Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr.Einiges vom Finden weder nach § 965, noch nach Z 978. Denn, als der Reisende ausstieg, DieselbeRechtsstellung, die hier dem Vertauscher des Schiras auf der Eisenbahn Einiges vom Finden weder nach § 965, noch nach Z 978. Denn, als der Reisende ausstieg, DieselbeRechtsstellung, die hier dem Vertauscher des Schiras auf der Eisenbahn <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0386" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/330054"/> <fw type="header" place="top"> Einiges vom Finden</fw><lb/> <p xml:id="ID_1308" prev="#ID_1307"> weder nach § 965, noch nach Z 978. Denn, als der Reisende ausstieg,<lb/> brachte er eine Sache in seinen Besitz, die zu diesem Zeitpunkte noch im Besitz<lb/> des Mitreisenden war, zwar nicht bewußt-rechtswidrig (Diebstahl), aber doch<lb/> fahrlässigerweise (straflose Handlung). Dagegen unterfiel das, was offenbar<lb/> nachher bei dem anderen Teile, nämlich dem Mitreisenden, eingetreten war, dem<lb/> Begriffe des uneigentlichen Findens nach § 973. Als dieser bemerkte, daß<lb/> sein Schirm weg war, durfte er wohl den fremden Schirm nach Feststellung,<lb/> daß er niemandem von den sonstigen Abteil-Insassen gehöre, zunächst<lb/> an sich nehmen; dann aber mußte er ihn der Eisenbahnbehörde sogleich ab¬<lb/> liefern, gleichviel, ob er seinen richtigen Schirm zurückbekam oder nicht. Er<lb/> tat das nicht, verstieß also gegen das strenge Recht. Will man nun aber eine<lb/> freiere Beurteilung walten lassen, entsprechend etwa den Bestrebungen des<lb/> Vereins „Recht und Wirtschaft", dann kommt man zu folgender praktischen<lb/> Entwicklung: Beide Beteiligte gaben die fremden Schirme nicht zurück. Jeder<lb/> von ihnen konnte deshalb nach einiger Zeit annehmen, daß der andere sich bei<lb/> dem Wechsel beruhige. Dadurch erlangte schließlich jeder das Eigentum an dem<lb/> jetzt besessenen Schirme durch Willenseinigung in Tauschabsicht nach HZ 515,<lb/> 929 Absatz 1 und 2 B. G. B. Denn § 929 Absatz 1 und 2 lautet: „Zur<lb/> Übertragung des Eigentums an einer beweglichen Sache ist erforderlich, daß<lb/> der Eigentümer die Sache dem Erwerber übergibt, und beide darüber einig<lb/> sind, daß das Eigentum übergehen soll. — Ist der Erwerber im Besitz der<lb/> Sache, so genügt die Einigung über den Übergang des Eigentums." Der<lb/> Eisenbahnfiskus geht dabei freilich leer aus. Er kann aber gegen diese Art<lb/> der Regelung wenigstens in bezug auf den Schirm, den sich der zuerst auf¬<lb/> gestiegene Reisende auf diese Weise zueignet, nichts einwenden, weil dieser ja<lb/> nicht gegen § 978 verstoßen hat. Für Zweifler könnte wohl noch die zehn¬<lb/> jährige Erhitzung nach §§ 937, 872 B. G. B. die Sache endgültig zum Abschluß<lb/> bringen; der dazu nach dem Gesetz erforderliche gute Glaube wäre ja mindestens<lb/> auf seiten des Erstausgestiegenen vorhanden, was hier nicht näher klar gelegt<lb/> werden soll. Beim eigentlichen Finder nach Z 965 wird ja der Eigentums¬<lb/> erwerb (falls der Verlierer nicht ermittelt wird) schon ein Jahr nach der Fundanzeige<lb/> — oder (bei Sachen bis 3 Mark Wert) nach dem Fund — vollendet.</p><lb/> <p xml:id="ID_1309" next="#ID_1310"> DieselbeRechtsstellung, die hier dem Vertauscher des Schiras auf der Eisenbahn<lb/> gegeben wird, ist denen zuzuweisen, die beim Verlassen der Wohnung eines Privatgast¬<lb/> gebers, eines Gast- oder Wirtshauses, einer Badeanstalt, einer Lesehalle, vielleicht<lb/> durch Unachtsamkeit der Kleiderwartin in der Kleiderwarte (Garderobe), irrtümlich<lb/> einen falschen Hut, Überzieher, Schirm, Stock mit hinausnehmen. Hier tritt hinzu,<lb/> daß dieseRäume fast nie—das ist wenigstens die überwiegende Meinung der Rechts¬<lb/> gelehrten — dem § 978 unterfallen (siehe den Wortlaut). Auch hier ist die nachher<lb/> gemachte Entdeckung, daß man einem anderen sein Eigentum entfremdet hat, kein<lb/> „Finden", weder nach ez 965, noch nach § 978. Verliert dagegen jemand<lb/> z. B. in einem Gasthause eine Sache, die ein anderer Gast wirklich dort</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0386]
Einiges vom Finden
weder nach § 965, noch nach Z 978. Denn, als der Reisende ausstieg,
brachte er eine Sache in seinen Besitz, die zu diesem Zeitpunkte noch im Besitz
des Mitreisenden war, zwar nicht bewußt-rechtswidrig (Diebstahl), aber doch
fahrlässigerweise (straflose Handlung). Dagegen unterfiel das, was offenbar
nachher bei dem anderen Teile, nämlich dem Mitreisenden, eingetreten war, dem
Begriffe des uneigentlichen Findens nach § 973. Als dieser bemerkte, daß
sein Schirm weg war, durfte er wohl den fremden Schirm nach Feststellung,
daß er niemandem von den sonstigen Abteil-Insassen gehöre, zunächst
an sich nehmen; dann aber mußte er ihn der Eisenbahnbehörde sogleich ab¬
liefern, gleichviel, ob er seinen richtigen Schirm zurückbekam oder nicht. Er
tat das nicht, verstieß also gegen das strenge Recht. Will man nun aber eine
freiere Beurteilung walten lassen, entsprechend etwa den Bestrebungen des
Vereins „Recht und Wirtschaft", dann kommt man zu folgender praktischen
Entwicklung: Beide Beteiligte gaben die fremden Schirme nicht zurück. Jeder
von ihnen konnte deshalb nach einiger Zeit annehmen, daß der andere sich bei
dem Wechsel beruhige. Dadurch erlangte schließlich jeder das Eigentum an dem
jetzt besessenen Schirme durch Willenseinigung in Tauschabsicht nach HZ 515,
929 Absatz 1 und 2 B. G. B. Denn § 929 Absatz 1 und 2 lautet: „Zur
Übertragung des Eigentums an einer beweglichen Sache ist erforderlich, daß
der Eigentümer die Sache dem Erwerber übergibt, und beide darüber einig
sind, daß das Eigentum übergehen soll. — Ist der Erwerber im Besitz der
Sache, so genügt die Einigung über den Übergang des Eigentums." Der
Eisenbahnfiskus geht dabei freilich leer aus. Er kann aber gegen diese Art
der Regelung wenigstens in bezug auf den Schirm, den sich der zuerst auf¬
gestiegene Reisende auf diese Weise zueignet, nichts einwenden, weil dieser ja
nicht gegen § 978 verstoßen hat. Für Zweifler könnte wohl noch die zehn¬
jährige Erhitzung nach §§ 937, 872 B. G. B. die Sache endgültig zum Abschluß
bringen; der dazu nach dem Gesetz erforderliche gute Glaube wäre ja mindestens
auf seiten des Erstausgestiegenen vorhanden, was hier nicht näher klar gelegt
werden soll. Beim eigentlichen Finder nach Z 965 wird ja der Eigentums¬
erwerb (falls der Verlierer nicht ermittelt wird) schon ein Jahr nach der Fundanzeige
— oder (bei Sachen bis 3 Mark Wert) nach dem Fund — vollendet.
DieselbeRechtsstellung, die hier dem Vertauscher des Schiras auf der Eisenbahn
gegeben wird, ist denen zuzuweisen, die beim Verlassen der Wohnung eines Privatgast¬
gebers, eines Gast- oder Wirtshauses, einer Badeanstalt, einer Lesehalle, vielleicht
durch Unachtsamkeit der Kleiderwartin in der Kleiderwarte (Garderobe), irrtümlich
einen falschen Hut, Überzieher, Schirm, Stock mit hinausnehmen. Hier tritt hinzu,
daß dieseRäume fast nie—das ist wenigstens die überwiegende Meinung der Rechts¬
gelehrten — dem § 978 unterfallen (siehe den Wortlaut). Auch hier ist die nachher
gemachte Entdeckung, daß man einem anderen sein Eigentum entfremdet hat, kein
„Finden", weder nach ez 965, noch nach § 978. Verliert dagegen jemand
z. B. in einem Gasthause eine Sache, die ein anderer Gast wirklich dort
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |