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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr.

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Roalitionskrieg

lose Veröffentlichung die Eitelkeit der Franzosen sehr verletzte. Andererseits litt
es der englische Stolz nicht, daß die britischen Streitkräfte an der Westfront
einem einheitlichen und zwar französischen Oberkommando unterstellt wurden.
Im Gegensatz zu den Zmtralmächten, bei denen nach Bedarf österreichisch-
ungarische Truppen deutschen Kommandanten untergeordnet wurden und um¬
gekehrt, wollten die Engländer um keinen Preis auf dem Schlachtfelde ihren
insularen Dünkel aufgeben, obwohl angesehene Autoritäten, unter ihnen der
bekannte Militärschriftsteller Spenser Wilkinson, ein einheitliches Oberkommando
für unerläßlich erklärt hatten. Dieselbe Uneinigkeit führte auch in England
selbst immer wieder zu Krisen. Die Angriffe, welche die Northcliffesche Presse
im letzten Frühsommer gegen das Kriegsamt richtete und die indirekt der Person
des Lord Kitchener galten, waren mehr als eine der unzähligen Zeitungs¬
kampagnen, an denen es in England auch während des Krieges nie mangelte.
Wahrscheinlich gingen sie vom Oberbefehlshaber an der britischen Westfront aus.
Die erste sensationelle Veröffentlichung über den Munitiousmangel in der "Times"
stammte von dem militärischen Mitarbeiter des Blattes, Oberst Repington, der
French eben einen Besuch an der Westfront abgestattet hatte. Der Zusammen¬
hang ist durchsichtig. Die Reibungen zwischen French und Kitchener waren
damit nicht beendet. Sie haben zu dem Rücktritt des britischen Oberbefehls¬
habers geführt, denn als Rücktritt ist seine Ernennung zum Oberkommandierenden
der Streitkräfte in England, der sogenannten Kome korces, anzusehen. Die
Meinungsverschiedenheit zwischen French und Kitchener war derartig, daß sie
eine Zusammenarbeit der Beiden unmöglich machte. French setzte sich mit aller
Energie dafür ein, daß England sich militärisch im Westen konzentriere und
dort alle seine verfügbaren Streitkräfte in den Kampf bringe. Er sagte sich,
daß die Entscheidung nur an den großen Fronten erkämpft werden könne und
verurteilte alle kleinen, nicht unbedingt notwendigen Einzelkampagnen, die er
für eine Zersplitterung der Kräfte ansah. Die Ereignisse scheinen ihm Recht
gegeben zu haben. Vorläufig ist er kaltgestellt, aber er hat seinen politischen
Anhang, der die Flinte noch nicht ins Korn geworfen hat.

Besonders scharf war die Kritik in ihrer eigenen Presse, als die West¬
mächte, offenbar durch Munitionsmangel behindert, es unterließen, während
der Rückzugskämpfe der Russen in Polen durch eine große Offensive im Westen
ihrem Verbündeten Luft zu machen. Als die Offensive endlich einsetzte, war
es zu spät. Den Weiterblickenden unter den englischen Politikern kam das
vielleicht gar nicht unerwünscht. Es hätte ihnen vielleicht größeres Unbehagen
verursacht, wenn die Russen wirklich wie eine Dampfwalze uach Berlin und Wien
vorgedrungen und damit militärisch und politisch übermächtig geworden wären.

Die Verhinderung, daß eine Macht in Europa eine Art von Hegemonie
ausüben kann, die Idee des Gleichgewichts der Mächte auf dem europäischen
Kontinent, des gegenseitigen Sich°in-Schach°Haltens, gehört ja seit je zu den
Axiomen der englischen äußeren Politik und war eingestandenermaßen einer der


Roalitionskrieg

lose Veröffentlichung die Eitelkeit der Franzosen sehr verletzte. Andererseits litt
es der englische Stolz nicht, daß die britischen Streitkräfte an der Westfront
einem einheitlichen und zwar französischen Oberkommando unterstellt wurden.
Im Gegensatz zu den Zmtralmächten, bei denen nach Bedarf österreichisch-
ungarische Truppen deutschen Kommandanten untergeordnet wurden und um¬
gekehrt, wollten die Engländer um keinen Preis auf dem Schlachtfelde ihren
insularen Dünkel aufgeben, obwohl angesehene Autoritäten, unter ihnen der
bekannte Militärschriftsteller Spenser Wilkinson, ein einheitliches Oberkommando
für unerläßlich erklärt hatten. Dieselbe Uneinigkeit führte auch in England
selbst immer wieder zu Krisen. Die Angriffe, welche die Northcliffesche Presse
im letzten Frühsommer gegen das Kriegsamt richtete und die indirekt der Person
des Lord Kitchener galten, waren mehr als eine der unzähligen Zeitungs¬
kampagnen, an denen es in England auch während des Krieges nie mangelte.
Wahrscheinlich gingen sie vom Oberbefehlshaber an der britischen Westfront aus.
Die erste sensationelle Veröffentlichung über den Munitiousmangel in der „Times"
stammte von dem militärischen Mitarbeiter des Blattes, Oberst Repington, der
French eben einen Besuch an der Westfront abgestattet hatte. Der Zusammen¬
hang ist durchsichtig. Die Reibungen zwischen French und Kitchener waren
damit nicht beendet. Sie haben zu dem Rücktritt des britischen Oberbefehls¬
habers geführt, denn als Rücktritt ist seine Ernennung zum Oberkommandierenden
der Streitkräfte in England, der sogenannten Kome korces, anzusehen. Die
Meinungsverschiedenheit zwischen French und Kitchener war derartig, daß sie
eine Zusammenarbeit der Beiden unmöglich machte. French setzte sich mit aller
Energie dafür ein, daß England sich militärisch im Westen konzentriere und
dort alle seine verfügbaren Streitkräfte in den Kampf bringe. Er sagte sich,
daß die Entscheidung nur an den großen Fronten erkämpft werden könne und
verurteilte alle kleinen, nicht unbedingt notwendigen Einzelkampagnen, die er
für eine Zersplitterung der Kräfte ansah. Die Ereignisse scheinen ihm Recht
gegeben zu haben. Vorläufig ist er kaltgestellt, aber er hat seinen politischen
Anhang, der die Flinte noch nicht ins Korn geworfen hat.

Besonders scharf war die Kritik in ihrer eigenen Presse, als die West¬
mächte, offenbar durch Munitionsmangel behindert, es unterließen, während
der Rückzugskämpfe der Russen in Polen durch eine große Offensive im Westen
ihrem Verbündeten Luft zu machen. Als die Offensive endlich einsetzte, war
es zu spät. Den Weiterblickenden unter den englischen Politikern kam das
vielleicht gar nicht unerwünscht. Es hätte ihnen vielleicht größeres Unbehagen
verursacht, wenn die Russen wirklich wie eine Dampfwalze uach Berlin und Wien
vorgedrungen und damit militärisch und politisch übermächtig geworden wären.

Die Verhinderung, daß eine Macht in Europa eine Art von Hegemonie
ausüben kann, die Idee des Gleichgewichts der Mächte auf dem europäischen
Kontinent, des gegenseitigen Sich°in-Schach°Haltens, gehört ja seit je zu den
Axiomen der englischen äußeren Politik und war eingestandenermaßen einer der


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[0313] Roalitionskrieg lose Veröffentlichung die Eitelkeit der Franzosen sehr verletzte. Andererseits litt es der englische Stolz nicht, daß die britischen Streitkräfte an der Westfront einem einheitlichen und zwar französischen Oberkommando unterstellt wurden. Im Gegensatz zu den Zmtralmächten, bei denen nach Bedarf österreichisch- ungarische Truppen deutschen Kommandanten untergeordnet wurden und um¬ gekehrt, wollten die Engländer um keinen Preis auf dem Schlachtfelde ihren insularen Dünkel aufgeben, obwohl angesehene Autoritäten, unter ihnen der bekannte Militärschriftsteller Spenser Wilkinson, ein einheitliches Oberkommando für unerläßlich erklärt hatten. Dieselbe Uneinigkeit führte auch in England selbst immer wieder zu Krisen. Die Angriffe, welche die Northcliffesche Presse im letzten Frühsommer gegen das Kriegsamt richtete und die indirekt der Person des Lord Kitchener galten, waren mehr als eine der unzähligen Zeitungs¬ kampagnen, an denen es in England auch während des Krieges nie mangelte. Wahrscheinlich gingen sie vom Oberbefehlshaber an der britischen Westfront aus. Die erste sensationelle Veröffentlichung über den Munitiousmangel in der „Times" stammte von dem militärischen Mitarbeiter des Blattes, Oberst Repington, der French eben einen Besuch an der Westfront abgestattet hatte. Der Zusammen¬ hang ist durchsichtig. Die Reibungen zwischen French und Kitchener waren damit nicht beendet. Sie haben zu dem Rücktritt des britischen Oberbefehls¬ habers geführt, denn als Rücktritt ist seine Ernennung zum Oberkommandierenden der Streitkräfte in England, der sogenannten Kome korces, anzusehen. Die Meinungsverschiedenheit zwischen French und Kitchener war derartig, daß sie eine Zusammenarbeit der Beiden unmöglich machte. French setzte sich mit aller Energie dafür ein, daß England sich militärisch im Westen konzentriere und dort alle seine verfügbaren Streitkräfte in den Kampf bringe. Er sagte sich, daß die Entscheidung nur an den großen Fronten erkämpft werden könne und verurteilte alle kleinen, nicht unbedingt notwendigen Einzelkampagnen, die er für eine Zersplitterung der Kräfte ansah. Die Ereignisse scheinen ihm Recht gegeben zu haben. Vorläufig ist er kaltgestellt, aber er hat seinen politischen Anhang, der die Flinte noch nicht ins Korn geworfen hat. Besonders scharf war die Kritik in ihrer eigenen Presse, als die West¬ mächte, offenbar durch Munitionsmangel behindert, es unterließen, während der Rückzugskämpfe der Russen in Polen durch eine große Offensive im Westen ihrem Verbündeten Luft zu machen. Als die Offensive endlich einsetzte, war es zu spät. Den Weiterblickenden unter den englischen Politikern kam das vielleicht gar nicht unerwünscht. Es hätte ihnen vielleicht größeres Unbehagen verursacht, wenn die Russen wirklich wie eine Dampfwalze uach Berlin und Wien vorgedrungen und damit militärisch und politisch übermächtig geworden wären. Die Verhinderung, daß eine Macht in Europa eine Art von Hegemonie ausüben kann, die Idee des Gleichgewichts der Mächte auf dem europäischen Kontinent, des gegenseitigen Sich°in-Schach°Haltens, gehört ja seit je zu den Axiomen der englischen äußeren Politik und war eingestandenermaßen einer der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_329665/313>, abgerufen am 15.01.2025.