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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr.

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Die Mißgriffe der englischen Agrarpolitik

schaffen. Nur das erstklassige Fleisch hat seinen Preis und man ist dabei gezwungen,
auf eine Produktion von Qualitätsware hinzuarbeiten. Es ist fraglos, daß die
im Westen gelegenen, rein auf die Erzeugung von Qualitätsvieh gerichteten
Weidewirtschaften hohe Werte repräsentieren und sich vielfach zu mustergültigen
Betrieben ausgestaltet haben. Die Ausnahme kann aber nicht die Regel be¬
legen und die Regel wird eben durch die hohen Einfuhrzahleu für Produkte
der Weidewirtschaft erwiesen. Frische Milch ist unter den landwirtschaftlichen
Erzeugnissen das einzige, an welchem England seinen Bedarf bis auf ganz
minimale Mengen französischer Frischmilch selbst deckt.

Dabei kann die englische Landwirtschaft nicht den Einwurf erheben, daß
die Lebensmittelpreise dem Kontinente gegenüber erhebliche Differenzen auf¬
weisen. Die Preise standen per 50 Kilogramm in London und Berlin
folgendermaßen:

London Berlin London Berlin
1902 Rindfleisch 64.02 58.97 Schweinefleisch
1904 " 53.4 50.19 " 53.4 49.31
1906 " 61.10 58.63 " 63,4 67.6S
1908 " 54,4 61.38 " 55.1 58,98
1910 " 56,7 65,63 " 63.3 66,04
1902 Hammelfleisch 52.6 57,67 Kalbfleisch
1904 " 52.4 57.69 " 66.05 78,26
1906 " 51.7 67.76 " 67,3 83.71
1908 " 49,9 67.68 " 67,7 86,42
1910 " 49,5 64.89 " 70.9 90.2

Zu beachten ist bei dieser Statistik, daß es sich hier um Durchschnittspreise
handelt, bei denen eingeführtes Gefrierfleisch ausschlaggebend ist. Die Preise
sür Qualitätsware dürften demnach den deutschen Preisen nicht nachstehen und
sie zuweilen noch übersteigen.

Der Rückgang der englischen Landwirtschaft beruht aber nicht nur auf
falschen Voraussetzungen bezüglich des Weidelandes, sondern auch auf der ganzen
Organisation des Betriebes. Die Rentabilität einer Landwirtschaft, die sich auf
die Deckung des Jnnenmarktes für Weideprodukte verlegt, hängt von der Zahl
der Kleinbetriebe und nicht, wie bei dem Körnerbau, von jener der Großbetriebe
ab. In der Pflege des tierischen Lebens hat der Kleinbetrieb einen Vorzug vor
dem Großbetriebe. Die ungünstige Besitzverteilung, die den englischen Boden fast
ganz in der Hand der Großgrundbesitzer und dazu noch vorwiegend fidei"
kommissarisch gebunden hält, steht den neuen Erfordernissen direkt entgegen.
Von der gesamten Kulturfläche sind 83 Prozent Pachtland und nur
^-2 Prozent Eigentumsland. 42 Prozent der Betriebe haben eine Größe
von 100 bis 300 Acres, 30 Prozent eine solche von über 300 Acres
und nur 28 Prozent erreichen eine Ausdehnungsfläche unter 100 Acres.
Die Verquickung der politischen Macht mit dem Bodenbesitze ist der englischen


Die Mißgriffe der englischen Agrarpolitik

schaffen. Nur das erstklassige Fleisch hat seinen Preis und man ist dabei gezwungen,
auf eine Produktion von Qualitätsware hinzuarbeiten. Es ist fraglos, daß die
im Westen gelegenen, rein auf die Erzeugung von Qualitätsvieh gerichteten
Weidewirtschaften hohe Werte repräsentieren und sich vielfach zu mustergültigen
Betrieben ausgestaltet haben. Die Ausnahme kann aber nicht die Regel be¬
legen und die Regel wird eben durch die hohen Einfuhrzahleu für Produkte
der Weidewirtschaft erwiesen. Frische Milch ist unter den landwirtschaftlichen
Erzeugnissen das einzige, an welchem England seinen Bedarf bis auf ganz
minimale Mengen französischer Frischmilch selbst deckt.

Dabei kann die englische Landwirtschaft nicht den Einwurf erheben, daß
die Lebensmittelpreise dem Kontinente gegenüber erhebliche Differenzen auf¬
weisen. Die Preise standen per 50 Kilogramm in London und Berlin
folgendermaßen:

London Berlin London Berlin
1902 Rindfleisch 64.02 58.97 Schweinefleisch
1904 „ 53.4 50.19 „ 53.4 49.31
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1910 „ 49,5 64.89 „ 70.9 90.2

Zu beachten ist bei dieser Statistik, daß es sich hier um Durchschnittspreise
handelt, bei denen eingeführtes Gefrierfleisch ausschlaggebend ist. Die Preise
sür Qualitätsware dürften demnach den deutschen Preisen nicht nachstehen und
sie zuweilen noch übersteigen.

Der Rückgang der englischen Landwirtschaft beruht aber nicht nur auf
falschen Voraussetzungen bezüglich des Weidelandes, sondern auch auf der ganzen
Organisation des Betriebes. Die Rentabilität einer Landwirtschaft, die sich auf
die Deckung des Jnnenmarktes für Weideprodukte verlegt, hängt von der Zahl
der Kleinbetriebe und nicht, wie bei dem Körnerbau, von jener der Großbetriebe
ab. In der Pflege des tierischen Lebens hat der Kleinbetrieb einen Vorzug vor
dem Großbetriebe. Die ungünstige Besitzverteilung, die den englischen Boden fast
ganz in der Hand der Großgrundbesitzer und dazu noch vorwiegend fidei»
kommissarisch gebunden hält, steht den neuen Erfordernissen direkt entgegen.
Von der gesamten Kulturfläche sind 83 Prozent Pachtland und nur
^-2 Prozent Eigentumsland. 42 Prozent der Betriebe haben eine Größe
von 100 bis 300 Acres, 30 Prozent eine solche von über 300 Acres
und nur 28 Prozent erreichen eine Ausdehnungsfläche unter 100 Acres.
Die Verquickung der politischen Macht mit dem Bodenbesitze ist der englischen


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[0339] Die Mißgriffe der englischen Agrarpolitik schaffen. Nur das erstklassige Fleisch hat seinen Preis und man ist dabei gezwungen, auf eine Produktion von Qualitätsware hinzuarbeiten. Es ist fraglos, daß die im Westen gelegenen, rein auf die Erzeugung von Qualitätsvieh gerichteten Weidewirtschaften hohe Werte repräsentieren und sich vielfach zu mustergültigen Betrieben ausgestaltet haben. Die Ausnahme kann aber nicht die Regel be¬ legen und die Regel wird eben durch die hohen Einfuhrzahleu für Produkte der Weidewirtschaft erwiesen. Frische Milch ist unter den landwirtschaftlichen Erzeugnissen das einzige, an welchem England seinen Bedarf bis auf ganz minimale Mengen französischer Frischmilch selbst deckt. Dabei kann die englische Landwirtschaft nicht den Einwurf erheben, daß die Lebensmittelpreise dem Kontinente gegenüber erhebliche Differenzen auf¬ weisen. Die Preise standen per 50 Kilogramm in London und Berlin folgendermaßen: London Berlin London Berlin 1902 Rindfleisch 64.02 58.97 Schweinefleisch 1904 „ 53.4 50.19 „ 53.4 49.31 1906 „ 61.10 58.63 „ 63,4 67.6S 1908 „ 54,4 61.38 „ 55.1 58,98 1910 „ 56,7 65,63 „ 63.3 66,04 1902 Hammelfleisch 52.6 57,67 Kalbfleisch 1904 „ 52.4 57.69 „ 66.05 78,26 1906 „ 51.7 67.76 „ 67,3 83.71 1908 „ 49,9 67.68 „ 67,7 86,42 1910 „ 49,5 64.89 „ 70.9 90.2 Zu beachten ist bei dieser Statistik, daß es sich hier um Durchschnittspreise handelt, bei denen eingeführtes Gefrierfleisch ausschlaggebend ist. Die Preise sür Qualitätsware dürften demnach den deutschen Preisen nicht nachstehen und sie zuweilen noch übersteigen. Der Rückgang der englischen Landwirtschaft beruht aber nicht nur auf falschen Voraussetzungen bezüglich des Weidelandes, sondern auch auf der ganzen Organisation des Betriebes. Die Rentabilität einer Landwirtschaft, die sich auf die Deckung des Jnnenmarktes für Weideprodukte verlegt, hängt von der Zahl der Kleinbetriebe und nicht, wie bei dem Körnerbau, von jener der Großbetriebe ab. In der Pflege des tierischen Lebens hat der Kleinbetrieb einen Vorzug vor dem Großbetriebe. Die ungünstige Besitzverteilung, die den englischen Boden fast ganz in der Hand der Großgrundbesitzer und dazu noch vorwiegend fidei» kommissarisch gebunden hält, steht den neuen Erfordernissen direkt entgegen. Von der gesamten Kulturfläche sind 83 Prozent Pachtland und nur ^-2 Prozent Eigentumsland. 42 Prozent der Betriebe haben eine Größe von 100 bis 300 Acres, 30 Prozent eine solche von über 300 Acres und nur 28 Prozent erreichen eine Ausdehnungsfläche unter 100 Acres. Die Verquickung der politischen Macht mit dem Bodenbesitze ist der englischen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_329665/339>, abgerufen am 15.01.2025.