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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr.

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Ftiedensziele der Elektrotechnik

kosten billig zu haben sind, ist die Rentabilität dieser Werke unter Voraussetzung
der vollen Ausnutzung eine sehr günstige. Die Staatsregierungen haben sich
zunächst die Rechte für die Wasserkräfte gesichert und Kohlenlager erworben,
soweit dies noch möglich war. Der Ausbau der Kraftwerke selbst ist nur noch
eine Frage der Zeit. Die Landwirtschaft wird aus der in den Überland-
zentralen bezogenen elektrischen Energie besonders großen Nutzen ziehen, Vor¬
teile, die sich in den ersten Jahren nach dem Kriege besonders bemerkbar machen
werden. Der Mangel an landwirtschaftlichen Arbeitern und Pferden, ins¬
besondere an letzteren, wird nach dem Kriege empfindlich fühlbar sein, und es
wird eine große Erleichterung für die Landwirte sein, wenn sie statt der vier¬
beinigen Tiere die elektrischen Pferdekräfte zum Pflügen, Ernten und Dreschen
werden verwenden können. Schon vor dem Kriege hat sich die Elektrizität im
Dienste der Landwirtschaft bestens bewährt, es gibt wohl kaum einen Arbeits¬
prozeß, der nicht durch den Elektromotor verrichtet werden kann, wo er nicht
die menschliche oder tierische Kraft voll und ganz ersetzen könnte. Da wir
gerade von der Landwirtschaft reden, könnten noch die Kraftwerke erwähnt
werden, die zur Erzeugung von Luftstickstoff und mittelbar zur Herstellung des
Kunstdüngers dienen und einen vollwertigen Ersatz für den Chile-Salpeter
bilden. Es ist zu erwarten, daß auch diese Werke nach dem Kriege erweitert
werden, um von der Zufuhr aus überseeischen Ländern unabhängig zu sein.

Die im Jahre 1908 in Siebenbürgen unweit der Landeshauptstadt
KolozsvKr entdeckten Erdgasquellen lenkten in neuester Zeit, als die Gründung
der Ungarischen Erdgasgesellschaft unter Führung der Deutschen Bank bekannt
wurde, auch die Aufmerksamkeit der Elektrizitäts-Jndustrie auf sich. Von
amerikanischen Sachverständigen ist die Gesamtmenge des vorhandenen Gases
auf 72 Milliarden Kubikmeter geschätzt worden. Diese Zahl dürfte eher zu
niedrig als zu hoch gegriffen sein. Das chemisch-reine Erdgas hat einen Heiz¬
wert von 8000 bis 8500 Wärmeeinheiten. Welch riesige Energiemenge ist in
diesem flüchtigen Naturschatz enthalten! Zunächst soll das Gas als solches für
Beleuchtungszwecke Verwendung finden. In zweiter Linie soll es Hausbrand¬
zwecken dienen, und in gewissen bestehenden industriellen Anlagen zur Dampf¬
erzeugung verbraucht werden, um das Holz und die Kohle zu ersetzen. Eine
vollkommene Ausnutzung der Gasvorräte wird aber erst durch die Erzeugung
elektrischer Energie ermöglicht werden. Die wenig entwickelte industrielle Be-
tätigung in Siebenbürgen und in den östlichen Teilen Ungarns bedarf der
Aufmunterung und der Kräftigung. In welcher Form könnte dieser Zweck
wirksamer erreicht werden als durch die Zurverfügungstellung billiger elektrischer
Energie? Der Übertragung des elektrischen Stromes sind praktisch keine Grenzen
gezogen. Mit Leichtigkeit könnte über die große ungarische Ebene ein eng¬
maschiges Netz von elektrischen Leitungen gespannt und die Elektrizität in
weitgehendem Maße in den Dienst der Landwirtschaft gestellt werden. Ungarn
könnte dann im wahren Sinne des Wortes die Kornkammer Mitteleuropas werden.


Ftiedensziele der Elektrotechnik

kosten billig zu haben sind, ist die Rentabilität dieser Werke unter Voraussetzung
der vollen Ausnutzung eine sehr günstige. Die Staatsregierungen haben sich
zunächst die Rechte für die Wasserkräfte gesichert und Kohlenlager erworben,
soweit dies noch möglich war. Der Ausbau der Kraftwerke selbst ist nur noch
eine Frage der Zeit. Die Landwirtschaft wird aus der in den Überland-
zentralen bezogenen elektrischen Energie besonders großen Nutzen ziehen, Vor¬
teile, die sich in den ersten Jahren nach dem Kriege besonders bemerkbar machen
werden. Der Mangel an landwirtschaftlichen Arbeitern und Pferden, ins¬
besondere an letzteren, wird nach dem Kriege empfindlich fühlbar sein, und es
wird eine große Erleichterung für die Landwirte sein, wenn sie statt der vier¬
beinigen Tiere die elektrischen Pferdekräfte zum Pflügen, Ernten und Dreschen
werden verwenden können. Schon vor dem Kriege hat sich die Elektrizität im
Dienste der Landwirtschaft bestens bewährt, es gibt wohl kaum einen Arbeits¬
prozeß, der nicht durch den Elektromotor verrichtet werden kann, wo er nicht
die menschliche oder tierische Kraft voll und ganz ersetzen könnte. Da wir
gerade von der Landwirtschaft reden, könnten noch die Kraftwerke erwähnt
werden, die zur Erzeugung von Luftstickstoff und mittelbar zur Herstellung des
Kunstdüngers dienen und einen vollwertigen Ersatz für den Chile-Salpeter
bilden. Es ist zu erwarten, daß auch diese Werke nach dem Kriege erweitert
werden, um von der Zufuhr aus überseeischen Ländern unabhängig zu sein.

Die im Jahre 1908 in Siebenbürgen unweit der Landeshauptstadt
KolozsvKr entdeckten Erdgasquellen lenkten in neuester Zeit, als die Gründung
der Ungarischen Erdgasgesellschaft unter Führung der Deutschen Bank bekannt
wurde, auch die Aufmerksamkeit der Elektrizitäts-Jndustrie auf sich. Von
amerikanischen Sachverständigen ist die Gesamtmenge des vorhandenen Gases
auf 72 Milliarden Kubikmeter geschätzt worden. Diese Zahl dürfte eher zu
niedrig als zu hoch gegriffen sein. Das chemisch-reine Erdgas hat einen Heiz¬
wert von 8000 bis 8500 Wärmeeinheiten. Welch riesige Energiemenge ist in
diesem flüchtigen Naturschatz enthalten! Zunächst soll das Gas als solches für
Beleuchtungszwecke Verwendung finden. In zweiter Linie soll es Hausbrand¬
zwecken dienen, und in gewissen bestehenden industriellen Anlagen zur Dampf¬
erzeugung verbraucht werden, um das Holz und die Kohle zu ersetzen. Eine
vollkommene Ausnutzung der Gasvorräte wird aber erst durch die Erzeugung
elektrischer Energie ermöglicht werden. Die wenig entwickelte industrielle Be-
tätigung in Siebenbürgen und in den östlichen Teilen Ungarns bedarf der
Aufmunterung und der Kräftigung. In welcher Form könnte dieser Zweck
wirksamer erreicht werden als durch die Zurverfügungstellung billiger elektrischer
Energie? Der Übertragung des elektrischen Stromes sind praktisch keine Grenzen
gezogen. Mit Leichtigkeit könnte über die große ungarische Ebene ein eng¬
maschiges Netz von elektrischen Leitungen gespannt und die Elektrizität in
weitgehendem Maße in den Dienst der Landwirtschaft gestellt werden. Ungarn
könnte dann im wahren Sinne des Wortes die Kornkammer Mitteleuropas werden.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_329665/64>, abgerufen am 15.01.2025.