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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr.

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Die Stellung der neutralen Schweiz zu Deutschland

Als ob nicht für die Schweiz aus Spittelers Sätzen folgen würde: Wenn du
nur könntest, müßtest du ebenso viel wie die andern rauben I Weil du es aber
nicht kannst, mußt du aus lauter Egoismus die internationale Friedensfahne
herausstecken.

Tatsächlich hat Spitteler es mit verschuldet, wenn der Schein erweckt ist,
als dürsten die Welsch-Schweizer ihr heißes Blut, das ihnen immer als ge¬
nügende Entschuldigung zugute gehalten wird, zugunsten der Franzosen zum
Sieden bringen, der Deutsch-Schweizer müßte dagegen, um nur ja die Staats¬
einheit nicht zu stören, alle Rassen-, Kultur- und Sprachgemeinschaft mit Deutsch¬
land verleugnen. Nach Spitteler liegt in der Sprachgemeinschaft nichts anderes
als ein Stück "Philologie". Und die könne doch nicht entscheidend sein.
Derartige Entgleisungen Spittelers haben nun glücklicherweise nicht bloß in
Deutschland, sondern auch in der Schweiz zu einer energischen Zurechtweisung
geführt. Einer der bedeutendsten Professoren der Universität Basel, ihr gegen¬
wärtiger Rektor, Paul Wernle, hat in seinen "Gedanken eines Deutsch-
Schweizers", Zürich, 1915, das beste Verständnis für deutsches Wesen und
deutsche Geistesart bekundet. Er ist mannhaft gegen Spitteler aufgetreten.
"Es steht nächstens so, daß vom angeblich einzig korrekten schweizerischen
Patriotismus aus uns Deutsch-Schweizern der Gegensatz gegen Deutschland zur
Pflicht gemacht werden soll. Indessen wird es uns immer freistehen, unsere
Sympathien dem Land zuzuwenden, zu dem uns das Gefühl tiefer geistiger
Verwandtschaft zieht, ohne daß wir deshalb um unsern Patriotismus besorgt
zu sein brauchen". "Das eine wollen wir uns ausgebeten haben: man ver¬
schone uns mit Weisungen und Richtlinien, nach welcher Seite unser Herz sich
wenden soll. Man gebe uns keine Lektionen über echten schweizerischen
Patriotismus und beherzige lieber die Tatsache, daß unsre größten Schweizer¬
dichter der neueren Zeit (C. F. Meyer und G. Keller) in einer Schicksals stunde
Deutschlands völlig deutsch empfunden haben". Wernle ist ein aufrechter,
gerader Mann, der den Mut hat, auch gegen den Strom zu schwimmen und
offen, ja rücksichtslos für das eintritt, was er für Recht erkennt. Seine Schrift
hat ihm zahlreiche Zustimmungsäußerungen aus der Schweiz eingetragen, das
beweist also, daß es falsch ist, wenn man glaubt, Deutschland habe keine Sym-
pathieen in der Schweiz. Ein Redakteur der deutsch-freundlichsten Zeitung der
Schweiz, des "Basler Anzeiger", berichtete im vergangenen Herbst auf Grund
seiner Reiseerlebnisse in Deutschland, die Stimmung gegenüber der Schweiz sei
dort so abgekühlt, daß man die Schweiz beinahe für deutschfeindlich halte.
Derartige Wirkungen eines steten Abrückens von Deutschland wegen des schwei¬
zerischen einheitlichen Kulturwillcns find begreiflich. Trotzdem find sie falsch.
Wir wollen nicht verlangen, daß unsere nationale Empfindung in der gleichen
Tonart oder gar in derselbe" Stärke uns aus der Schweiz entgegenklinge. Wir
haben im Anfang des Krieges in großer Gutmütigkeit geglaubt, die Töne
nationaler Begeisterung, der Entrüstung über unsere Gegner, unsere Sieges-
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Die Stellung der neutralen Schweiz zu Deutschland

Als ob nicht für die Schweiz aus Spittelers Sätzen folgen würde: Wenn du
nur könntest, müßtest du ebenso viel wie die andern rauben I Weil du es aber
nicht kannst, mußt du aus lauter Egoismus die internationale Friedensfahne
herausstecken.

Tatsächlich hat Spitteler es mit verschuldet, wenn der Schein erweckt ist,
als dürsten die Welsch-Schweizer ihr heißes Blut, das ihnen immer als ge¬
nügende Entschuldigung zugute gehalten wird, zugunsten der Franzosen zum
Sieden bringen, der Deutsch-Schweizer müßte dagegen, um nur ja die Staats¬
einheit nicht zu stören, alle Rassen-, Kultur- und Sprachgemeinschaft mit Deutsch¬
land verleugnen. Nach Spitteler liegt in der Sprachgemeinschaft nichts anderes
als ein Stück „Philologie". Und die könne doch nicht entscheidend sein.
Derartige Entgleisungen Spittelers haben nun glücklicherweise nicht bloß in
Deutschland, sondern auch in der Schweiz zu einer energischen Zurechtweisung
geführt. Einer der bedeutendsten Professoren der Universität Basel, ihr gegen¬
wärtiger Rektor, Paul Wernle, hat in seinen „Gedanken eines Deutsch-
Schweizers", Zürich, 1915, das beste Verständnis für deutsches Wesen und
deutsche Geistesart bekundet. Er ist mannhaft gegen Spitteler aufgetreten.
„Es steht nächstens so, daß vom angeblich einzig korrekten schweizerischen
Patriotismus aus uns Deutsch-Schweizern der Gegensatz gegen Deutschland zur
Pflicht gemacht werden soll. Indessen wird es uns immer freistehen, unsere
Sympathien dem Land zuzuwenden, zu dem uns das Gefühl tiefer geistiger
Verwandtschaft zieht, ohne daß wir deshalb um unsern Patriotismus besorgt
zu sein brauchen". „Das eine wollen wir uns ausgebeten haben: man ver¬
schone uns mit Weisungen und Richtlinien, nach welcher Seite unser Herz sich
wenden soll. Man gebe uns keine Lektionen über echten schweizerischen
Patriotismus und beherzige lieber die Tatsache, daß unsre größten Schweizer¬
dichter der neueren Zeit (C. F. Meyer und G. Keller) in einer Schicksals stunde
Deutschlands völlig deutsch empfunden haben". Wernle ist ein aufrechter,
gerader Mann, der den Mut hat, auch gegen den Strom zu schwimmen und
offen, ja rücksichtslos für das eintritt, was er für Recht erkennt. Seine Schrift
hat ihm zahlreiche Zustimmungsäußerungen aus der Schweiz eingetragen, das
beweist also, daß es falsch ist, wenn man glaubt, Deutschland habe keine Sym-
pathieen in der Schweiz. Ein Redakteur der deutsch-freundlichsten Zeitung der
Schweiz, des „Basler Anzeiger", berichtete im vergangenen Herbst auf Grund
seiner Reiseerlebnisse in Deutschland, die Stimmung gegenüber der Schweiz sei
dort so abgekühlt, daß man die Schweiz beinahe für deutschfeindlich halte.
Derartige Wirkungen eines steten Abrückens von Deutschland wegen des schwei¬
zerischen einheitlichen Kulturwillcns find begreiflich. Trotzdem find sie falsch.
Wir wollen nicht verlangen, daß unsere nationale Empfindung in der gleichen
Tonart oder gar in derselbe» Stärke uns aus der Schweiz entgegenklinge. Wir
haben im Anfang des Krieges in großer Gutmütigkeit geglaubt, die Töne
nationaler Begeisterung, der Entrüstung über unsere Gegner, unsere Sieges-
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_329665/57>, abgerufen am 15.01.2025.