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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr.

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Die Mißgriffe der englischen Agrarpolitik

Landwirtschaft teuer zu stehen gekommen. Die Latifundienbildung wurde zu
einem Bestandteile der Wahlpolitik, daneben hat die günstige Erbgefetzgebung
des Jnselreichs, die ein Privilegium der besitzenden Klassen darstellt, das ihrige
dazu getan, das Prinzip der Zweiteilung in Besitz und Betrieb zu verstärken.
Auch die hohen Steuern, die auf dem Besitzwechsel ruhen, haben wohl
manches dazu beigetragen, die Latifundie zur Betriebsuorm zu machen. Der
künstlich hochgehaltene Bodenpreis ist nicht minder ausschlaggebend; er verhindert
eine erfolgreiche innere Kolonisation. Trotz der verminderten Pacht hielt sich
der Bodenpreis, da einmal die sozialen Vorteile des Grundbesitzes vielfach für
die niedrigere Verzinsung des Kapitals Ersatz bieten, zum anderen aber, weil
ein so erheblicher Teil des Landes fideikommissarisch gebunden und dem freien
Verkehr entzogen ist, daß der Rest noch teuer genug zu stehen kommt.

In den letzten Jahren hat man ja in England damit begonnen, dem
Fideikommiß- und Latifundiensystem den Krieg zu erklären. Die modernisierte
liberale Partei in England hat die Fehde gegen den Grundbesitz als einen
Hauptteil ihres Programms angesehen. Bisher sind jedoch die Bestrebungen von
Mißerfolgen gekrönt worden. Es ist nicht angängig, Fehler, welche man Jahr"
Hunderte hindurch begangen und mit allen Mitteln einer energischen Politik
unterstützt hat, mit einigen gesetzgeberischen Federstrichen aus der Welt zu schaffen.
Das Gesetz von 1887 (das sogenannte Allotmentgesetz) war ein Schlag ins
Wasser und das von Charles Dicke 1892 durchgedrückte Gesetz über 8maII-
KoläinZs blieb ebenfalls auf dem Papier stehen. Die erweiternden Bestimmungen
zu diesem Grundgesetze, die im Jahre 1902 und 1904 festgelegt wurden, um
1908 noch einmal revidiert zu werden, haben dann den sogenannten Land-
kreuzzng hervorgerufen, der aber auch keinen Erfolg hatte. Im Herbst 1913
bemühte sich Lloyd George, die gesamten Bestrebungen auch zur Anwendung
zu bringen. Inzwischen ist der Krieg hereingebrochen und England empfindet
schmerzvoll die Verkrüppelung seines zweiten Produktionsarmes.

Von neuem zum Körnerbau übergehen kann man nicht, denn zwischen
Ostern und Pfingsten wird aus einem Weideland kein Kornboden. Wohl aber
könnte man die Weideerzeugnisse vermehren. Man könnte die Einfuhr
von Fleisch, Butter, Eiern, Konserven, Gemüsen und Geflügel mindern. Das
Kapital zur Inangriffnahme der Produktionsvermehrung ist vorhanden, es
fehlt vielleicht auch nicht am Willen der Bodenbesitzer. Dieser Wille aber
scheitert an dem Widerstande der Pächter, welche sich außerstande sehen, das
notwendige Menschenmaterial herbeizuschaffen. Viehhaltung, Geflügelzucht,
Mast, Obstkultur, das alles bedarf einer geübten Hand. Es sind aber
weder geübte noch ungeübte Hände aufzutreiben. Mehr denn je drängt die
Landbevölkerung in die Stadt, die Streikerfolge insbesondere der Kohlen-, Dock-
und Transportarbeiter haben die Landarbeiterschaft aufgewiegelt, die Agitatoren
der Eisenbahnarbeiter, die seit dem Mai 1915 einen erbitterten Kampf
gegen den neuen staatssozialistischen Kurs der Regierung führen und mit


Die Mißgriffe der englischen Agrarpolitik

Landwirtschaft teuer zu stehen gekommen. Die Latifundienbildung wurde zu
einem Bestandteile der Wahlpolitik, daneben hat die günstige Erbgefetzgebung
des Jnselreichs, die ein Privilegium der besitzenden Klassen darstellt, das ihrige
dazu getan, das Prinzip der Zweiteilung in Besitz und Betrieb zu verstärken.
Auch die hohen Steuern, die auf dem Besitzwechsel ruhen, haben wohl
manches dazu beigetragen, die Latifundie zur Betriebsuorm zu machen. Der
künstlich hochgehaltene Bodenpreis ist nicht minder ausschlaggebend; er verhindert
eine erfolgreiche innere Kolonisation. Trotz der verminderten Pacht hielt sich
der Bodenpreis, da einmal die sozialen Vorteile des Grundbesitzes vielfach für
die niedrigere Verzinsung des Kapitals Ersatz bieten, zum anderen aber, weil
ein so erheblicher Teil des Landes fideikommissarisch gebunden und dem freien
Verkehr entzogen ist, daß der Rest noch teuer genug zu stehen kommt.

In den letzten Jahren hat man ja in England damit begonnen, dem
Fideikommiß- und Latifundiensystem den Krieg zu erklären. Die modernisierte
liberale Partei in England hat die Fehde gegen den Grundbesitz als einen
Hauptteil ihres Programms angesehen. Bisher sind jedoch die Bestrebungen von
Mißerfolgen gekrönt worden. Es ist nicht angängig, Fehler, welche man Jahr»
Hunderte hindurch begangen und mit allen Mitteln einer energischen Politik
unterstützt hat, mit einigen gesetzgeberischen Federstrichen aus der Welt zu schaffen.
Das Gesetz von 1887 (das sogenannte Allotmentgesetz) war ein Schlag ins
Wasser und das von Charles Dicke 1892 durchgedrückte Gesetz über 8maII-
KoläinZs blieb ebenfalls auf dem Papier stehen. Die erweiternden Bestimmungen
zu diesem Grundgesetze, die im Jahre 1902 und 1904 festgelegt wurden, um
1908 noch einmal revidiert zu werden, haben dann den sogenannten Land-
kreuzzng hervorgerufen, der aber auch keinen Erfolg hatte. Im Herbst 1913
bemühte sich Lloyd George, die gesamten Bestrebungen auch zur Anwendung
zu bringen. Inzwischen ist der Krieg hereingebrochen und England empfindet
schmerzvoll die Verkrüppelung seines zweiten Produktionsarmes.

Von neuem zum Körnerbau übergehen kann man nicht, denn zwischen
Ostern und Pfingsten wird aus einem Weideland kein Kornboden. Wohl aber
könnte man die Weideerzeugnisse vermehren. Man könnte die Einfuhr
von Fleisch, Butter, Eiern, Konserven, Gemüsen und Geflügel mindern. Das
Kapital zur Inangriffnahme der Produktionsvermehrung ist vorhanden, es
fehlt vielleicht auch nicht am Willen der Bodenbesitzer. Dieser Wille aber
scheitert an dem Widerstande der Pächter, welche sich außerstande sehen, das
notwendige Menschenmaterial herbeizuschaffen. Viehhaltung, Geflügelzucht,
Mast, Obstkultur, das alles bedarf einer geübten Hand. Es sind aber
weder geübte noch ungeübte Hände aufzutreiben. Mehr denn je drängt die
Landbevölkerung in die Stadt, die Streikerfolge insbesondere der Kohlen-, Dock-
und Transportarbeiter haben die Landarbeiterschaft aufgewiegelt, die Agitatoren
der Eisenbahnarbeiter, die seit dem Mai 1915 einen erbitterten Kampf
gegen den neuen staatssozialistischen Kurs der Regierung führen und mit


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[0340] Die Mißgriffe der englischen Agrarpolitik Landwirtschaft teuer zu stehen gekommen. Die Latifundienbildung wurde zu einem Bestandteile der Wahlpolitik, daneben hat die günstige Erbgefetzgebung des Jnselreichs, die ein Privilegium der besitzenden Klassen darstellt, das ihrige dazu getan, das Prinzip der Zweiteilung in Besitz und Betrieb zu verstärken. Auch die hohen Steuern, die auf dem Besitzwechsel ruhen, haben wohl manches dazu beigetragen, die Latifundie zur Betriebsuorm zu machen. Der künstlich hochgehaltene Bodenpreis ist nicht minder ausschlaggebend; er verhindert eine erfolgreiche innere Kolonisation. Trotz der verminderten Pacht hielt sich der Bodenpreis, da einmal die sozialen Vorteile des Grundbesitzes vielfach für die niedrigere Verzinsung des Kapitals Ersatz bieten, zum anderen aber, weil ein so erheblicher Teil des Landes fideikommissarisch gebunden und dem freien Verkehr entzogen ist, daß der Rest noch teuer genug zu stehen kommt. In den letzten Jahren hat man ja in England damit begonnen, dem Fideikommiß- und Latifundiensystem den Krieg zu erklären. Die modernisierte liberale Partei in England hat die Fehde gegen den Grundbesitz als einen Hauptteil ihres Programms angesehen. Bisher sind jedoch die Bestrebungen von Mißerfolgen gekrönt worden. Es ist nicht angängig, Fehler, welche man Jahr» Hunderte hindurch begangen und mit allen Mitteln einer energischen Politik unterstützt hat, mit einigen gesetzgeberischen Federstrichen aus der Welt zu schaffen. Das Gesetz von 1887 (das sogenannte Allotmentgesetz) war ein Schlag ins Wasser und das von Charles Dicke 1892 durchgedrückte Gesetz über 8maII- KoläinZs blieb ebenfalls auf dem Papier stehen. Die erweiternden Bestimmungen zu diesem Grundgesetze, die im Jahre 1902 und 1904 festgelegt wurden, um 1908 noch einmal revidiert zu werden, haben dann den sogenannten Land- kreuzzng hervorgerufen, der aber auch keinen Erfolg hatte. Im Herbst 1913 bemühte sich Lloyd George, die gesamten Bestrebungen auch zur Anwendung zu bringen. Inzwischen ist der Krieg hereingebrochen und England empfindet schmerzvoll die Verkrüppelung seines zweiten Produktionsarmes. Von neuem zum Körnerbau übergehen kann man nicht, denn zwischen Ostern und Pfingsten wird aus einem Weideland kein Kornboden. Wohl aber könnte man die Weideerzeugnisse vermehren. Man könnte die Einfuhr von Fleisch, Butter, Eiern, Konserven, Gemüsen und Geflügel mindern. Das Kapital zur Inangriffnahme der Produktionsvermehrung ist vorhanden, es fehlt vielleicht auch nicht am Willen der Bodenbesitzer. Dieser Wille aber scheitert an dem Widerstande der Pächter, welche sich außerstande sehen, das notwendige Menschenmaterial herbeizuschaffen. Viehhaltung, Geflügelzucht, Mast, Obstkultur, das alles bedarf einer geübten Hand. Es sind aber weder geübte noch ungeübte Hände aufzutreiben. Mehr denn je drängt die Landbevölkerung in die Stadt, die Streikerfolge insbesondere der Kohlen-, Dock- und Transportarbeiter haben die Landarbeiterschaft aufgewiegelt, die Agitatoren der Eisenbahnarbeiter, die seit dem Mai 1915 einen erbitterten Kampf gegen den neuen staatssozialistischen Kurs der Regierung führen und mit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_329665/340>, abgerufen am 15.01.2025.