Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Wiederaufbau Ostpreußens

Da für diese Fragen ein besonderes Dezernat unter dem Regierungs- und
Gewerberat Professor Hecker bei dem Oberpräsidium eingerichtet wurde, hat der
Gedanke des genossenschaftlichen Zusammenschlusses in der Provinz schon er¬
freulich an Boden gewonnen. Es sind bereits eine große Reihe von Tischler-,
Schlosser-, Tapezierer-, Töpfer-, Dachdecker- und Klempnerwerkgenossenschaften
entstanden. Bis Ende Juli waren insgesamt 8 derartige Verbände gegründet.
Es gilt, das Handwerk in Lieferungsverbänden, in festen, kaufmännisch und
technisch gut geleiteten Genossenschaften zusammenzuschließen; aber nicht in losen
Einzelorganisationen, sondern in einer Art Vermittlungsamt als Zentral-
organisation. So besteht in Königsberg die Verdingungsstelle der Handwerks¬
kammer für den Wiederaufbau Ostpreußens unter Beteiligung der zum Ostdeutschen
Handwerkskammertag vereinigten 14 ostdeutschen Handwerkskammern.

Um den kleineren Handwerksmeistern für die Bearbeitung der gemeinsam
bezogenen Rohstoffe und Halbfabrikate die Möglichkeit der Benutzung maschineller
Betriebe zu bieten, ist der Vorschlag gemacht worden. Werkstättenhäuser zu
gründen, deren Einrichtung als öffentliche oder gemeinnützige gedacht ist. Man
glaubt, daß es möglich ist, die Kosten für diese Einrichtungen aus den Mitteln
der Landesversicherungsanstalt zu erhalten, was aber bei der Zurückhaltung
dieser Behörden selbst gegenüber dem sonst reich bedachten Kleinwohnungsbau
wohl kaum durchführbar sein wird. Erwünscht würde es jedenfalls sein, wenn
die Benutzung maschineller Hilfsmittel den Handwerksmeistern durch Zentrali¬
sierung der Kraftanlage und die damit verbundene Verbilligung des Betriebes
ermöglicht werden könnte. Denn der Mangel an Arbeitskräften verhindert
häufig, den an die Handwerker gestellten Anforderungen bei der Hochflut der
Austräge gerecht zu werden. Ein außerordentlicher Dienst würde dem Klein¬
handwerk, wie auch der Landwirtschaft, die ja infolge der Landflucht Mangel
an Arbeitskräften leidet, durch die beabsichtigte Elektrizitätsversorgung geleistet,
die zum Staatsmonopol ausgebildet werden soll.

Um die Verteilung der verfügbaren und aus dem Reiche sich anbietenden
Arbeitskräfte zu erreichen, ist in Königsberg eine Arbeitsvermittlungsstelle ge¬
gründet worden. Außerdem wurden zwischen den Verbänden der Arbeitgeber
und Arbeitnehmer Lohntarife mit Minimallöhnen für die einzelnen Kreise ver¬
einbart, um auch Arbeitskräfte aus anderen Teilen des Reiches heranzuziehen.
Es ist zu beobachten, daß die Arbeitskräfte die Neigung haben, immer mehr
und mehr in das Kriegsgebiet an und über der Grenze vorzudringen, angelockt
durch die dort immer höher steigenden Lohnsätze, die teilweise über das Doppelte
der Stundenlöhne vor dem Kriege hinausgehen.

Die Arbeiterfrage hat zu einer sehr bemerkenswerten Organisation geführt,
die in ihrem weiteren Ausbau auch nach der kolonisatorischen Seite hin viel¬
versprechend ist. Das ist die Heranziehung von Gefangenen zu landwirtschaft¬
lichen, handwerklichen und sonstigen Arbeiten, um den Mangel an Arbeitskräften
auszugleichen. In überragendem Maße werden unter Leitung der Militär-


Der Wiederaufbau Ostpreußens

Da für diese Fragen ein besonderes Dezernat unter dem Regierungs- und
Gewerberat Professor Hecker bei dem Oberpräsidium eingerichtet wurde, hat der
Gedanke des genossenschaftlichen Zusammenschlusses in der Provinz schon er¬
freulich an Boden gewonnen. Es sind bereits eine große Reihe von Tischler-,
Schlosser-, Tapezierer-, Töpfer-, Dachdecker- und Klempnerwerkgenossenschaften
entstanden. Bis Ende Juli waren insgesamt 8 derartige Verbände gegründet.
Es gilt, das Handwerk in Lieferungsverbänden, in festen, kaufmännisch und
technisch gut geleiteten Genossenschaften zusammenzuschließen; aber nicht in losen
Einzelorganisationen, sondern in einer Art Vermittlungsamt als Zentral-
organisation. So besteht in Königsberg die Verdingungsstelle der Handwerks¬
kammer für den Wiederaufbau Ostpreußens unter Beteiligung der zum Ostdeutschen
Handwerkskammertag vereinigten 14 ostdeutschen Handwerkskammern.

Um den kleineren Handwerksmeistern für die Bearbeitung der gemeinsam
bezogenen Rohstoffe und Halbfabrikate die Möglichkeit der Benutzung maschineller
Betriebe zu bieten, ist der Vorschlag gemacht worden. Werkstättenhäuser zu
gründen, deren Einrichtung als öffentliche oder gemeinnützige gedacht ist. Man
glaubt, daß es möglich ist, die Kosten für diese Einrichtungen aus den Mitteln
der Landesversicherungsanstalt zu erhalten, was aber bei der Zurückhaltung
dieser Behörden selbst gegenüber dem sonst reich bedachten Kleinwohnungsbau
wohl kaum durchführbar sein wird. Erwünscht würde es jedenfalls sein, wenn
die Benutzung maschineller Hilfsmittel den Handwerksmeistern durch Zentrali¬
sierung der Kraftanlage und die damit verbundene Verbilligung des Betriebes
ermöglicht werden könnte. Denn der Mangel an Arbeitskräften verhindert
häufig, den an die Handwerker gestellten Anforderungen bei der Hochflut der
Austräge gerecht zu werden. Ein außerordentlicher Dienst würde dem Klein¬
handwerk, wie auch der Landwirtschaft, die ja infolge der Landflucht Mangel
an Arbeitskräften leidet, durch die beabsichtigte Elektrizitätsversorgung geleistet,
die zum Staatsmonopol ausgebildet werden soll.

Um die Verteilung der verfügbaren und aus dem Reiche sich anbietenden
Arbeitskräfte zu erreichen, ist in Königsberg eine Arbeitsvermittlungsstelle ge¬
gründet worden. Außerdem wurden zwischen den Verbänden der Arbeitgeber
und Arbeitnehmer Lohntarife mit Minimallöhnen für die einzelnen Kreise ver¬
einbart, um auch Arbeitskräfte aus anderen Teilen des Reiches heranzuziehen.
Es ist zu beobachten, daß die Arbeitskräfte die Neigung haben, immer mehr
und mehr in das Kriegsgebiet an und über der Grenze vorzudringen, angelockt
durch die dort immer höher steigenden Lohnsätze, die teilweise über das Doppelte
der Stundenlöhne vor dem Kriege hinausgehen.

Die Arbeiterfrage hat zu einer sehr bemerkenswerten Organisation geführt,
die in ihrem weiteren Ausbau auch nach der kolonisatorischen Seite hin viel¬
versprechend ist. Das ist die Heranziehung von Gefangenen zu landwirtschaft¬
lichen, handwerklichen und sonstigen Arbeiten, um den Mangel an Arbeitskräften
auszugleichen. In überragendem Maße werden unter Leitung der Militär-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0411" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/330079"/>
          <fw type="header" place="top"> Der Wiederaufbau Ostpreußens</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1400"> Da für diese Fragen ein besonderes Dezernat unter dem Regierungs- und<lb/>
Gewerberat Professor Hecker bei dem Oberpräsidium eingerichtet wurde, hat der<lb/>
Gedanke des genossenschaftlichen Zusammenschlusses in der Provinz schon er¬<lb/>
freulich an Boden gewonnen. Es sind bereits eine große Reihe von Tischler-,<lb/>
Schlosser-, Tapezierer-, Töpfer-, Dachdecker- und Klempnerwerkgenossenschaften<lb/>
entstanden. Bis Ende Juli waren insgesamt 8 derartige Verbände gegründet.<lb/>
Es gilt, das Handwerk in Lieferungsverbänden, in festen, kaufmännisch und<lb/>
technisch gut geleiteten Genossenschaften zusammenzuschließen; aber nicht in losen<lb/>
Einzelorganisationen, sondern in einer Art Vermittlungsamt als Zentral-<lb/>
organisation. So besteht in Königsberg die Verdingungsstelle der Handwerks¬<lb/>
kammer für den Wiederaufbau Ostpreußens unter Beteiligung der zum Ostdeutschen<lb/>
Handwerkskammertag vereinigten 14 ostdeutschen Handwerkskammern.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1401"> Um den kleineren Handwerksmeistern für die Bearbeitung der gemeinsam<lb/>
bezogenen Rohstoffe und Halbfabrikate die Möglichkeit der Benutzung maschineller<lb/>
Betriebe zu bieten, ist der Vorschlag gemacht worden. Werkstättenhäuser zu<lb/>
gründen, deren Einrichtung als öffentliche oder gemeinnützige gedacht ist. Man<lb/>
glaubt, daß es möglich ist, die Kosten für diese Einrichtungen aus den Mitteln<lb/>
der Landesversicherungsanstalt zu erhalten, was aber bei der Zurückhaltung<lb/>
dieser Behörden selbst gegenüber dem sonst reich bedachten Kleinwohnungsbau<lb/>
wohl kaum durchführbar sein wird. Erwünscht würde es jedenfalls sein, wenn<lb/>
die Benutzung maschineller Hilfsmittel den Handwerksmeistern durch Zentrali¬<lb/>
sierung der Kraftanlage und die damit verbundene Verbilligung des Betriebes<lb/>
ermöglicht werden könnte. Denn der Mangel an Arbeitskräften verhindert<lb/>
häufig, den an die Handwerker gestellten Anforderungen bei der Hochflut der<lb/>
Austräge gerecht zu werden. Ein außerordentlicher Dienst würde dem Klein¬<lb/>
handwerk, wie auch der Landwirtschaft, die ja infolge der Landflucht Mangel<lb/>
an Arbeitskräften leidet, durch die beabsichtigte Elektrizitätsversorgung geleistet,<lb/>
die zum Staatsmonopol ausgebildet werden soll.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1402"> Um die Verteilung der verfügbaren und aus dem Reiche sich anbietenden<lb/>
Arbeitskräfte zu erreichen, ist in Königsberg eine Arbeitsvermittlungsstelle ge¬<lb/>
gründet worden. Außerdem wurden zwischen den Verbänden der Arbeitgeber<lb/>
und Arbeitnehmer Lohntarife mit Minimallöhnen für die einzelnen Kreise ver¬<lb/>
einbart, um auch Arbeitskräfte aus anderen Teilen des Reiches heranzuziehen.<lb/>
Es ist zu beobachten, daß die Arbeitskräfte die Neigung haben, immer mehr<lb/>
und mehr in das Kriegsgebiet an und über der Grenze vorzudringen, angelockt<lb/>
durch die dort immer höher steigenden Lohnsätze, die teilweise über das Doppelte<lb/>
der Stundenlöhne vor dem Kriege hinausgehen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1403" next="#ID_1404"> Die Arbeiterfrage hat zu einer sehr bemerkenswerten Organisation geführt,<lb/>
die in ihrem weiteren Ausbau auch nach der kolonisatorischen Seite hin viel¬<lb/>
versprechend ist. Das ist die Heranziehung von Gefangenen zu landwirtschaft¬<lb/>
lichen, handwerklichen und sonstigen Arbeiten, um den Mangel an Arbeitskräften<lb/>
auszugleichen.  In überragendem Maße werden unter Leitung der Militär-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0411] Der Wiederaufbau Ostpreußens Da für diese Fragen ein besonderes Dezernat unter dem Regierungs- und Gewerberat Professor Hecker bei dem Oberpräsidium eingerichtet wurde, hat der Gedanke des genossenschaftlichen Zusammenschlusses in der Provinz schon er¬ freulich an Boden gewonnen. Es sind bereits eine große Reihe von Tischler-, Schlosser-, Tapezierer-, Töpfer-, Dachdecker- und Klempnerwerkgenossenschaften entstanden. Bis Ende Juli waren insgesamt 8 derartige Verbände gegründet. Es gilt, das Handwerk in Lieferungsverbänden, in festen, kaufmännisch und technisch gut geleiteten Genossenschaften zusammenzuschließen; aber nicht in losen Einzelorganisationen, sondern in einer Art Vermittlungsamt als Zentral- organisation. So besteht in Königsberg die Verdingungsstelle der Handwerks¬ kammer für den Wiederaufbau Ostpreußens unter Beteiligung der zum Ostdeutschen Handwerkskammertag vereinigten 14 ostdeutschen Handwerkskammern. Um den kleineren Handwerksmeistern für die Bearbeitung der gemeinsam bezogenen Rohstoffe und Halbfabrikate die Möglichkeit der Benutzung maschineller Betriebe zu bieten, ist der Vorschlag gemacht worden. Werkstättenhäuser zu gründen, deren Einrichtung als öffentliche oder gemeinnützige gedacht ist. Man glaubt, daß es möglich ist, die Kosten für diese Einrichtungen aus den Mitteln der Landesversicherungsanstalt zu erhalten, was aber bei der Zurückhaltung dieser Behörden selbst gegenüber dem sonst reich bedachten Kleinwohnungsbau wohl kaum durchführbar sein wird. Erwünscht würde es jedenfalls sein, wenn die Benutzung maschineller Hilfsmittel den Handwerksmeistern durch Zentrali¬ sierung der Kraftanlage und die damit verbundene Verbilligung des Betriebes ermöglicht werden könnte. Denn der Mangel an Arbeitskräften verhindert häufig, den an die Handwerker gestellten Anforderungen bei der Hochflut der Austräge gerecht zu werden. Ein außerordentlicher Dienst würde dem Klein¬ handwerk, wie auch der Landwirtschaft, die ja infolge der Landflucht Mangel an Arbeitskräften leidet, durch die beabsichtigte Elektrizitätsversorgung geleistet, die zum Staatsmonopol ausgebildet werden soll. Um die Verteilung der verfügbaren und aus dem Reiche sich anbietenden Arbeitskräfte zu erreichen, ist in Königsberg eine Arbeitsvermittlungsstelle ge¬ gründet worden. Außerdem wurden zwischen den Verbänden der Arbeitgeber und Arbeitnehmer Lohntarife mit Minimallöhnen für die einzelnen Kreise ver¬ einbart, um auch Arbeitskräfte aus anderen Teilen des Reiches heranzuziehen. Es ist zu beobachten, daß die Arbeitskräfte die Neigung haben, immer mehr und mehr in das Kriegsgebiet an und über der Grenze vorzudringen, angelockt durch die dort immer höher steigenden Lohnsätze, die teilweise über das Doppelte der Stundenlöhne vor dem Kriege hinausgehen. Die Arbeiterfrage hat zu einer sehr bemerkenswerten Organisation geführt, die in ihrem weiteren Ausbau auch nach der kolonisatorischen Seite hin viel¬ versprechend ist. Das ist die Heranziehung von Gefangenen zu landwirtschaft¬ lichen, handwerklichen und sonstigen Arbeiten, um den Mangel an Arbeitskräften auszugleichen. In überragendem Maße werden unter Leitung der Militär-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_329665
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_329665/411
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_329665/411>, abgerufen am 15.01.2025.