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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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Treitschke in englischer Beleuchtung

Daß diese Persönlichkeit auf die Studenten einen gewaltigen Eindruck
gemacht hat, wer wollte es bestreiten? Und selbstverständlich haben auch seine
historischen und politischen Anschauungen, mit soviel flammender Überzeugungs¬
kraft vorgetragen, in den empfänglichen Seelen der jugendlichen Zuhörer Wurzel
geschlagen. Aber der unterschätzt denn doch den deutschen Studenten, der da
meint, dies sei gleichbedeutend mit einem kritiklosen Schwören in vsrba maZigtn
fürs ganze Leben. Dazu sind die auf ihn an oft drei, vier verschiedenen
Hochschulen wirkenden Einflüsse denn doch zu mannigfaltig, ist die Forderung
kritischer Prüfung, die immer aufs neue an ihn herantritt, zu sehr Lebenselement
deutscher Wissenschaft. Treitschke hat viel Begeisterung erregt und glühende
Verehrung über das Grab hinaus genossen, auch von solchen, d?" seine po¬
litischen Überzeugungen bekämpften und ihn als Historiker nur mit mancherlei Vor¬
behalten gelten ließen. Von Treitschkes Werken kennt Me Cabe die deutsche
Geschichte, die Politik und ein paar kleine Festreden, von denen er wahrheits¬
widrig behauptet, sie seien in Massen über ganz Deutschland verbreitet worden.
Ein einziges Mal (S. 175) zitiert er die historisch-politischen Aufsätze, deren
für sein Thema so wichtigen Inhalt er sonst nirgends berücksichtigt. Von
keinem Buche Treitschkes kann man sagen, daß es wirklich volkstümlich geworden
sei; kostet doch die Deutsche Geschichte geheftet 50 M. die Aufsätze 26 M.,
die Politik 22 M Bücher, die so kostspielig sind, werden in unserem spar¬
samen Volke nicht populär -- ganz abgesehen davon, daß es großenteils doch
auch eine recht schwere Kost ist, wenig für den ungelehrten Leser geeignet und
auch nicht für ihn bestimmt.*) Die kleineren Arbeiten, Aufsätze und Reden
sind meist zuerst in den "Preußischen Jahrbüchern" erschienen; auch diese Zeit¬
schrift wird ausschließlich von Gebildeten, fast darf man sagen: von Gelehrten
regelmäßig gelesen. Von a 6o?en populär vorks (S. 63) zu reden ist also
offenbar wahrheitswidrig. Ebensowenig kann davon die Rede sein, daß
Treitschke Schule gebildet habe; im Gegenteil, er ragte als letzter einer Art
Schule, nämlich der politischen Historiker vom Schlage der Ranke, Giesebrecht,
Sybel, Droysen, in eine Zeit hinein, die sich, mit teilweise anderen Problemen
beschäftigt, auch anderen Zielen und Methoden der historischen Arbeit zu¬
wandte. Es ist eine ganz lächerliche, oberflächliche Art, sich mit dem ihnen
unverständlichen Geist des heutigen Deutschland abzufinden, wenn die eng¬
lischen und französischen Hanswurste der Wissenschaft sich darauf kaprizieren,
ein paar einzelne Männer zu Urhebern dieses Geistes zu stempeln und über
ihren Einfluß und ihre Wirksamkeit die phantastischsten Märchen zu ersinnen.

McCabe hat seiner Darstellung so gut wie ausschließlich Treitschkes Vor¬
lesungen über "Politik" zugrunde gelegt, die er (S. 70 und 72) sein Haupt-



-) Die "Politik" ist immerhin, wie ich einer Mitteilung des Herrn Herausgebers
entnehme, in 7--8000 Exemplaren verbreitet. Das ist recht viel, aber doch nicht genug,
um von Volkstümlichkeit zu sprechen.
Treitschke in englischer Beleuchtung

Daß diese Persönlichkeit auf die Studenten einen gewaltigen Eindruck
gemacht hat, wer wollte es bestreiten? Und selbstverständlich haben auch seine
historischen und politischen Anschauungen, mit soviel flammender Überzeugungs¬
kraft vorgetragen, in den empfänglichen Seelen der jugendlichen Zuhörer Wurzel
geschlagen. Aber der unterschätzt denn doch den deutschen Studenten, der da
meint, dies sei gleichbedeutend mit einem kritiklosen Schwören in vsrba maZigtn
fürs ganze Leben. Dazu sind die auf ihn an oft drei, vier verschiedenen
Hochschulen wirkenden Einflüsse denn doch zu mannigfaltig, ist die Forderung
kritischer Prüfung, die immer aufs neue an ihn herantritt, zu sehr Lebenselement
deutscher Wissenschaft. Treitschke hat viel Begeisterung erregt und glühende
Verehrung über das Grab hinaus genossen, auch von solchen, d?" seine po¬
litischen Überzeugungen bekämpften und ihn als Historiker nur mit mancherlei Vor¬
behalten gelten ließen. Von Treitschkes Werken kennt Me Cabe die deutsche
Geschichte, die Politik und ein paar kleine Festreden, von denen er wahrheits¬
widrig behauptet, sie seien in Massen über ganz Deutschland verbreitet worden.
Ein einziges Mal (S. 175) zitiert er die historisch-politischen Aufsätze, deren
für sein Thema so wichtigen Inhalt er sonst nirgends berücksichtigt. Von
keinem Buche Treitschkes kann man sagen, daß es wirklich volkstümlich geworden
sei; kostet doch die Deutsche Geschichte geheftet 50 M. die Aufsätze 26 M.,
die Politik 22 M Bücher, die so kostspielig sind, werden in unserem spar¬
samen Volke nicht populär — ganz abgesehen davon, daß es großenteils doch
auch eine recht schwere Kost ist, wenig für den ungelehrten Leser geeignet und
auch nicht für ihn bestimmt.*) Die kleineren Arbeiten, Aufsätze und Reden
sind meist zuerst in den „Preußischen Jahrbüchern" erschienen; auch diese Zeit¬
schrift wird ausschließlich von Gebildeten, fast darf man sagen: von Gelehrten
regelmäßig gelesen. Von a 6o?en populär vorks (S. 63) zu reden ist also
offenbar wahrheitswidrig. Ebensowenig kann davon die Rede sein, daß
Treitschke Schule gebildet habe; im Gegenteil, er ragte als letzter einer Art
Schule, nämlich der politischen Historiker vom Schlage der Ranke, Giesebrecht,
Sybel, Droysen, in eine Zeit hinein, die sich, mit teilweise anderen Problemen
beschäftigt, auch anderen Zielen und Methoden der historischen Arbeit zu¬
wandte. Es ist eine ganz lächerliche, oberflächliche Art, sich mit dem ihnen
unverständlichen Geist des heutigen Deutschland abzufinden, wenn die eng¬
lischen und französischen Hanswurste der Wissenschaft sich darauf kaprizieren,
ein paar einzelne Männer zu Urhebern dieses Geistes zu stempeln und über
ihren Einfluß und ihre Wirksamkeit die phantastischsten Märchen zu ersinnen.

McCabe hat seiner Darstellung so gut wie ausschließlich Treitschkes Vor¬
lesungen über „Politik" zugrunde gelegt, die er (S. 70 und 72) sein Haupt-



-) Die „Politik" ist immerhin, wie ich einer Mitteilung des Herrn Herausgebers
entnehme, in 7—8000 Exemplaren verbreitet. Das ist recht viel, aber doch nicht genug,
um von Volkstümlichkeit zu sprechen.
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[0148] Treitschke in englischer Beleuchtung Daß diese Persönlichkeit auf die Studenten einen gewaltigen Eindruck gemacht hat, wer wollte es bestreiten? Und selbstverständlich haben auch seine historischen und politischen Anschauungen, mit soviel flammender Überzeugungs¬ kraft vorgetragen, in den empfänglichen Seelen der jugendlichen Zuhörer Wurzel geschlagen. Aber der unterschätzt denn doch den deutschen Studenten, der da meint, dies sei gleichbedeutend mit einem kritiklosen Schwören in vsrba maZigtn fürs ganze Leben. Dazu sind die auf ihn an oft drei, vier verschiedenen Hochschulen wirkenden Einflüsse denn doch zu mannigfaltig, ist die Forderung kritischer Prüfung, die immer aufs neue an ihn herantritt, zu sehr Lebenselement deutscher Wissenschaft. Treitschke hat viel Begeisterung erregt und glühende Verehrung über das Grab hinaus genossen, auch von solchen, d?" seine po¬ litischen Überzeugungen bekämpften und ihn als Historiker nur mit mancherlei Vor¬ behalten gelten ließen. Von Treitschkes Werken kennt Me Cabe die deutsche Geschichte, die Politik und ein paar kleine Festreden, von denen er wahrheits¬ widrig behauptet, sie seien in Massen über ganz Deutschland verbreitet worden. Ein einziges Mal (S. 175) zitiert er die historisch-politischen Aufsätze, deren für sein Thema so wichtigen Inhalt er sonst nirgends berücksichtigt. Von keinem Buche Treitschkes kann man sagen, daß es wirklich volkstümlich geworden sei; kostet doch die Deutsche Geschichte geheftet 50 M. die Aufsätze 26 M., die Politik 22 M Bücher, die so kostspielig sind, werden in unserem spar¬ samen Volke nicht populär — ganz abgesehen davon, daß es großenteils doch auch eine recht schwere Kost ist, wenig für den ungelehrten Leser geeignet und auch nicht für ihn bestimmt.*) Die kleineren Arbeiten, Aufsätze und Reden sind meist zuerst in den „Preußischen Jahrbüchern" erschienen; auch diese Zeit¬ schrift wird ausschließlich von Gebildeten, fast darf man sagen: von Gelehrten regelmäßig gelesen. Von a 6o?en populär vorks (S. 63) zu reden ist also offenbar wahrheitswidrig. Ebensowenig kann davon die Rede sein, daß Treitschke Schule gebildet habe; im Gegenteil, er ragte als letzter einer Art Schule, nämlich der politischen Historiker vom Schlage der Ranke, Giesebrecht, Sybel, Droysen, in eine Zeit hinein, die sich, mit teilweise anderen Problemen beschäftigt, auch anderen Zielen und Methoden der historischen Arbeit zu¬ wandte. Es ist eine ganz lächerliche, oberflächliche Art, sich mit dem ihnen unverständlichen Geist des heutigen Deutschland abzufinden, wenn die eng¬ lischen und französischen Hanswurste der Wissenschaft sich darauf kaprizieren, ein paar einzelne Männer zu Urhebern dieses Geistes zu stempeln und über ihren Einfluß und ihre Wirksamkeit die phantastischsten Märchen zu ersinnen. McCabe hat seiner Darstellung so gut wie ausschließlich Treitschkes Vor¬ lesungen über „Politik" zugrunde gelegt, die er (S. 70 und 72) sein Haupt- -) Die „Politik" ist immerhin, wie ich einer Mitteilung des Herrn Herausgebers entnehme, in 7—8000 Exemplaren verbreitet. Das ist recht viel, aber doch nicht genug, um von Volkstümlichkeit zu sprechen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/148>, abgerufen am 01.09.2024.