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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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Die Reichsgnmdung

In der Tat ist es ihm ja gelungen bis 1870, andererseits bis 1879 die voll¬
kommene Versöhnung mit den Gegnern von Sechsundsechzig zu erreichen. Er
griff nur so lange gewaltsam zu. als ohne Gewalt die Karre der deutschen
Einheit stecken geblieben wäre. So hat er den Bruch mit Österreich von vorn¬
herein gewollt, schon vor der gemeinsamen Aktion in Schleswig-Holstein 186"
bis 1864, in der er den Kaiserstaat durch überlegene Diplomatie ganz nach
seinem Willen bugsierte. Er hat dann versucht, wegen der Elbherzogtümer
mit Österreich Händel anzufangen, aber bei dem anfänglichen Widerstreben und
der dauernden Friedensliebe König Wilhelms gelang das nicht, und der Vertrag
von Gastein (14. August 1865) verhinderte den Krieg. Nunmehr rollte Bis-
marck die Frage der Reform des Deutschen Bundes auf, verbündete sich mit
Italien und verständigte sich mit Napoleon dem Dritten. Der neue preußische
Bundesreformplan war von vornherein so berechnet, daß er für Österreich un¬
annehmbar sein mußte. Trotzdem gab es Schwierigkeiten, die im letzten Augen¬
blick auch diesmal den Bruch beinahe verhindert hätten. Bismarck mußte in
Rücksicht auf den König Österreich als Angreifer erscheinen lassen, obwohl
zweifellos Preußen der offensive Teil war. Ferner mußte er Napoleon in dem
Glauben lassen, er werde für seine wohlwollende Neutralität bezahlt werden
und andererseits mußte wieder König Wilhelm glauben, daß Napoleon keine
Bezahlung beanspruche. Bismarck hatte bei diesem exponierten Spiel als
positive Faktoren auf seiner Seite eigentlich nur die Trefflichkeit des preußischen
Heeres und im Notfalle gegen einen Angriff Napoleons auf deutsches Gebiet
das elementare Nationalgefühl des deutschen Volkes. Sonst war seine ganze
Diplomatie nur auf einer meisterhaften Kombination aller Schwächen seiner
verschiedenen Gegner aufgebaut.

Nicht in gleichem Maße von vornherein gewollt "vor von Bismarck der
Bruch mit Frankreich, der 1870 die vollständige Einigung des heutigen Deutschen
Reiches herbeiführte. Der Kanzler war unter Umständen gewillt, die süd¬
deutschen Staaten noch längere Zeit ihre eigenen Wege gehen zu lassen, und
hat keinesfalls sich in die spanische Thronfolgeangelegenheit in der Absicht ein¬
gelassen, den Krieg mit Frankreich herbeizuführen, der notwendigerweise einmal
kommen mußte, und ohne den die Einheit Deutschlands nicht zu erreichen war.
Er trieb vielmehr in Spanien die gleiche Bündnispolitik gegen Frankreich, wie
sie Napoleon damals in Österreich und Italien gegen den Norddeutschen Bund
trieb. Man wird mit Brandenburg sagen dürfen, daß Bismarck die Thron¬
folgefrage nicht aufgerollt hat, um mit ihrer Hilfe den Krieg zu entzünden,
wohl aber auf die Gefahr des früher oder später ja doch ausbrechenden Krieges.
Diese Auffassung bestätigt auch eine neue überaus gründliche Studie über die
diplomatische Vorgeschichte des Krieges von Richard Fester ("Die Genesis der
Emser Depesche". Berlin. Gebrüder Paetel, 1915. Preis 4 Mary. Bekanntlich
ist viel wichtiges Aktenmaterial über die kritischen Julitage 1870 heute noch
unserer Einsicht entzogen. Fester gelingt es vor allem durch eine peinlich genaue


Die Reichsgnmdung

In der Tat ist es ihm ja gelungen bis 1870, andererseits bis 1879 die voll¬
kommene Versöhnung mit den Gegnern von Sechsundsechzig zu erreichen. Er
griff nur so lange gewaltsam zu. als ohne Gewalt die Karre der deutschen
Einheit stecken geblieben wäre. So hat er den Bruch mit Österreich von vorn¬
herein gewollt, schon vor der gemeinsamen Aktion in Schleswig-Holstein 186»
bis 1864, in der er den Kaiserstaat durch überlegene Diplomatie ganz nach
seinem Willen bugsierte. Er hat dann versucht, wegen der Elbherzogtümer
mit Österreich Händel anzufangen, aber bei dem anfänglichen Widerstreben und
der dauernden Friedensliebe König Wilhelms gelang das nicht, und der Vertrag
von Gastein (14. August 1865) verhinderte den Krieg. Nunmehr rollte Bis-
marck die Frage der Reform des Deutschen Bundes auf, verbündete sich mit
Italien und verständigte sich mit Napoleon dem Dritten. Der neue preußische
Bundesreformplan war von vornherein so berechnet, daß er für Österreich un¬
annehmbar sein mußte. Trotzdem gab es Schwierigkeiten, die im letzten Augen¬
blick auch diesmal den Bruch beinahe verhindert hätten. Bismarck mußte in
Rücksicht auf den König Österreich als Angreifer erscheinen lassen, obwohl
zweifellos Preußen der offensive Teil war. Ferner mußte er Napoleon in dem
Glauben lassen, er werde für seine wohlwollende Neutralität bezahlt werden
und andererseits mußte wieder König Wilhelm glauben, daß Napoleon keine
Bezahlung beanspruche. Bismarck hatte bei diesem exponierten Spiel als
positive Faktoren auf seiner Seite eigentlich nur die Trefflichkeit des preußischen
Heeres und im Notfalle gegen einen Angriff Napoleons auf deutsches Gebiet
das elementare Nationalgefühl des deutschen Volkes. Sonst war seine ganze
Diplomatie nur auf einer meisterhaften Kombination aller Schwächen seiner
verschiedenen Gegner aufgebaut.

Nicht in gleichem Maße von vornherein gewollt »vor von Bismarck der
Bruch mit Frankreich, der 1870 die vollständige Einigung des heutigen Deutschen
Reiches herbeiführte. Der Kanzler war unter Umständen gewillt, die süd¬
deutschen Staaten noch längere Zeit ihre eigenen Wege gehen zu lassen, und
hat keinesfalls sich in die spanische Thronfolgeangelegenheit in der Absicht ein¬
gelassen, den Krieg mit Frankreich herbeizuführen, der notwendigerweise einmal
kommen mußte, und ohne den die Einheit Deutschlands nicht zu erreichen war.
Er trieb vielmehr in Spanien die gleiche Bündnispolitik gegen Frankreich, wie
sie Napoleon damals in Österreich und Italien gegen den Norddeutschen Bund
trieb. Man wird mit Brandenburg sagen dürfen, daß Bismarck die Thron¬
folgefrage nicht aufgerollt hat, um mit ihrer Hilfe den Krieg zu entzünden,
wohl aber auf die Gefahr des früher oder später ja doch ausbrechenden Krieges.
Diese Auffassung bestätigt auch eine neue überaus gründliche Studie über die
diplomatische Vorgeschichte des Krieges von Richard Fester („Die Genesis der
Emser Depesche". Berlin. Gebrüder Paetel, 1915. Preis 4 Mary. Bekanntlich
ist viel wichtiges Aktenmaterial über die kritischen Julitage 1870 heute noch
unserer Einsicht entzogen. Fester gelingt es vor allem durch eine peinlich genaue


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/116>, abgerufen am 01.09.2024.