Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr.Die Mißgriffe der englischen Agrarpolitik sich die englische Landwirtschaft ausschließlich dem Betriebe der Schafzucht hin¬ Die Mißgriffe der englischen Agrarpolitik sich die englische Landwirtschaft ausschließlich dem Betriebe der Schafzucht hin¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0337" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/330005"/> <fw type="header" place="top"> Die Mißgriffe der englischen Agrarpolitik</fw><lb/> <p xml:id="ID_1100" prev="#ID_1099" next="#ID_1101"> sich die englische Landwirtschaft ausschließlich dem Betriebe der Schafzucht hin¬<lb/> gegeben, mit dem Aufleben der Jndustrieperiode auf Grund des wirtschaftlichen<lb/> Austausches auf moderner Basis ging die Landwirtschaft Englands zum Körnerbau<lb/> über. Schon in den Statistiker von 1760 findet sich die nachweisbare An¬<lb/> bahnung eines rentablen Körnerbaues. Großgewerblicher Getreidebau wurde<lb/> Ende des achtzehnten Jahrhunderts die Signatur der englischen Landwirtschaft.<lb/> Die bestehenden Verhältnisse spitzten sich dann noch dadurch zu, daß die Kriegswirren<lb/> zwischen England und Frankreich mit der dadurch verbundenen Kontinental¬<lb/> sperre England exorbitante Getreidepreise brachten. Der Weizenpreis (Roggen<lb/> kommt für englischen Konsum fast nicht in Betracht) hatte im Durchschnitte<lb/> gestanden: von 1715 bis 1765 auf 35 sah. 11 P., von 1760 bis 1790 stieg<lb/> er auf 45 sah. 7 P.. in den Jahren 1790 bis 1800 auf 35 sah. 11 P.. von<lb/> 1805 bis 1813 fiel er nie unter 73 sah. und erreichte 1812 eine Höhe<lb/> von 122 sah. 8 P. Den Bemühungen der Amel-Kornzoll-Liga gelang es nach<lb/> der Wahlrechtsreform von 1832 entsprechend dem Peelschen Antrage eine Revision<lb/> der Kornzölle durchzusetzen. Nachdem 1842 eine Zollermäßigung eingetreten<lb/> war, die bewirkt hatte, daß der englische Getreidepreis um 14 Prozent sank,<lb/> fiel der Zoll 1846. — Die verbreitete Annahme, daß die englische Land¬<lb/> wirtschaft durch die Aufhebung der Zölle bis in die Neuzeit hinein vernichtet<lb/> wurde, ist unrichtig. Die günstigen Marktverhältnisse infolge der gesteigerten<lb/> Kaufkraft des Landes, das in seine erste Jndustrieperiode erfolgreich eintrat,<lb/> regulierte die Preisminderung. Die Landwirtschaft wurde lediglich zu der<lb/> Steigerung der Roherträge auf der Fläche angespornt. Man verwendete<lb/> nicht nur die besseren Böden, sondern steigerte die Ertragsfähigkeit durch<lb/> die Verwendung jeglichen Bodens zum Getreideanbau. Wie zur Zeit der<lb/> Kontinentalsperre wuchsen die Güterkomplexe in den Händen eines Besitzers an<lb/> und den Pächtern waren Besitzungen von 1000 Acres kaum groß genug. Die<lb/> Vergrößerung der Pachtgüter erreichte von 1850 bis 1880 ihren Höhepunkt,<lb/> denn man war genötigt die Produktionskosten herabzumindern, und dennoch<lb/> umfangreiche Drainagen und künstliche Düngemittel für den Neuackerboden<lb/> aufzuwenden, eine Betriebsart, welche nur durch die Ertragsgröße zu einer<lb/> rentablen wird. Die Viehzucht wurde lediglich als Ergänzung des Körner¬<lb/> baues bis etwa in das Jahr 1880 hinein betrieben. Erst von diesem Zeitpunkte<lb/> an, gibt die englische Landwirtschaft feinen Körnerbau auf. Gezwungen wurde<lb/> sie hierzu durch die seit 1875 einsetzende Konkurrenz Amerikas, Argentiniens,<lb/> Indiens und später derjenigen Rußlands. Der westeuropäische Getreidepreis sank<lb/> unter diesem Auslandsandrange rapide, sofern Zollschutz ihn nicht künstlich hielt.<lb/> In dem freihändlerischen England der achtziger Jahre sanken die Weizenpreise<lb/> von 48 sah. auf 27 sah. 3 P. Nunmehr vermochten sich die schlechten und<lb/> geringwertigen Böden nicht mehr zu halten und auch die guten waren kaum noch<lb/> rentabel. Die englische Landwirtschaft hatte mit dem Falle der Kornzölle ihre<lb/> leitende Stellung an die Großindustrie abtreten müssen und der überraschende</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0337]
Die Mißgriffe der englischen Agrarpolitik
sich die englische Landwirtschaft ausschließlich dem Betriebe der Schafzucht hin¬
gegeben, mit dem Aufleben der Jndustrieperiode auf Grund des wirtschaftlichen
Austausches auf moderner Basis ging die Landwirtschaft Englands zum Körnerbau
über. Schon in den Statistiker von 1760 findet sich die nachweisbare An¬
bahnung eines rentablen Körnerbaues. Großgewerblicher Getreidebau wurde
Ende des achtzehnten Jahrhunderts die Signatur der englischen Landwirtschaft.
Die bestehenden Verhältnisse spitzten sich dann noch dadurch zu, daß die Kriegswirren
zwischen England und Frankreich mit der dadurch verbundenen Kontinental¬
sperre England exorbitante Getreidepreise brachten. Der Weizenpreis (Roggen
kommt für englischen Konsum fast nicht in Betracht) hatte im Durchschnitte
gestanden: von 1715 bis 1765 auf 35 sah. 11 P., von 1760 bis 1790 stieg
er auf 45 sah. 7 P.. in den Jahren 1790 bis 1800 auf 35 sah. 11 P.. von
1805 bis 1813 fiel er nie unter 73 sah. und erreichte 1812 eine Höhe
von 122 sah. 8 P. Den Bemühungen der Amel-Kornzoll-Liga gelang es nach
der Wahlrechtsreform von 1832 entsprechend dem Peelschen Antrage eine Revision
der Kornzölle durchzusetzen. Nachdem 1842 eine Zollermäßigung eingetreten
war, die bewirkt hatte, daß der englische Getreidepreis um 14 Prozent sank,
fiel der Zoll 1846. — Die verbreitete Annahme, daß die englische Land¬
wirtschaft durch die Aufhebung der Zölle bis in die Neuzeit hinein vernichtet
wurde, ist unrichtig. Die günstigen Marktverhältnisse infolge der gesteigerten
Kaufkraft des Landes, das in seine erste Jndustrieperiode erfolgreich eintrat,
regulierte die Preisminderung. Die Landwirtschaft wurde lediglich zu der
Steigerung der Roherträge auf der Fläche angespornt. Man verwendete
nicht nur die besseren Böden, sondern steigerte die Ertragsfähigkeit durch
die Verwendung jeglichen Bodens zum Getreideanbau. Wie zur Zeit der
Kontinentalsperre wuchsen die Güterkomplexe in den Händen eines Besitzers an
und den Pächtern waren Besitzungen von 1000 Acres kaum groß genug. Die
Vergrößerung der Pachtgüter erreichte von 1850 bis 1880 ihren Höhepunkt,
denn man war genötigt die Produktionskosten herabzumindern, und dennoch
umfangreiche Drainagen und künstliche Düngemittel für den Neuackerboden
aufzuwenden, eine Betriebsart, welche nur durch die Ertragsgröße zu einer
rentablen wird. Die Viehzucht wurde lediglich als Ergänzung des Körner¬
baues bis etwa in das Jahr 1880 hinein betrieben. Erst von diesem Zeitpunkte
an, gibt die englische Landwirtschaft feinen Körnerbau auf. Gezwungen wurde
sie hierzu durch die seit 1875 einsetzende Konkurrenz Amerikas, Argentiniens,
Indiens und später derjenigen Rußlands. Der westeuropäische Getreidepreis sank
unter diesem Auslandsandrange rapide, sofern Zollschutz ihn nicht künstlich hielt.
In dem freihändlerischen England der achtziger Jahre sanken die Weizenpreise
von 48 sah. auf 27 sah. 3 P. Nunmehr vermochten sich die schlechten und
geringwertigen Böden nicht mehr zu halten und auch die guten waren kaum noch
rentabel. Die englische Landwirtschaft hatte mit dem Falle der Kornzölle ihre
leitende Stellung an die Großindustrie abtreten müssen und der überraschende
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