Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Wiederaufbau (Ostpreußens

Als ein offenbarer Mangel ist das Fehlen näherer Bestimmungen über
Anzahl, Größe und Beschaffenheit der Wohnungen zu bezeichnen. Die Anzahl
der Familienwohnungen auf Treppe und Geschoß ist nicht begrenzt. Dies ist
nur dadurch erklärlich, daß die darauf bezüglichen Vorschriften des künftigen
preußischen Wohnungsgesetzes -- das wohl sicher derartige Bestimmungen bringen
wird -- nicht vorweggenommen werden sollen. Es ist aber zweifellos für die
bauliche Beschaffenheit der Gebäude gerade jetzt, wo viel unerwünschtes Spekulanten-
tum die Provinz von außen her überschwemmt, die umgehende gesetzliche Re¬
gelung dieser Frage im fiedlungspolitischen Sinne als ungemein wichtig zu
bezeichnen. Mehr als zwei Wohnungen im Geschoß und an einer Treppe
sollten bei den niedrigen Bodenpreisen Ostpreußens nicht angängig sein. Die
Dreiräumigkeit der Wohnungen -- Stube, Kammer, Küche mit zusammen
mindestens 38 Quadratmeter -- sollte allgemein gefordert werden. Für jede
Wohnung ist ein abschließbarer, möglichst belichteter Vorraum nötig, alles
Grundsätze, die jetzt allgemein für kleinere Städte und Landgemeinden ebenso
wie für die Außenbezirke der Großstädte angestrebt werden. Wie wichtig diese
Bestimmungen sein werden, und wie nutzbringend sie gerade jetzt beim Beginn
des Wiederaufbaues von nahezu 100 000 Wohnungen sein können, geht daraus
hervor, daß die einräumigen Wohnungen in Ostpreußen keineswegs zu den
Seltenheiten gehören. Die Hebung des Wohnbedürfnisses wird daher eine der
künstigen Hauptaufgaben der Verwaltung darstellen.

Die Anhörung technischer Sachverständiger ist dem Ermessen der Bau¬
polizeibehörde anheimgegeben, während diese Frage gesetzlich als notwendiger
Bestandteil der Prüfung und Genehmigung geregelt sein sollte. In diesem
schwachen Punkte setzt eine begrüßenswerte Maßnahme der Staatsregierung
mit der Schaffung von Bauberatungsämtern ein, die sich wie ein Netz über alle
von der Zerstörung betroffenen Teile der Provinz ausbreiten. Jedes dieser
Ämter wird durch einen Bezirksarchitekten verwaltet. Die Fäden dieser Ein¬
richtung laufen in einer Zentralstelle in Königsberg am Sitze des Oberpräfidiums
zusammen: im königlichen Hauptbauberatungsamt, dessen Organisation im engen
Anschluß an das Oberpräsidium erfolgt ist.

Der Aufgabenkreis der Bezirksarchitekten ist dahin zusammenzufassen, daß
sie neben der Bearbeitung der städtischen Bebauungspläne jedes Bauvorhaben
in seinen Beziehungen zur Örtlichkeit, zur Umgebung, zum Orts- und Land¬
schaftsbilde und zur Landschaft zu prüfen haben. Die eigentlichen baupolizei¬
lichen Prüfungen sollen nach wie vor den dafür bestimmten Organen verbleiben.
Es ist vorauszusehen, daß sich die Arbeit der Bezirksarchitekten nicht auf diesen
einseitigen Standpunkt festlegen lassen wird, daß vielmehr der Aufgabenkreis
dieser Fachleute sich ganz von selbst um jene Funktionen bereichern wird.
So wie ihre Aufgabe zunächst.begrenzt ist, ist sie schon an sich unmöglich,
da nach den neuzeitlichen Grundsätzen ein künstlerisch und technisch voll¬
kommenes Gebäude als Gesamtorganismus aus Grundritz und Aufriß alle


Der Wiederaufbau (Ostpreußens

Als ein offenbarer Mangel ist das Fehlen näherer Bestimmungen über
Anzahl, Größe und Beschaffenheit der Wohnungen zu bezeichnen. Die Anzahl
der Familienwohnungen auf Treppe und Geschoß ist nicht begrenzt. Dies ist
nur dadurch erklärlich, daß die darauf bezüglichen Vorschriften des künftigen
preußischen Wohnungsgesetzes — das wohl sicher derartige Bestimmungen bringen
wird — nicht vorweggenommen werden sollen. Es ist aber zweifellos für die
bauliche Beschaffenheit der Gebäude gerade jetzt, wo viel unerwünschtes Spekulanten-
tum die Provinz von außen her überschwemmt, die umgehende gesetzliche Re¬
gelung dieser Frage im fiedlungspolitischen Sinne als ungemein wichtig zu
bezeichnen. Mehr als zwei Wohnungen im Geschoß und an einer Treppe
sollten bei den niedrigen Bodenpreisen Ostpreußens nicht angängig sein. Die
Dreiräumigkeit der Wohnungen — Stube, Kammer, Küche mit zusammen
mindestens 38 Quadratmeter — sollte allgemein gefordert werden. Für jede
Wohnung ist ein abschließbarer, möglichst belichteter Vorraum nötig, alles
Grundsätze, die jetzt allgemein für kleinere Städte und Landgemeinden ebenso
wie für die Außenbezirke der Großstädte angestrebt werden. Wie wichtig diese
Bestimmungen sein werden, und wie nutzbringend sie gerade jetzt beim Beginn
des Wiederaufbaues von nahezu 100 000 Wohnungen sein können, geht daraus
hervor, daß die einräumigen Wohnungen in Ostpreußen keineswegs zu den
Seltenheiten gehören. Die Hebung des Wohnbedürfnisses wird daher eine der
künstigen Hauptaufgaben der Verwaltung darstellen.

Die Anhörung technischer Sachverständiger ist dem Ermessen der Bau¬
polizeibehörde anheimgegeben, während diese Frage gesetzlich als notwendiger
Bestandteil der Prüfung und Genehmigung geregelt sein sollte. In diesem
schwachen Punkte setzt eine begrüßenswerte Maßnahme der Staatsregierung
mit der Schaffung von Bauberatungsämtern ein, die sich wie ein Netz über alle
von der Zerstörung betroffenen Teile der Provinz ausbreiten. Jedes dieser
Ämter wird durch einen Bezirksarchitekten verwaltet. Die Fäden dieser Ein¬
richtung laufen in einer Zentralstelle in Königsberg am Sitze des Oberpräfidiums
zusammen: im königlichen Hauptbauberatungsamt, dessen Organisation im engen
Anschluß an das Oberpräsidium erfolgt ist.

Der Aufgabenkreis der Bezirksarchitekten ist dahin zusammenzufassen, daß
sie neben der Bearbeitung der städtischen Bebauungspläne jedes Bauvorhaben
in seinen Beziehungen zur Örtlichkeit, zur Umgebung, zum Orts- und Land¬
schaftsbilde und zur Landschaft zu prüfen haben. Die eigentlichen baupolizei¬
lichen Prüfungen sollen nach wie vor den dafür bestimmten Organen verbleiben.
Es ist vorauszusehen, daß sich die Arbeit der Bezirksarchitekten nicht auf diesen
einseitigen Standpunkt festlegen lassen wird, daß vielmehr der Aufgabenkreis
dieser Fachleute sich ganz von selbst um jene Funktionen bereichern wird.
So wie ihre Aufgabe zunächst.begrenzt ist, ist sie schon an sich unmöglich,
da nach den neuzeitlichen Grundsätzen ein künstlerisch und technisch voll¬
kommenes Gebäude als Gesamtorganismus aus Grundritz und Aufriß alle


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0406" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/330074"/>
          <fw type="header" place="top"> Der Wiederaufbau (Ostpreußens</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1378"> Als ein offenbarer Mangel ist das Fehlen näherer Bestimmungen über<lb/>
Anzahl, Größe und Beschaffenheit der Wohnungen zu bezeichnen. Die Anzahl<lb/>
der Familienwohnungen auf Treppe und Geschoß ist nicht begrenzt. Dies ist<lb/>
nur dadurch erklärlich, daß die darauf bezüglichen Vorschriften des künftigen<lb/>
preußischen Wohnungsgesetzes &#x2014; das wohl sicher derartige Bestimmungen bringen<lb/>
wird &#x2014; nicht vorweggenommen werden sollen. Es ist aber zweifellos für die<lb/>
bauliche Beschaffenheit der Gebäude gerade jetzt, wo viel unerwünschtes Spekulanten-<lb/>
tum die Provinz von außen her überschwemmt, die umgehende gesetzliche Re¬<lb/>
gelung dieser Frage im fiedlungspolitischen Sinne als ungemein wichtig zu<lb/>
bezeichnen. Mehr als zwei Wohnungen im Geschoß und an einer Treppe<lb/>
sollten bei den niedrigen Bodenpreisen Ostpreußens nicht angängig sein. Die<lb/>
Dreiräumigkeit der Wohnungen &#x2014; Stube, Kammer, Küche mit zusammen<lb/>
mindestens 38 Quadratmeter &#x2014; sollte allgemein gefordert werden. Für jede<lb/>
Wohnung ist ein abschließbarer, möglichst belichteter Vorraum nötig, alles<lb/>
Grundsätze, die jetzt allgemein für kleinere Städte und Landgemeinden ebenso<lb/>
wie für die Außenbezirke der Großstädte angestrebt werden. Wie wichtig diese<lb/>
Bestimmungen sein werden, und wie nutzbringend sie gerade jetzt beim Beginn<lb/>
des Wiederaufbaues von nahezu 100 000 Wohnungen sein können, geht daraus<lb/>
hervor, daß die einräumigen Wohnungen in Ostpreußen keineswegs zu den<lb/>
Seltenheiten gehören. Die Hebung des Wohnbedürfnisses wird daher eine der<lb/>
künstigen Hauptaufgaben der Verwaltung darstellen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1379"> Die Anhörung technischer Sachverständiger ist dem Ermessen der Bau¬<lb/>
polizeibehörde anheimgegeben, während diese Frage gesetzlich als notwendiger<lb/>
Bestandteil der Prüfung und Genehmigung geregelt sein sollte. In diesem<lb/>
schwachen Punkte setzt eine begrüßenswerte Maßnahme der Staatsregierung<lb/>
mit der Schaffung von Bauberatungsämtern ein, die sich wie ein Netz über alle<lb/>
von der Zerstörung betroffenen Teile der Provinz ausbreiten. Jedes dieser<lb/>
Ämter wird durch einen Bezirksarchitekten verwaltet. Die Fäden dieser Ein¬<lb/>
richtung laufen in einer Zentralstelle in Königsberg am Sitze des Oberpräfidiums<lb/>
zusammen: im königlichen Hauptbauberatungsamt, dessen Organisation im engen<lb/>
Anschluß an das Oberpräsidium erfolgt ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1380" next="#ID_1381"> Der Aufgabenkreis der Bezirksarchitekten ist dahin zusammenzufassen, daß<lb/>
sie neben der Bearbeitung der städtischen Bebauungspläne jedes Bauvorhaben<lb/>
in seinen Beziehungen zur Örtlichkeit, zur Umgebung, zum Orts- und Land¬<lb/>
schaftsbilde und zur Landschaft zu prüfen haben. Die eigentlichen baupolizei¬<lb/>
lichen Prüfungen sollen nach wie vor den dafür bestimmten Organen verbleiben.<lb/>
Es ist vorauszusehen, daß sich die Arbeit der Bezirksarchitekten nicht auf diesen<lb/>
einseitigen Standpunkt festlegen lassen wird, daß vielmehr der Aufgabenkreis<lb/>
dieser Fachleute sich ganz von selbst um jene Funktionen bereichern wird.<lb/>
So wie ihre Aufgabe zunächst.begrenzt ist, ist sie schon an sich unmöglich,<lb/>
da nach den neuzeitlichen Grundsätzen ein künstlerisch und technisch voll¬<lb/>
kommenes Gebäude als Gesamtorganismus aus Grundritz und Aufriß alle</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0406] Der Wiederaufbau (Ostpreußens Als ein offenbarer Mangel ist das Fehlen näherer Bestimmungen über Anzahl, Größe und Beschaffenheit der Wohnungen zu bezeichnen. Die Anzahl der Familienwohnungen auf Treppe und Geschoß ist nicht begrenzt. Dies ist nur dadurch erklärlich, daß die darauf bezüglichen Vorschriften des künftigen preußischen Wohnungsgesetzes — das wohl sicher derartige Bestimmungen bringen wird — nicht vorweggenommen werden sollen. Es ist aber zweifellos für die bauliche Beschaffenheit der Gebäude gerade jetzt, wo viel unerwünschtes Spekulanten- tum die Provinz von außen her überschwemmt, die umgehende gesetzliche Re¬ gelung dieser Frage im fiedlungspolitischen Sinne als ungemein wichtig zu bezeichnen. Mehr als zwei Wohnungen im Geschoß und an einer Treppe sollten bei den niedrigen Bodenpreisen Ostpreußens nicht angängig sein. Die Dreiräumigkeit der Wohnungen — Stube, Kammer, Küche mit zusammen mindestens 38 Quadratmeter — sollte allgemein gefordert werden. Für jede Wohnung ist ein abschließbarer, möglichst belichteter Vorraum nötig, alles Grundsätze, die jetzt allgemein für kleinere Städte und Landgemeinden ebenso wie für die Außenbezirke der Großstädte angestrebt werden. Wie wichtig diese Bestimmungen sein werden, und wie nutzbringend sie gerade jetzt beim Beginn des Wiederaufbaues von nahezu 100 000 Wohnungen sein können, geht daraus hervor, daß die einräumigen Wohnungen in Ostpreußen keineswegs zu den Seltenheiten gehören. Die Hebung des Wohnbedürfnisses wird daher eine der künstigen Hauptaufgaben der Verwaltung darstellen. Die Anhörung technischer Sachverständiger ist dem Ermessen der Bau¬ polizeibehörde anheimgegeben, während diese Frage gesetzlich als notwendiger Bestandteil der Prüfung und Genehmigung geregelt sein sollte. In diesem schwachen Punkte setzt eine begrüßenswerte Maßnahme der Staatsregierung mit der Schaffung von Bauberatungsämtern ein, die sich wie ein Netz über alle von der Zerstörung betroffenen Teile der Provinz ausbreiten. Jedes dieser Ämter wird durch einen Bezirksarchitekten verwaltet. Die Fäden dieser Ein¬ richtung laufen in einer Zentralstelle in Königsberg am Sitze des Oberpräfidiums zusammen: im königlichen Hauptbauberatungsamt, dessen Organisation im engen Anschluß an das Oberpräsidium erfolgt ist. Der Aufgabenkreis der Bezirksarchitekten ist dahin zusammenzufassen, daß sie neben der Bearbeitung der städtischen Bebauungspläne jedes Bauvorhaben in seinen Beziehungen zur Örtlichkeit, zur Umgebung, zum Orts- und Land¬ schaftsbilde und zur Landschaft zu prüfen haben. Die eigentlichen baupolizei¬ lichen Prüfungen sollen nach wie vor den dafür bestimmten Organen verbleiben. Es ist vorauszusehen, daß sich die Arbeit der Bezirksarchitekten nicht auf diesen einseitigen Standpunkt festlegen lassen wird, daß vielmehr der Aufgabenkreis dieser Fachleute sich ganz von selbst um jene Funktionen bereichern wird. So wie ihre Aufgabe zunächst.begrenzt ist, ist sie schon an sich unmöglich, da nach den neuzeitlichen Grundsätzen ein künstlerisch und technisch voll¬ kommenes Gebäude als Gesamtorganismus aus Grundritz und Aufriß alle

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_329665
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_329665/406
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_329665/406>, abgerufen am 15.01.2025.