondenz mit dem Altmeister der Dichtkunst läßt A. Sauers treff¬
liches Buch "Goethe und Österreich" einen interessanten Blick tun. Dann
eröffnete Rahel Levin, die mittlerweile Rahel Varnhagen geworden war, zur
Kongreßzeit in Wien wieder einen Salon, eine Art Fortsetzung ihres alten


Das Judentum auf dem wiener Kongreß

Gcldmänner in schwierigen Lagen in Anspruch genommen haben und dachte
wie der in Wien ebenfalls anwesende Herzog Emerich Joseph v. Dalberg,
dessen Rezept — er war erprobter Lebenskünstler ^ lautete, neben den
Weibern, die zum Amüsieren da seien, und den Schriftstellern, denen der
Mensch seine Reputation verdanke, müsse man vor allem auch die Freund¬
schaft der Bankiers kultivieren, um im gegebenen Falle des nötigen Mammons
nicht zu ermangeln. So war die gesellschaftliche Stellung der Finanzaristokratie
sicher fundiert, und fördernd wirkten noch die argen Geldnöte des öster¬
reichischen Staates mit, die den großen jüdischen Bankfirmen ermöglichten, als
Retter aufzutreten, und ihren Inhabern Zutritt zu den vornehmen Kreisen des
großen diplomatischen Sanhedrin verschafften. Ja, die blaute I^inanLL zeigte
bald das Bestreben, es in der Sorge für die Unterhaltung der Kongreßgäste
selbst dem Hofe gleich zu tun, und man fand mal wieder Gelegenheit zu er¬
kennen, welch gewaltige Macht das Geld ist; denn unter den ungezählten
Festen, durch die man die Fremdlinge ehrte, gehörten — und das will wirklich
etwas sagen, wo jeder neue Tag auch neue Wunder dieser Art brachte —
diejenigen der Geldaristokratie zu den glänzendsten. Der Zusammenfluß so
vieler Begüterter ließ durch die Kassen der großen Bankhäuser ungeheure
Summen gehen, von denen ein beträchtlicher Teil den Chefs verblieb; und
wenn die erste Gesellschaft den exklusiven hohen Adel umfaßte — in der so¬
genannten zweiten gab die hohe Finanz den Ton an; natürlich sehr zum
Mißbehagen gewisser reaktionärer Kreise, in denen das Schlagwort zirkulierte
— es soll vom Grafen Münster stammen —: „Das ist der Hauptkamps
unserer Zeit, die Antichambre will durchaus in den Salon". Aber diese
Antichambre, soweit sie sich aus den jüdischen Finanzbaronen zusammensetzje,
verstand es — das mußte man ihr lassen —, ihren unerhörten Luxus durch
die Liebenswürdigkeit des Empfanges noch zu übertreffen, und die Geselligkeit,
die sie übte, glich dem Schlüssel zu einem Schatzhause, aus dem man be¬
reichert weiterzog, denn im Wiener Judentum lag neben dem vielen Geld auch
viel Intelligenz aufgestapelt.

Mehrere Berliner Jüdinnen befruchteten dort zu Beginn des neunzehnten
Jahrhunderts die geistigen Kreise; so die einer reichen Kaufmannsfamilie ent¬
stammende Marianne Meyer, eine Erscheinung von blendender Schönheit wie
von fesselnder Koketterie, geistreich und witzig — Goethe spricht von ihren
zarten Lippen und ihrer spitzen Zunge —, die einen Fürsten Reich heiratete
und nach dessen Tode unter dem Namen einer Frau v. Eybeuberg, den sie
nach einem Reußischen Rittersitze annahm, in der Hauptstadt Österreichs lebte
und den Berliner Goethe-Kultus dahin verpflanzen half; in ihre umfang¬
reiche Korrespondenz mit dem Altmeister der Dichtkunst läßt A. Sauers treff¬
liches Buch „Goethe und Österreich" einen interessanten Blick tun. Dann
eröffnete Rahel Levin, die mittlerweile Rahel Varnhagen geworden war, zur
Kongreßzeit in Wien wieder einen Salon, eine Art Fortsetzung ihres alten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/160>, abgerufen am 22.12.2024.