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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr.

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Die Vrieiitpolitik Friedrichs des Großen

meinen, die Türken hätten damals beabsichtigt, den König für eine nähere
Allianz zu gewinnen. In drei Jahren lief nämlich der Waffenstillstand, den die
Pforte 1739 mit Österreich geschloffen hatte, ab. In einem österreichisch-türkischen
Kriege aber konnte Friedrichs Freundschaft und eventuelle Hilfe der Türkei von
größtem Nutzen sei. Außerdem mußte in jener Zeit eine auffallende Gesandt¬
schaft nach Berlin das berechtigte Mißtrauen der Österreicher hervorrufen, die
Pforte konnte also hoffen, daß der Wiener Hof aus Angst vor einer türkisch-
preußischen Allianz sich "in pi-op08itionss einlasse" und sie so aus leichte Art
etwas erlange. Und nicht zuletzt, man hatte in der Türkei Angst vor einem
preußisch-russischen "Konzert", man fürchtete, daß Friedrich in der polnischen
Frage, an der die Pforte ebenfalls unmittelbar interessiert war, Katharina
unterstützten und gar sich zu einem Ansnff auf die Türken entschließen könnte.

Beabsichtigte so die Gesandtschaft, allen diesen Dingen auf den Grund zu
kommen, so wünschte auch Friedrich so sehnlich wie früher eine endliche Regelung
feiner Beziehungen zur Türkei. An einen Offensivvertrag dachte er freilich
diesmal nicht mehr. Er sehnte sich ja nach Ruhe und Frieden. Er ging allen
neuen kriegerischen Verwicklungen ängstlich aus dem Wege. Aber er war damals
völlig isoliert. Sein Bündnis mit Rußland war noch nicht geschlossen, mit
Versailles stand er gespannt. Österreich blieb ihm Feind und mit England hatte
er nach dem Verrat von 1761 für immer gebrochen. So spielte er denn wie 1766
mit dem Gedanken, wenigstens mit der Türkei in einem Defensivbündnis
alliiert zu sein. Deshalb empfing er Achmet Effendi in feierlicher Audienz unter
dem Thronhimmel in seinem Rittersaal, deshalb fügte er sich, wenn auch
seufzend und mit Selbstironie in das "verteufelte Zeremoniell", deshalb gab
er dem Gesandten Diners, veranstaltete ihm Schauspiele und Jagden und führte
ihm seine Infanterie und seine Kavallerie vor. Im übrigen war Achmet Effendi
ein würdiger, alter Herr, liebenswürdig und gewandt, ein Freund schöner
Frauen, offen und wißbegierig und immer bereit, alles Neue aufzunehmen und
in sich zu verarbeiten. Er besuchte die Fabriken, die Schulen, die Kirchen
Berlins, er wohnte einer Sitzung der Akademie der Wissenschaften bei, die ihn
lebhaft interessierte, und berichtete über alles, was er mit offenen Augen ge¬
sehen, ausführlich, wenn auch manchmal voller Irrtümer, nach Haufe.

Am 29. November hatte der König dann in Potsdam eine entscheidende
Unterredung mit dem türkischen Gesandten. Er sprach über seine Orientpolitik
im siebenjährigen Krieg, er entschuldigte die Wendung, die er ihr 1762 ge¬
geben, er beruhigte die Pforte wegen des preußisch-russischen Abkommens und
der polnischen Politik, die vollständig den türkischen Interessen entspräche. Zum
Schluß brachte er den Allianzgedanken zur Sprache und suchte dabei, wie Achmet
nachher schrieb, "mit der Hand auf der Karte", die daraus entspringenden
namhaften Vorteile zu zeigen. Er begründete seinen Vorschlag mit dem Hinweis
auf das gemeinsame Interesse und die geographische Lage beider Länder, die
es beiden Teilen ermögliche, durch eine Diversion sich gegenseitig zu miter-


Grenzboten I ISIS 24
Die Vrieiitpolitik Friedrichs des Großen

meinen, die Türken hätten damals beabsichtigt, den König für eine nähere
Allianz zu gewinnen. In drei Jahren lief nämlich der Waffenstillstand, den die
Pforte 1739 mit Österreich geschloffen hatte, ab. In einem österreichisch-türkischen
Kriege aber konnte Friedrichs Freundschaft und eventuelle Hilfe der Türkei von
größtem Nutzen sei. Außerdem mußte in jener Zeit eine auffallende Gesandt¬
schaft nach Berlin das berechtigte Mißtrauen der Österreicher hervorrufen, die
Pforte konnte also hoffen, daß der Wiener Hof aus Angst vor einer türkisch-
preußischen Allianz sich „in pi-op08itionss einlasse" und sie so aus leichte Art
etwas erlange. Und nicht zuletzt, man hatte in der Türkei Angst vor einem
preußisch-russischen „Konzert", man fürchtete, daß Friedrich in der polnischen
Frage, an der die Pforte ebenfalls unmittelbar interessiert war, Katharina
unterstützten und gar sich zu einem Ansnff auf die Türken entschließen könnte.

Beabsichtigte so die Gesandtschaft, allen diesen Dingen auf den Grund zu
kommen, so wünschte auch Friedrich so sehnlich wie früher eine endliche Regelung
feiner Beziehungen zur Türkei. An einen Offensivvertrag dachte er freilich
diesmal nicht mehr. Er sehnte sich ja nach Ruhe und Frieden. Er ging allen
neuen kriegerischen Verwicklungen ängstlich aus dem Wege. Aber er war damals
völlig isoliert. Sein Bündnis mit Rußland war noch nicht geschlossen, mit
Versailles stand er gespannt. Österreich blieb ihm Feind und mit England hatte
er nach dem Verrat von 1761 für immer gebrochen. So spielte er denn wie 1766
mit dem Gedanken, wenigstens mit der Türkei in einem Defensivbündnis
alliiert zu sein. Deshalb empfing er Achmet Effendi in feierlicher Audienz unter
dem Thronhimmel in seinem Rittersaal, deshalb fügte er sich, wenn auch
seufzend und mit Selbstironie in das „verteufelte Zeremoniell", deshalb gab
er dem Gesandten Diners, veranstaltete ihm Schauspiele und Jagden und führte
ihm seine Infanterie und seine Kavallerie vor. Im übrigen war Achmet Effendi
ein würdiger, alter Herr, liebenswürdig und gewandt, ein Freund schöner
Frauen, offen und wißbegierig und immer bereit, alles Neue aufzunehmen und
in sich zu verarbeiten. Er besuchte die Fabriken, die Schulen, die Kirchen
Berlins, er wohnte einer Sitzung der Akademie der Wissenschaften bei, die ihn
lebhaft interessierte, und berichtete über alles, was er mit offenen Augen ge¬
sehen, ausführlich, wenn auch manchmal voller Irrtümer, nach Haufe.

Am 29. November hatte der König dann in Potsdam eine entscheidende
Unterredung mit dem türkischen Gesandten. Er sprach über seine Orientpolitik
im siebenjährigen Krieg, er entschuldigte die Wendung, die er ihr 1762 ge¬
geben, er beruhigte die Pforte wegen des preußisch-russischen Abkommens und
der polnischen Politik, die vollständig den türkischen Interessen entspräche. Zum
Schluß brachte er den Allianzgedanken zur Sprache und suchte dabei, wie Achmet
nachher schrieb, „mit der Hand auf der Karte", die daraus entspringenden
namhaften Vorteile zu zeigen. Er begründete seinen Vorschlag mit dem Hinweis
auf das gemeinsame Interesse und die geographische Lage beider Länder, die
es beiden Teilen ermögliche, durch eine Diversion sich gegenseitig zu miter-


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[0381] Die Vrieiitpolitik Friedrichs des Großen meinen, die Türken hätten damals beabsichtigt, den König für eine nähere Allianz zu gewinnen. In drei Jahren lief nämlich der Waffenstillstand, den die Pforte 1739 mit Österreich geschloffen hatte, ab. In einem österreichisch-türkischen Kriege aber konnte Friedrichs Freundschaft und eventuelle Hilfe der Türkei von größtem Nutzen sei. Außerdem mußte in jener Zeit eine auffallende Gesandt¬ schaft nach Berlin das berechtigte Mißtrauen der Österreicher hervorrufen, die Pforte konnte also hoffen, daß der Wiener Hof aus Angst vor einer türkisch- preußischen Allianz sich „in pi-op08itionss einlasse" und sie so aus leichte Art etwas erlange. Und nicht zuletzt, man hatte in der Türkei Angst vor einem preußisch-russischen „Konzert", man fürchtete, daß Friedrich in der polnischen Frage, an der die Pforte ebenfalls unmittelbar interessiert war, Katharina unterstützten und gar sich zu einem Ansnff auf die Türken entschließen könnte. Beabsichtigte so die Gesandtschaft, allen diesen Dingen auf den Grund zu kommen, so wünschte auch Friedrich so sehnlich wie früher eine endliche Regelung feiner Beziehungen zur Türkei. An einen Offensivvertrag dachte er freilich diesmal nicht mehr. Er sehnte sich ja nach Ruhe und Frieden. Er ging allen neuen kriegerischen Verwicklungen ängstlich aus dem Wege. Aber er war damals völlig isoliert. Sein Bündnis mit Rußland war noch nicht geschlossen, mit Versailles stand er gespannt. Österreich blieb ihm Feind und mit England hatte er nach dem Verrat von 1761 für immer gebrochen. So spielte er denn wie 1766 mit dem Gedanken, wenigstens mit der Türkei in einem Defensivbündnis alliiert zu sein. Deshalb empfing er Achmet Effendi in feierlicher Audienz unter dem Thronhimmel in seinem Rittersaal, deshalb fügte er sich, wenn auch seufzend und mit Selbstironie in das „verteufelte Zeremoniell", deshalb gab er dem Gesandten Diners, veranstaltete ihm Schauspiele und Jagden und führte ihm seine Infanterie und seine Kavallerie vor. Im übrigen war Achmet Effendi ein würdiger, alter Herr, liebenswürdig und gewandt, ein Freund schöner Frauen, offen und wißbegierig und immer bereit, alles Neue aufzunehmen und in sich zu verarbeiten. Er besuchte die Fabriken, die Schulen, die Kirchen Berlins, er wohnte einer Sitzung der Akademie der Wissenschaften bei, die ihn lebhaft interessierte, und berichtete über alles, was er mit offenen Augen ge¬ sehen, ausführlich, wenn auch manchmal voller Irrtümer, nach Haufe. Am 29. November hatte der König dann in Potsdam eine entscheidende Unterredung mit dem türkischen Gesandten. Er sprach über seine Orientpolitik im siebenjährigen Krieg, er entschuldigte die Wendung, die er ihr 1762 ge¬ geben, er beruhigte die Pforte wegen des preußisch-russischen Abkommens und der polnischen Politik, die vollständig den türkischen Interessen entspräche. Zum Schluß brachte er den Allianzgedanken zur Sprache und suchte dabei, wie Achmet nachher schrieb, „mit der Hand auf der Karte", die daraus entspringenden namhaften Vorteile zu zeigen. Er begründete seinen Vorschlag mit dem Hinweis auf das gemeinsame Interesse und die geographische Lage beider Länder, die es beiden Teilen ermögliche, durch eine Diversion sich gegenseitig zu miter- Grenzboten I ISIS 24

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_329665/381>, abgerufen am 15.01.2025.