Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr.Die Stellung der neutralen Schweiz zu Deutschland Zuversicht müßten, den Neutralen übermittelt, dort dieselben Empfindungen Weinte hat ein tiefes Verständnis für die Schicksalsstunde Deutschland?, Freilich ein Punkt bleibt auch für Wernle übrig, an dem seine Kritik Die Stellung der neutralen Schweiz zu Deutschland Zuversicht müßten, den Neutralen übermittelt, dort dieselben Empfindungen Weinte hat ein tiefes Verständnis für die Schicksalsstunde Deutschland?, Freilich ein Punkt bleibt auch für Wernle übrig, an dem seine Kritik <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0058" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/329724"/> <fw type="header" place="top"> Die Stellung der neutralen Schweiz zu Deutschland</fw><lb/> <p xml:id="ID_124" prev="#ID_123"> Zuversicht müßten, den Neutralen übermittelt, dort dieselben Empfindungen<lb/> wecken. Wir sind kein Volk von Diplomaten. In geschickter Bearbeitung der<lb/> Neutralen waren unsre Gegner uns überlegen. Erst die deutschen Taten haben<lb/> eine klarere Sprache geredet als die geschickten Ränke unsrer Feinde. Auf die<lb/> vielen, von den Pressebüros in die Schweiz gesandten deutschen Propaganda-<lb/> schriften antwortet Spitteler (Seite 15): „Haben denn die Herren die Fühl¬<lb/> hörner verloren, daß sie nicht mehr spüren, wie man zu andern Völkern spricht<lb/> und nicht spricht". Wir haben geglaubt, die offene gerade Aussprache unserer<lb/> Meinung in derselben Art, wie sie in der Heimat am Platze ist, wirke am<lb/> besten auch draußen. Die deutsche Geradheit hat es nicht verstanden, die<lb/> Wirkung ihrer Worte auf Andersdenkende zu berechnen. Daß der Deutsche im<lb/> Auslande sich leichter mißliebig macht als andere, liegt ebenfalls darin be¬<lb/> gründet, daß er sich draußen ebenso gibt wie daheim, ohne viel Berechnung,<lb/> mit derselben Geradheit, zuweilen mit ein wenig Rücksichtslosigkeit, die als offene<lb/> Äußerung seines Wesens verstanden werden soll, meist aber viel ärger gedeutet<lb/> wird, als sie gemeint ist. Die englische Zurückhaltung und die französische<lb/> Höflichkeit, die immer freundliche Worte hat, auch wo das Herz ganz anders<lb/> denkt, gefällt im Auslande besser.</p><lb/> <p xml:id="ID_125"> Weinte hat ein tiefes Verständnis für die Schicksalsstunde Deutschland?,<lb/> das gegen eine Übermacht von Feinden seine Kultur verteidigen muß. Er<lb/> entrollt als Historiker ein feines Bild davon, in welcher Weise die deutschen<lb/> Einflüsse seit Luther in der deutschen Schweiz verarbeitet wurden. Er hält<lb/> seinen Freunden in der welschen Schweiz vor, wie ungerecht es ist, die deutsche<lb/> Geisteskultur zu loben und auf den bösen „Militarismus" zu schelten. Er hält<lb/> ihnen vor, wie die elementarste politische Einsicht jedem sagen muß, daß ein<lb/> Volk in der Mitte Europas mit starker Faust seine nationale Existenz schützen<lb/> muß. Alle Anklagen gegen den deutschen Militarismus besagen nach Wernle<lb/> nur: „Ihr Deutsche seid uns recht und lieb, wenn ihr eure Wissenschaft pflegt<lb/> und eure Kunst und stille, fleißige harmlose Nachbarn von uns bleibt und dabei<lb/> zuschaut, wie die anderen Völker die Welt unter sich austeilen, und ohnmächtig<lb/> jeden Schimpf euch gefallen laßt, den die Nachbarn von rechts und von links<lb/> und übers Meer euch antun". Es herrscht tatsächlich viel unpolitische Naivität<lb/> in einem Lande, das keine auswärtige Politik treiben kann und darf. Besser<lb/> als Wernle können auch wir nicht die Verbindung einer geistigen Kultur mit<lb/> einer zur Abwehr bereiten Rüstung verteidigen. Wernle glaubt, daß es den<lb/> Welschschweizern „in Beurteilung dieser Fragen einstweilen an jeder Billigkeit<lb/> fehlt, daß noch keiner von ihnen auch nur versucht hat, Deutschlands Politik<lb/> zu verstehen". (Seite 20).</p><lb/> <p xml:id="ID_126" next="#ID_127"> Freilich ein Punkt bleibt auch für Wernle übrig, an dem seine Kritik<lb/> beginnt. Es ist der Punkt, an dem die schweizerische Polemik von Anfang an<lb/> eingesetzt hat: die Verletzung der belgischen Neutralität. Nur ist Wernles Kritik<lb/> verständiger und billiger. Wir Deutsche können es begreifen, daß die harte</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0058]
Die Stellung der neutralen Schweiz zu Deutschland
Zuversicht müßten, den Neutralen übermittelt, dort dieselben Empfindungen
wecken. Wir sind kein Volk von Diplomaten. In geschickter Bearbeitung der
Neutralen waren unsre Gegner uns überlegen. Erst die deutschen Taten haben
eine klarere Sprache geredet als die geschickten Ränke unsrer Feinde. Auf die
vielen, von den Pressebüros in die Schweiz gesandten deutschen Propaganda-
schriften antwortet Spitteler (Seite 15): „Haben denn die Herren die Fühl¬
hörner verloren, daß sie nicht mehr spüren, wie man zu andern Völkern spricht
und nicht spricht". Wir haben geglaubt, die offene gerade Aussprache unserer
Meinung in derselben Art, wie sie in der Heimat am Platze ist, wirke am
besten auch draußen. Die deutsche Geradheit hat es nicht verstanden, die
Wirkung ihrer Worte auf Andersdenkende zu berechnen. Daß der Deutsche im
Auslande sich leichter mißliebig macht als andere, liegt ebenfalls darin be¬
gründet, daß er sich draußen ebenso gibt wie daheim, ohne viel Berechnung,
mit derselben Geradheit, zuweilen mit ein wenig Rücksichtslosigkeit, die als offene
Äußerung seines Wesens verstanden werden soll, meist aber viel ärger gedeutet
wird, als sie gemeint ist. Die englische Zurückhaltung und die französische
Höflichkeit, die immer freundliche Worte hat, auch wo das Herz ganz anders
denkt, gefällt im Auslande besser.
Weinte hat ein tiefes Verständnis für die Schicksalsstunde Deutschland?,
das gegen eine Übermacht von Feinden seine Kultur verteidigen muß. Er
entrollt als Historiker ein feines Bild davon, in welcher Weise die deutschen
Einflüsse seit Luther in der deutschen Schweiz verarbeitet wurden. Er hält
seinen Freunden in der welschen Schweiz vor, wie ungerecht es ist, die deutsche
Geisteskultur zu loben und auf den bösen „Militarismus" zu schelten. Er hält
ihnen vor, wie die elementarste politische Einsicht jedem sagen muß, daß ein
Volk in der Mitte Europas mit starker Faust seine nationale Existenz schützen
muß. Alle Anklagen gegen den deutschen Militarismus besagen nach Wernle
nur: „Ihr Deutsche seid uns recht und lieb, wenn ihr eure Wissenschaft pflegt
und eure Kunst und stille, fleißige harmlose Nachbarn von uns bleibt und dabei
zuschaut, wie die anderen Völker die Welt unter sich austeilen, und ohnmächtig
jeden Schimpf euch gefallen laßt, den die Nachbarn von rechts und von links
und übers Meer euch antun". Es herrscht tatsächlich viel unpolitische Naivität
in einem Lande, das keine auswärtige Politik treiben kann und darf. Besser
als Wernle können auch wir nicht die Verbindung einer geistigen Kultur mit
einer zur Abwehr bereiten Rüstung verteidigen. Wernle glaubt, daß es den
Welschschweizern „in Beurteilung dieser Fragen einstweilen an jeder Billigkeit
fehlt, daß noch keiner von ihnen auch nur versucht hat, Deutschlands Politik
zu verstehen". (Seite 20).
Freilich ein Punkt bleibt auch für Wernle übrig, an dem seine Kritik
beginnt. Es ist der Punkt, an dem die schweizerische Polemik von Anfang an
eingesetzt hat: die Verletzung der belgischen Neutralität. Nur ist Wernles Kritik
verständiger und billiger. Wir Deutsche können es begreifen, daß die harte
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