Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr.Schleiermacher als Patriot allgemeiner Kampf, dessen Gegenstand unsere Gesinnung, unsere Religion, unsere Schleiermacher als Patriot allgemeiner Kampf, dessen Gegenstand unsere Gesinnung, unsere Religion, unsere <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0327" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/329995"/> <fw type="header" place="top"> Schleiermacher als Patriot</fw><lb/> <p xml:id="ID_1070" prev="#ID_1069" next="#ID_1071"> allgemeiner Kampf, dessen Gegenstand unsere Gesinnung, unsere Religion, unsere<lb/> Geistesbildung nicht weniger sein werden, als unsere Freiheit und äußeren<lb/> Güter, ein Kampf, der gekämpft werden muß. den die Könige mit ihren ge¬<lb/> dungenen Heeren nicht kämpfen können, sondern die Völker mit ihren Königen ge¬<lb/> meinsam kämpfen werden, der Volk und Fürsten auf eine schönere Weise, als es in<lb/> früheren Jahrhunderten der Fall gewesen ist, vereinigen wird, und an den sich<lb/> jeder, jeder, wie es die gemeinsame Sache fordert, anschließen muß." Herrliche<lb/> Worte, aus denen der Geist lodert, der sieben Jahre später das ganze Volk<lb/> entflammte zum Entscheidungskampf, Worte, die es verdienten, in leuchtenden<lb/> Lettern auch vor die Augen unserer Zeit geschrieben zu werden. „Geben Sie<lb/> uns jetzt einen Knaben", schreibt er an Henriette von Willich, „die künftige<lb/> Zeit wird Männer brauchen, Männer, die eben in dieser Periode der Zerstörung das<lb/> Licht erblickt haben, und Söhne . . . mutig, froh, besonnen, das Heilige tief<lb/> ins Herz gegraben, werden ein köstliches Gut sein." Und nach der Schlacht<lb/> bei Jena tröstet er seinen Verleger und Freund Georg Reimer: „Die all¬<lb/> gemeine Auflösung ist schrecklich, und man sieht von allen Seiten einen Abgrund<lb/> von Niederträchtigkeit und Feigheit, aus welchem nur wenige einzelne, unter<lb/> ihnen obenan König und Königin hervorragen. Der alte Schaden ist gewaltsam<lb/> geöffnet, die Kur ist verzweifelt, aber die Hoffnung ist noch nicht aufzugeben,<lb/> und ich wende die Augen noch nicht ab von Preußen, noch viel weniger vom<lb/> nordischen Deutschland." AIs Napoleon die Universität Halle aufgelöst hat,<lb/> da teilt er dem Freund Willich den Schmerz mit über den Verlust seiner<lb/> Kanzel und seines Katheders. Aber sein Blick ist in die Zukunft gerichtet:<lb/> „Wir müssen eine Saat säen, die vielleicht erst später aufgehen wird, aber die<lb/> nur um so sorgfältiger will behandelt und gepflegt sein." „Der Kampf", so<lb/> heißt es in einem anderen Briefe, „wird noch viel tiefer eingreifen müssen,<lb/> wenn wirklich Heil und Leben aus dieser allgemeinen Zerrüttung hervorgehen<lb/> soll. An dieser schönen Hoffnung halte ich mich, und auch der Tod soll sie<lb/> mir nicht entreißen, wenn ich ihre Erfüllung selbst nicht erleben sollte." Er<lb/> möchte dem König zum Trost ein gutes Wort sagen können über die An¬<lb/> hänglichkeit des besseren Teils der Nation, über den Mut für die gute Sache<lb/> des Vaterlandes und über den Haß gegen die Niederträchtigkeit des Feindes,<lb/> Des Schlechten höre der König gewiß genug, daß er auch einmal etwas Gutes<lb/> hörte und Tröstliches. Doch tritt er ein für das freie Manneswort auch vor<lb/> Königskronen und ist „grimmig auf die Leute, die nicht das Herz haben, dem<lb/> Manne (dem König) die Wahrheit zu sagen; denn geschähe es nnr auf die<lb/> rechte Art, so würde er sie schon hören. Aber sie wollen leider nichts in der<lb/> Welt als Schuhknechte spielen." Treu will er bis aufs letzte zu seinem Vater¬<lb/> lande und König stehen, doch sollte Preußen dem Unglück ganz unterliegen, so<lb/> will er. so lange er kann, das deutsche Vaterland da suchen, wo ein Protestant<lb/> leben kann und wo Deutsche regieren. Napoleon hält er für einen Feind des<lb/> Protestantismus, den er. wenn er die Obergewalt in Norddeutschland erränge, sicher</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0327]
Schleiermacher als Patriot
allgemeiner Kampf, dessen Gegenstand unsere Gesinnung, unsere Religion, unsere
Geistesbildung nicht weniger sein werden, als unsere Freiheit und äußeren
Güter, ein Kampf, der gekämpft werden muß. den die Könige mit ihren ge¬
dungenen Heeren nicht kämpfen können, sondern die Völker mit ihren Königen ge¬
meinsam kämpfen werden, der Volk und Fürsten auf eine schönere Weise, als es in
früheren Jahrhunderten der Fall gewesen ist, vereinigen wird, und an den sich
jeder, jeder, wie es die gemeinsame Sache fordert, anschließen muß." Herrliche
Worte, aus denen der Geist lodert, der sieben Jahre später das ganze Volk
entflammte zum Entscheidungskampf, Worte, die es verdienten, in leuchtenden
Lettern auch vor die Augen unserer Zeit geschrieben zu werden. „Geben Sie
uns jetzt einen Knaben", schreibt er an Henriette von Willich, „die künftige
Zeit wird Männer brauchen, Männer, die eben in dieser Periode der Zerstörung das
Licht erblickt haben, und Söhne . . . mutig, froh, besonnen, das Heilige tief
ins Herz gegraben, werden ein köstliches Gut sein." Und nach der Schlacht
bei Jena tröstet er seinen Verleger und Freund Georg Reimer: „Die all¬
gemeine Auflösung ist schrecklich, und man sieht von allen Seiten einen Abgrund
von Niederträchtigkeit und Feigheit, aus welchem nur wenige einzelne, unter
ihnen obenan König und Königin hervorragen. Der alte Schaden ist gewaltsam
geöffnet, die Kur ist verzweifelt, aber die Hoffnung ist noch nicht aufzugeben,
und ich wende die Augen noch nicht ab von Preußen, noch viel weniger vom
nordischen Deutschland." AIs Napoleon die Universität Halle aufgelöst hat,
da teilt er dem Freund Willich den Schmerz mit über den Verlust seiner
Kanzel und seines Katheders. Aber sein Blick ist in die Zukunft gerichtet:
„Wir müssen eine Saat säen, die vielleicht erst später aufgehen wird, aber die
nur um so sorgfältiger will behandelt und gepflegt sein." „Der Kampf", so
heißt es in einem anderen Briefe, „wird noch viel tiefer eingreifen müssen,
wenn wirklich Heil und Leben aus dieser allgemeinen Zerrüttung hervorgehen
soll. An dieser schönen Hoffnung halte ich mich, und auch der Tod soll sie
mir nicht entreißen, wenn ich ihre Erfüllung selbst nicht erleben sollte." Er
möchte dem König zum Trost ein gutes Wort sagen können über die An¬
hänglichkeit des besseren Teils der Nation, über den Mut für die gute Sache
des Vaterlandes und über den Haß gegen die Niederträchtigkeit des Feindes,
Des Schlechten höre der König gewiß genug, daß er auch einmal etwas Gutes
hörte und Tröstliches. Doch tritt er ein für das freie Manneswort auch vor
Königskronen und ist „grimmig auf die Leute, die nicht das Herz haben, dem
Manne (dem König) die Wahrheit zu sagen; denn geschähe es nnr auf die
rechte Art, so würde er sie schon hören. Aber sie wollen leider nichts in der
Welt als Schuhknechte spielen." Treu will er bis aufs letzte zu seinem Vater¬
lande und König stehen, doch sollte Preußen dem Unglück ganz unterliegen, so
will er. so lange er kann, das deutsche Vaterland da suchen, wo ein Protestant
leben kann und wo Deutsche regieren. Napoleon hält er für einen Feind des
Protestantismus, den er. wenn er die Obergewalt in Norddeutschland erränge, sicher
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