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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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Ein Besuch auf dem Lande

das nicht mindestens 8 Zentner wiegt, und dem Unfug wäre gesteuert worden.
Und habt Ihr nicht auch Fleischhamster gehabt in den Städten? Bethmann
kann doch nicht große Politik machen und sich daneben mit Schweinemästungs¬
fragen ex proiunäo beschäftigen. Delbrück kann nicht die Verwaltung Polens
und Belgiens, die große innere Politik machen und nebenbei Versorgungs¬
sachverständiger sein, wozu ihn übrigens die bisherige Tätigkeit seines Amtes
garnicht prädestiniert. Macht es den Engländern nach. Sie haben ihren
Blockademinister Cecil, der uns unsere Kinder abwürgen will, macht Ihr einen
Versorgungsminister, der sür die Kinder die Milch schafft, die sie brauchen.

-- Sie haben recht. Man darf nicht zuviel arbeiten. Darüber geht das
klare Sehen verloren. Ein solcher Minister täte uns not. Wenn es ein
praktischer Landwirt wäre, würde es auch von uns mit Freuden begrüßt
werden, denn kein verständiger Mensch in der Stadt macht den Entrüstungs¬
rummel gegen die Landwirte, der schon wieder anfing, mit. Ich möchte Ihnen
ein Beispiel aus meinem Vorort erzählen, das ich selbst mitangesehen habe.
Ich gehe neulich zu meinem Dienst, da sehe ich, wie sich die Menge vor einem
Fleischerladen so staut, daß die Trambahn nicht vorbeifahren kann. Ich frage,
was los ist. "Es gibt heute Schweinefleisch", deshalb die Aufregung, wird
mir erwidert. Also Schweinefleisch und die Begier danach läßt den Verkehr
zum Stillstand kommen. Die Leute können nicht leben ohne Schweinefleisch.
Ich komme an einem anderen Laden vorbei. Dort gibt es ausnahmsweise
Kalbfleisch. Davon haben die Hausfrauen gehört. Sie stürzen sich wie die
Wilden auf die Beute. Eine einzige Dame kauft zehn Kalbskeulen, um sie im
Weckapparat einzulegen. Denn sie hat Angst vor der Fleischkarte! Das ist
unsere Disziplin. Die Hausfrauen hat der Hamsterteufel gepackt. Aber mit
den Kartoffeln war es eine Zeitlang wirklich übel. Wie denken Sie von Ihren,
praktischen Landwirtschaftsstandpunkt darüber?

-- Sie wünschen ein offenes Wort? Sie sollen es haben. Im vorigen
Jahre hattet Ihr die Karre schon in den Dreck gefahren, in diesem noch
schlimmer. Ich habe einmal einen Aufsatz im "Tag" -- ich glaube, er war
von Calwer über die Höchstpreise -- gelesen. Der hat gesagt: "Wollt Ihr
lieber niedrige Preise und nichts zu essen, oder wollt Ihr hohe Preise mit aus¬
reichender Versorgung?" Da habt Ihr alle geschrien: nieder mit diesem Manne.
Er denkt nicht sozial. Wir wollen niedrige Preise und immer satt zu essen.
Das ist die Quadratur des Zirkels, mein Lieber. Auf meinem Hofe waren
eine Zeitlang bis zu vierzig Fabrikarbeiterfrauen aus der weit entfernten Gro߬
stadt. Sie boten mir jeden Preis, wenn ich ihnen nur Kartoffeln geben könnte.
Ich habe sie alle befriedigt, soweit ich konnte und habe mancher, die ihre sechs
Kinder zuhause hatte, die 1,60 Mark, die sie mir geben wollte, wieder oben in
den Sack gelegt. Aber sind denn das würdige Zustände? Macht Euch doch
ein kleines Rechenexempel: Wer wird denn die Kartoffeln für 2,80 Mark oder
3,50 Mark verkaufen, wenn schon der Futterwert der Schlempe, die er als


Ein Besuch auf dem Lande

das nicht mindestens 8 Zentner wiegt, und dem Unfug wäre gesteuert worden.
Und habt Ihr nicht auch Fleischhamster gehabt in den Städten? Bethmann
kann doch nicht große Politik machen und sich daneben mit Schweinemästungs¬
fragen ex proiunäo beschäftigen. Delbrück kann nicht die Verwaltung Polens
und Belgiens, die große innere Politik machen und nebenbei Versorgungs¬
sachverständiger sein, wozu ihn übrigens die bisherige Tätigkeit seines Amtes
garnicht prädestiniert. Macht es den Engländern nach. Sie haben ihren
Blockademinister Cecil, der uns unsere Kinder abwürgen will, macht Ihr einen
Versorgungsminister, der sür die Kinder die Milch schafft, die sie brauchen.

— Sie haben recht. Man darf nicht zuviel arbeiten. Darüber geht das
klare Sehen verloren. Ein solcher Minister täte uns not. Wenn es ein
praktischer Landwirt wäre, würde es auch von uns mit Freuden begrüßt
werden, denn kein verständiger Mensch in der Stadt macht den Entrüstungs¬
rummel gegen die Landwirte, der schon wieder anfing, mit. Ich möchte Ihnen
ein Beispiel aus meinem Vorort erzählen, das ich selbst mitangesehen habe.
Ich gehe neulich zu meinem Dienst, da sehe ich, wie sich die Menge vor einem
Fleischerladen so staut, daß die Trambahn nicht vorbeifahren kann. Ich frage,
was los ist. „Es gibt heute Schweinefleisch", deshalb die Aufregung, wird
mir erwidert. Also Schweinefleisch und die Begier danach läßt den Verkehr
zum Stillstand kommen. Die Leute können nicht leben ohne Schweinefleisch.
Ich komme an einem anderen Laden vorbei. Dort gibt es ausnahmsweise
Kalbfleisch. Davon haben die Hausfrauen gehört. Sie stürzen sich wie die
Wilden auf die Beute. Eine einzige Dame kauft zehn Kalbskeulen, um sie im
Weckapparat einzulegen. Denn sie hat Angst vor der Fleischkarte! Das ist
unsere Disziplin. Die Hausfrauen hat der Hamsterteufel gepackt. Aber mit
den Kartoffeln war es eine Zeitlang wirklich übel. Wie denken Sie von Ihren,
praktischen Landwirtschaftsstandpunkt darüber?

— Sie wünschen ein offenes Wort? Sie sollen es haben. Im vorigen
Jahre hattet Ihr die Karre schon in den Dreck gefahren, in diesem noch
schlimmer. Ich habe einmal einen Aufsatz im „Tag" — ich glaube, er war
von Calwer über die Höchstpreise — gelesen. Der hat gesagt: „Wollt Ihr
lieber niedrige Preise und nichts zu essen, oder wollt Ihr hohe Preise mit aus¬
reichender Versorgung?" Da habt Ihr alle geschrien: nieder mit diesem Manne.
Er denkt nicht sozial. Wir wollen niedrige Preise und immer satt zu essen.
Das ist die Quadratur des Zirkels, mein Lieber. Auf meinem Hofe waren
eine Zeitlang bis zu vierzig Fabrikarbeiterfrauen aus der weit entfernten Gro߬
stadt. Sie boten mir jeden Preis, wenn ich ihnen nur Kartoffeln geben könnte.
Ich habe sie alle befriedigt, soweit ich konnte und habe mancher, die ihre sechs
Kinder zuhause hatte, die 1,60 Mark, die sie mir geben wollte, wieder oben in
den Sack gelegt. Aber sind denn das würdige Zustände? Macht Euch doch
ein kleines Rechenexempel: Wer wird denn die Kartoffeln für 2,80 Mark oder
3,50 Mark verkaufen, wenn schon der Futterwert der Schlempe, die er als


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/133>, abgerufen am 01.09.2024.