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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr.

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Der internationale Gedanke

und die politischen Hoffnungen für die nationale Zukunft. Kam das erträumte
Großdeutschland zustande, so war nicht nur die nationale Einheit verwirklicht,
sondern schon durch die geographische Ausdehnung Österreichs, auch wenn man
dessen nichtdeutsche Länder außerhalb des Reichsverbandes ließ, ein Hand-in-
Hand-gehen mit westslawischen, magyarischen und italienischen Volkselementen
notwendig. Dieses nationale Reich hätte über sich selbst hinaus auf über-
nationale Aufgaben gewiesen. Aber die Ergebnisse der deutschen Revo¬
lution von 1843 und der Ereignisse von 1866 machten die großdeutschen
Hoffnungen zunichte, und das siegreiche Kleindeutschtum schloß alle Einschläge
internationaler Gedanken, historische Reste so gut wie rationale Kon¬
struktionen, aus.

Gewiß hatte die großdeutsche Idee den über die Nation hinansweisenden
Menschheitsidealen nur eine vielleicht unvollkommene Heimstätte geboten, aber
sie hatte doch etwas davon in sich aufnehmen können. Das kleindeutsche Reichs¬
pathos dagegen schloß alles Mehr-als-Nationale aus. Es wehrte sich fast
krampfhaft gegen gewisse mittelalterliche Kaisererinnerungen, erfand sogar das
falsche Schlagwort vom "evangelischen" Kaisertum, obwohl der deutsche Staat
keine Konfession hat und haben darf. Es war kein Wunder, wenn die Katho¬
liken in der Neichsgründungszeit unter den sogenannten "Reichsfeinden" beiseite
standen und ihre kirchlichen Ideale erneuerten. Hatten sie in der Kirche stets
noch einen festen Boden, den man ihnen nicht nehmen konnte, fo wurden hin¬
gegen die Demokraten völlig ins Land Utopia verwiesen. sowieso ihrer
geistesgeschichtlichen Abstammung nach am meisten mit dem alten Rationalismus
verwandt, erhoben sie jenes Gedankending "Menschheit" wieder auf den Thron,
das einst im 17. und 18. Jahrhundert konstruiert worden war. Nur war
dieses internationale Pathos einst unpolitisch gewesen und trat jetzt mit politi¬
schen Ansprüchen auf den Plan. Untergegangen war diese Art Menschheitsideal
seither nie, 1330 und 1848 hatte es eine Rolle gespielt, aber zu einer großen
politischen Macht wurde es doch erst jetzt, als das kleindeutsche Reich die demo-
kratischenWarteiideals nicht gelten ließ, und ein wirtschaftlich-sozialer Macht¬
faktor ersten Ranges" die Arbeiterbewegung, die demokratischen Schlagworte zu
den ihren machte.

Zum Geistesrüstzeug des Sozialismus gehört nämlich der internationale
Gedanke nicht. sozialistisch kann auch der Nationalstaat fein. Er ist ein Erb¬
stück des bürgerlichen Radikalismus, der ihn seinerseits von der Aufklärung
übernahm. Karl Marx, der Stifter der sozialistischen Internationale, war eben
seiner Herkunft nach ein bürgerlicher Radikaler. In dieser Geistesrichtung wurde
das Nationale völlig verneint. Alle Unterdrückten der Erde, gleichviel ob weißer,
schwarzer oder gelber Hautfarbe, seien solidarisch gegen die herrschenden Klassen.
Die Nationen haben höchstens als Unterabteilungen der Menschheit Existenzrecht,
weil die ganze Menschheit etwas zu groß ist, um sie völlig von einem Punkte
aus zu beglücken. Allgemeiner Weltfriede und einheitliche Organisation der


Der internationale Gedanke

und die politischen Hoffnungen für die nationale Zukunft. Kam das erträumte
Großdeutschland zustande, so war nicht nur die nationale Einheit verwirklicht,
sondern schon durch die geographische Ausdehnung Österreichs, auch wenn man
dessen nichtdeutsche Länder außerhalb des Reichsverbandes ließ, ein Hand-in-
Hand-gehen mit westslawischen, magyarischen und italienischen Volkselementen
notwendig. Dieses nationale Reich hätte über sich selbst hinaus auf über-
nationale Aufgaben gewiesen. Aber die Ergebnisse der deutschen Revo¬
lution von 1843 und der Ereignisse von 1866 machten die großdeutschen
Hoffnungen zunichte, und das siegreiche Kleindeutschtum schloß alle Einschläge
internationaler Gedanken, historische Reste so gut wie rationale Kon¬
struktionen, aus.

Gewiß hatte die großdeutsche Idee den über die Nation hinansweisenden
Menschheitsidealen nur eine vielleicht unvollkommene Heimstätte geboten, aber
sie hatte doch etwas davon in sich aufnehmen können. Das kleindeutsche Reichs¬
pathos dagegen schloß alles Mehr-als-Nationale aus. Es wehrte sich fast
krampfhaft gegen gewisse mittelalterliche Kaisererinnerungen, erfand sogar das
falsche Schlagwort vom „evangelischen" Kaisertum, obwohl der deutsche Staat
keine Konfession hat und haben darf. Es war kein Wunder, wenn die Katho¬
liken in der Neichsgründungszeit unter den sogenannten „Reichsfeinden" beiseite
standen und ihre kirchlichen Ideale erneuerten. Hatten sie in der Kirche stets
noch einen festen Boden, den man ihnen nicht nehmen konnte, fo wurden hin¬
gegen die Demokraten völlig ins Land Utopia verwiesen. sowieso ihrer
geistesgeschichtlichen Abstammung nach am meisten mit dem alten Rationalismus
verwandt, erhoben sie jenes Gedankending „Menschheit" wieder auf den Thron,
das einst im 17. und 18. Jahrhundert konstruiert worden war. Nur war
dieses internationale Pathos einst unpolitisch gewesen und trat jetzt mit politi¬
schen Ansprüchen auf den Plan. Untergegangen war diese Art Menschheitsideal
seither nie, 1330 und 1848 hatte es eine Rolle gespielt, aber zu einer großen
politischen Macht wurde es doch erst jetzt, als das kleindeutsche Reich die demo-
kratischenWarteiideals nicht gelten ließ, und ein wirtschaftlich-sozialer Macht¬
faktor ersten Ranges» die Arbeiterbewegung, die demokratischen Schlagworte zu
den ihren machte.

Zum Geistesrüstzeug des Sozialismus gehört nämlich der internationale
Gedanke nicht. sozialistisch kann auch der Nationalstaat fein. Er ist ein Erb¬
stück des bürgerlichen Radikalismus, der ihn seinerseits von der Aufklärung
übernahm. Karl Marx, der Stifter der sozialistischen Internationale, war eben
seiner Herkunft nach ein bürgerlicher Radikaler. In dieser Geistesrichtung wurde
das Nationale völlig verneint. Alle Unterdrückten der Erde, gleichviel ob weißer,
schwarzer oder gelber Hautfarbe, seien solidarisch gegen die herrschenden Klassen.
Die Nationen haben höchstens als Unterabteilungen der Menschheit Existenzrecht,
weil die ganze Menschheit etwas zu groß ist, um sie völlig von einem Punkte
aus zu beglücken. Allgemeiner Weltfriede und einheitliche Organisation der


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[0307] Der internationale Gedanke und die politischen Hoffnungen für die nationale Zukunft. Kam das erträumte Großdeutschland zustande, so war nicht nur die nationale Einheit verwirklicht, sondern schon durch die geographische Ausdehnung Österreichs, auch wenn man dessen nichtdeutsche Länder außerhalb des Reichsverbandes ließ, ein Hand-in- Hand-gehen mit westslawischen, magyarischen und italienischen Volkselementen notwendig. Dieses nationale Reich hätte über sich selbst hinaus auf über- nationale Aufgaben gewiesen. Aber die Ergebnisse der deutschen Revo¬ lution von 1843 und der Ereignisse von 1866 machten die großdeutschen Hoffnungen zunichte, und das siegreiche Kleindeutschtum schloß alle Einschläge internationaler Gedanken, historische Reste so gut wie rationale Kon¬ struktionen, aus. Gewiß hatte die großdeutsche Idee den über die Nation hinansweisenden Menschheitsidealen nur eine vielleicht unvollkommene Heimstätte geboten, aber sie hatte doch etwas davon in sich aufnehmen können. Das kleindeutsche Reichs¬ pathos dagegen schloß alles Mehr-als-Nationale aus. Es wehrte sich fast krampfhaft gegen gewisse mittelalterliche Kaisererinnerungen, erfand sogar das falsche Schlagwort vom „evangelischen" Kaisertum, obwohl der deutsche Staat keine Konfession hat und haben darf. Es war kein Wunder, wenn die Katho¬ liken in der Neichsgründungszeit unter den sogenannten „Reichsfeinden" beiseite standen und ihre kirchlichen Ideale erneuerten. Hatten sie in der Kirche stets noch einen festen Boden, den man ihnen nicht nehmen konnte, fo wurden hin¬ gegen die Demokraten völlig ins Land Utopia verwiesen. sowieso ihrer geistesgeschichtlichen Abstammung nach am meisten mit dem alten Rationalismus verwandt, erhoben sie jenes Gedankending „Menschheit" wieder auf den Thron, das einst im 17. und 18. Jahrhundert konstruiert worden war. Nur war dieses internationale Pathos einst unpolitisch gewesen und trat jetzt mit politi¬ schen Ansprüchen auf den Plan. Untergegangen war diese Art Menschheitsideal seither nie, 1330 und 1848 hatte es eine Rolle gespielt, aber zu einer großen politischen Macht wurde es doch erst jetzt, als das kleindeutsche Reich die demo- kratischenWarteiideals nicht gelten ließ, und ein wirtschaftlich-sozialer Macht¬ faktor ersten Ranges» die Arbeiterbewegung, die demokratischen Schlagworte zu den ihren machte. Zum Geistesrüstzeug des Sozialismus gehört nämlich der internationale Gedanke nicht. sozialistisch kann auch der Nationalstaat fein. Er ist ein Erb¬ stück des bürgerlichen Radikalismus, der ihn seinerseits von der Aufklärung übernahm. Karl Marx, der Stifter der sozialistischen Internationale, war eben seiner Herkunft nach ein bürgerlicher Radikaler. In dieser Geistesrichtung wurde das Nationale völlig verneint. Alle Unterdrückten der Erde, gleichviel ob weißer, schwarzer oder gelber Hautfarbe, seien solidarisch gegen die herrschenden Klassen. Die Nationen haben höchstens als Unterabteilungen der Menschheit Existenzrecht, weil die ganze Menschheit etwas zu groß ist, um sie völlig von einem Punkte aus zu beglücken. Allgemeiner Weltfriede und einheitliche Organisation der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_329665/307>, abgerufen am 15.01.2025.