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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr.

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Roalitionskrieg

Hauptgründe, warum Sir Edward Grey sich am Kriege beteiligte. Und so
war es ihm vielleicht nicht ganz unwillkommen, daß Nikolai Nikolajewitsch, so¬
lange er noch offensiv auftrat, sich anscheinend nicht recht entscheiden konnte, ob
er seine Dampfwalze zuerst nach Berlin oder nach Wien rollen lassen solle,
so daß ein neutraler Beobachter über ihn schrieb: "Man weiß nicht, wo er
eigentlich hin will, nach Wien oder nach Berlin. IZritre Lo8 äsux 8vn coeur
balanes."

Die Koalition unsrer Feinde litt somit von allem Anfang an unter innerer
Schwäche, sowohl als Ganzes genommen, wie auch in ihren einzelnen Gliedern.
Und diese Schwäche wuchs rasch und wurde immer deutlicher. Am meisten trat
sie hervor, als Churchill, um über den Mangel an Erfolg hinwegzutrösten und
ohne Rücksicht auf die möglichen Folgen im Falle eines Sieges, sich auf sein
Dardanellenabenteuer einließ. Der Kriegsschauplatze sind im Laufe der Zeit
immer mehr geworden, und die Einheitlichkeit der Kriegführung ist ganz in die
Brüche gegangen. Die Kommandos aus den verschiedenen Kriegsschauplätzen
waren voneinander unabhängig. Man hatte allein bei den westlichen Ver¬
bündeten zwei selbständige Heeresleitungen in Frankreich, zwei in Gallipoli,
eine in Mesopotamien, die überhaupt nichts mit London zu tun hatte, sondern
von Indien ressortierte, eine in Egypten und eine in Saloniki. Es kam die
Zeit der größten militärischen Ohnmacht der Entente, die Wochen, in denen
Serbien endlich seinen Lohn für die Bluttat in Sarajewo erhielt. Unsere
Feinde kamen überall zu spät. Ein englisches Blatt bemerkte melancholisch, es
sei merkwürdig, daß man dem Publikum immer vorhalte, wie stark die Ver¬
bündeten seien, und daß trotzdem nichts geschehe. Offenbar sei man gerade
immer dort stark, wo es im Augenblicke nichts zu tun gäbe. Und die "Times"
schrieb einen scharfen Leitartikel, in dem sie verlangte, daß in die Kriegführung
im Osten doch endlich Ordnung kommen müsse und man dort einen Mann
brauche, der die Verhältnisse genau kenne und selbständig handeln dürfe. Sie
wollte einen starken Mann für den Osten haben. Das war auch dringend
notwendig geworden. Serbien war zerschmettert, Montenegro lag in den letzten
Zügen, in Mesopotamien ging es rückwärts statt vorwärts und in Gallipoli
war man schon seit Monaten nicht von der Stelle gekommen. Kitchener selbst
mußte sich aufmachen, um endlich nach dem Rechten zu sehen. Man fing an
in London und Paris gemeinsame Kriegsräte abzuhalten und erklärte offiziell,
daß nunmehr die Einheitlichkeit der Kriegführung gesichert sei. Was schon längst
unbedingt notwendig gewesen wäre, wurde jetzt feierlich als große Errungen¬
schaft in die Welt posaunt, daß man nämlich endlich wisse, was man wolle.
Gallipoli wurde geräumt, Griechenland gründlich geknebelt, und die "westliche"
Schule hatte anscheinend eine Stärkung erfahren, obwohl French ging. Schließlich
wurde auch die Oberleitung über die Truppen in Mesopotamien von Indien
nach London verlegt. Aber der starke Mann für den Osten war nicht auf¬
getaucht, in Mesopotamien ist noch kein Umschwung eingetreten und die Rettung


Roalitionskrieg

Hauptgründe, warum Sir Edward Grey sich am Kriege beteiligte. Und so
war es ihm vielleicht nicht ganz unwillkommen, daß Nikolai Nikolajewitsch, so¬
lange er noch offensiv auftrat, sich anscheinend nicht recht entscheiden konnte, ob
er seine Dampfwalze zuerst nach Berlin oder nach Wien rollen lassen solle,
so daß ein neutraler Beobachter über ihn schrieb: „Man weiß nicht, wo er
eigentlich hin will, nach Wien oder nach Berlin. IZritre Lo8 äsux 8vn coeur
balanes."

Die Koalition unsrer Feinde litt somit von allem Anfang an unter innerer
Schwäche, sowohl als Ganzes genommen, wie auch in ihren einzelnen Gliedern.
Und diese Schwäche wuchs rasch und wurde immer deutlicher. Am meisten trat
sie hervor, als Churchill, um über den Mangel an Erfolg hinwegzutrösten und
ohne Rücksicht auf die möglichen Folgen im Falle eines Sieges, sich auf sein
Dardanellenabenteuer einließ. Der Kriegsschauplatze sind im Laufe der Zeit
immer mehr geworden, und die Einheitlichkeit der Kriegführung ist ganz in die
Brüche gegangen. Die Kommandos aus den verschiedenen Kriegsschauplätzen
waren voneinander unabhängig. Man hatte allein bei den westlichen Ver¬
bündeten zwei selbständige Heeresleitungen in Frankreich, zwei in Gallipoli,
eine in Mesopotamien, die überhaupt nichts mit London zu tun hatte, sondern
von Indien ressortierte, eine in Egypten und eine in Saloniki. Es kam die
Zeit der größten militärischen Ohnmacht der Entente, die Wochen, in denen
Serbien endlich seinen Lohn für die Bluttat in Sarajewo erhielt. Unsere
Feinde kamen überall zu spät. Ein englisches Blatt bemerkte melancholisch, es
sei merkwürdig, daß man dem Publikum immer vorhalte, wie stark die Ver¬
bündeten seien, und daß trotzdem nichts geschehe. Offenbar sei man gerade
immer dort stark, wo es im Augenblicke nichts zu tun gäbe. Und die „Times"
schrieb einen scharfen Leitartikel, in dem sie verlangte, daß in die Kriegführung
im Osten doch endlich Ordnung kommen müsse und man dort einen Mann
brauche, der die Verhältnisse genau kenne und selbständig handeln dürfe. Sie
wollte einen starken Mann für den Osten haben. Das war auch dringend
notwendig geworden. Serbien war zerschmettert, Montenegro lag in den letzten
Zügen, in Mesopotamien ging es rückwärts statt vorwärts und in Gallipoli
war man schon seit Monaten nicht von der Stelle gekommen. Kitchener selbst
mußte sich aufmachen, um endlich nach dem Rechten zu sehen. Man fing an
in London und Paris gemeinsame Kriegsräte abzuhalten und erklärte offiziell,
daß nunmehr die Einheitlichkeit der Kriegführung gesichert sei. Was schon längst
unbedingt notwendig gewesen wäre, wurde jetzt feierlich als große Errungen¬
schaft in die Welt posaunt, daß man nämlich endlich wisse, was man wolle.
Gallipoli wurde geräumt, Griechenland gründlich geknebelt, und die „westliche"
Schule hatte anscheinend eine Stärkung erfahren, obwohl French ging. Schließlich
wurde auch die Oberleitung über die Truppen in Mesopotamien von Indien
nach London verlegt. Aber der starke Mann für den Osten war nicht auf¬
getaucht, in Mesopotamien ist noch kein Umschwung eingetreten und die Rettung


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[0314] Roalitionskrieg Hauptgründe, warum Sir Edward Grey sich am Kriege beteiligte. Und so war es ihm vielleicht nicht ganz unwillkommen, daß Nikolai Nikolajewitsch, so¬ lange er noch offensiv auftrat, sich anscheinend nicht recht entscheiden konnte, ob er seine Dampfwalze zuerst nach Berlin oder nach Wien rollen lassen solle, so daß ein neutraler Beobachter über ihn schrieb: „Man weiß nicht, wo er eigentlich hin will, nach Wien oder nach Berlin. IZritre Lo8 äsux 8vn coeur balanes." Die Koalition unsrer Feinde litt somit von allem Anfang an unter innerer Schwäche, sowohl als Ganzes genommen, wie auch in ihren einzelnen Gliedern. Und diese Schwäche wuchs rasch und wurde immer deutlicher. Am meisten trat sie hervor, als Churchill, um über den Mangel an Erfolg hinwegzutrösten und ohne Rücksicht auf die möglichen Folgen im Falle eines Sieges, sich auf sein Dardanellenabenteuer einließ. Der Kriegsschauplatze sind im Laufe der Zeit immer mehr geworden, und die Einheitlichkeit der Kriegführung ist ganz in die Brüche gegangen. Die Kommandos aus den verschiedenen Kriegsschauplätzen waren voneinander unabhängig. Man hatte allein bei den westlichen Ver¬ bündeten zwei selbständige Heeresleitungen in Frankreich, zwei in Gallipoli, eine in Mesopotamien, die überhaupt nichts mit London zu tun hatte, sondern von Indien ressortierte, eine in Egypten und eine in Saloniki. Es kam die Zeit der größten militärischen Ohnmacht der Entente, die Wochen, in denen Serbien endlich seinen Lohn für die Bluttat in Sarajewo erhielt. Unsere Feinde kamen überall zu spät. Ein englisches Blatt bemerkte melancholisch, es sei merkwürdig, daß man dem Publikum immer vorhalte, wie stark die Ver¬ bündeten seien, und daß trotzdem nichts geschehe. Offenbar sei man gerade immer dort stark, wo es im Augenblicke nichts zu tun gäbe. Und die „Times" schrieb einen scharfen Leitartikel, in dem sie verlangte, daß in die Kriegführung im Osten doch endlich Ordnung kommen müsse und man dort einen Mann brauche, der die Verhältnisse genau kenne und selbständig handeln dürfe. Sie wollte einen starken Mann für den Osten haben. Das war auch dringend notwendig geworden. Serbien war zerschmettert, Montenegro lag in den letzten Zügen, in Mesopotamien ging es rückwärts statt vorwärts und in Gallipoli war man schon seit Monaten nicht von der Stelle gekommen. Kitchener selbst mußte sich aufmachen, um endlich nach dem Rechten zu sehen. Man fing an in London und Paris gemeinsame Kriegsräte abzuhalten und erklärte offiziell, daß nunmehr die Einheitlichkeit der Kriegführung gesichert sei. Was schon längst unbedingt notwendig gewesen wäre, wurde jetzt feierlich als große Errungen¬ schaft in die Welt posaunt, daß man nämlich endlich wisse, was man wolle. Gallipoli wurde geräumt, Griechenland gründlich geknebelt, und die „westliche" Schule hatte anscheinend eine Stärkung erfahren, obwohl French ging. Schließlich wurde auch die Oberleitung über die Truppen in Mesopotamien von Indien nach London verlegt. Aber der starke Mann für den Osten war nicht auf¬ getaucht, in Mesopotamien ist noch kein Umschwung eingetreten und die Rettung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_329665/314>, abgerufen am 15.01.2025.