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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr.

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Der internationale Gedanke

so schmählich ihre Ideale zu verfälschen. Ja, man begann zu hoffen, daß den
Deutschen von der Vorsehung eine besondere Leistung für die Läuterung der
Sitten und den Fortschritt der Welt zugedacht sei, eine Mission, Menschheits¬
volk und Vorbild für alle Zeiten und Völker zu werden, wie einst die Griechen.
Das wurde der Glaube des Neuhumanismus und unserer klassischen Dichtung
und Philosophie.

Somit hatte man eine neue nationale Wärme aus dem internationalen
Empfinden selber gewonnen: das Deutschtum erschien als edelstes Gefäß des
Menschentums, und die Liebe zur Menschheit kristallisierte sich in der Liebe zum
heimatlichen Volkstum. Es war zunächst uoch eine Gedankenliebe, aber sie
sollte bald naturhafter werden. Denn jetzt wachten die alten historischen Er¬
innerungen wieder auf, die mittelalterlichen Reste in den Tiefen der Volksseele,
der alte Kaisertraum und alle die noch bodenständigen Regungen der Volks¬
schichten, die nicht so sehr an der Aufklärung der Führenden und Gebildeten
teilgehabt hatten. Alles dieses halb oder ganz "Rückständige" gewann jetzt
wieder Lebensrecht. Und man war ja so herzlich froh, die nationalen und
historischen "Vorurteile" nun glücklich vor seinem Denken rechtfertigen zu können.
Darum brachen sie mit Allgewalt wieder durch. Das war die Stimmung der
deutschen Romantik.

So kam denn der auferstandene nationale Gedanke gerade noch zurecht,
um das werdende politische Denken auch noch mit aus der Taufe zu heben.
Liberalismus und Romantik sind lange nicht fo scharfe Gegensätze, wie eine
ältere Betrachtungsweise glaubte. Nicht nur den nationalen Gedanken an sich
haben beide gemein, auch mancher von der Romantik erneuerte besondere Zug
fand seinen Weg in das neue politische Denken, z. B. die Kaiseridee und das
Vermächtnis der politischen Einheit des deutschen Mitielalters, auch viele ständische
und territoriale Erinnerungen. Die weltbürgerlichen Ideen aus dem Erbe der
Aufklärung blieben daneben bestehen. Auch die Romantiker hörten nicht auf,
ihnen zu huldigen. Denn was ist z. B. die heilige Allianz anderes, als ein
Versuch, dem internationalen Gedanken eine gewisse durch Verträge garantierte
Wirklichkeit zu geben! Noch viel weniger gaben ihn die Liberalen auf, die
mehr Rationalistenblut in den Adern hatten. Seit der Julirevolution stellten
sie der heiligen Allianz bewußtsrmaßen den Gedanken von der Solidarität der
unterdrückten Völker gegenüber. Und wie grundsätzlich man auf beiden Seiten
den Menschheitsgedanken über die ganze Erde ausdehnte, beweist, daß man
auf fürstlicher wie auf liberaler Seite ebensowohl den südamerikanischen Re¬
volutionen wie dem griechischen Freiheitskämpfe prinzipielle Bedeutung für
Europa beimaß.

Einen gewissen Ausgleich zwischen dem nationalen und dem internationalen
Pol fand man in Deutschland in der großdeutschen Idee. In diese mündete,
was von mittelalterlichen Reichserinnerungen wieder lebendig geworden war,
ebenso der neuhumanistische Glaube an die Menschheitsmission des Deutschtums


Der internationale Gedanke

so schmählich ihre Ideale zu verfälschen. Ja, man begann zu hoffen, daß den
Deutschen von der Vorsehung eine besondere Leistung für die Läuterung der
Sitten und den Fortschritt der Welt zugedacht sei, eine Mission, Menschheits¬
volk und Vorbild für alle Zeiten und Völker zu werden, wie einst die Griechen.
Das wurde der Glaube des Neuhumanismus und unserer klassischen Dichtung
und Philosophie.

Somit hatte man eine neue nationale Wärme aus dem internationalen
Empfinden selber gewonnen: das Deutschtum erschien als edelstes Gefäß des
Menschentums, und die Liebe zur Menschheit kristallisierte sich in der Liebe zum
heimatlichen Volkstum. Es war zunächst uoch eine Gedankenliebe, aber sie
sollte bald naturhafter werden. Denn jetzt wachten die alten historischen Er¬
innerungen wieder auf, die mittelalterlichen Reste in den Tiefen der Volksseele,
der alte Kaisertraum und alle die noch bodenständigen Regungen der Volks¬
schichten, die nicht so sehr an der Aufklärung der Führenden und Gebildeten
teilgehabt hatten. Alles dieses halb oder ganz „Rückständige" gewann jetzt
wieder Lebensrecht. Und man war ja so herzlich froh, die nationalen und
historischen „Vorurteile" nun glücklich vor seinem Denken rechtfertigen zu können.
Darum brachen sie mit Allgewalt wieder durch. Das war die Stimmung der
deutschen Romantik.

So kam denn der auferstandene nationale Gedanke gerade noch zurecht,
um das werdende politische Denken auch noch mit aus der Taufe zu heben.
Liberalismus und Romantik sind lange nicht fo scharfe Gegensätze, wie eine
ältere Betrachtungsweise glaubte. Nicht nur den nationalen Gedanken an sich
haben beide gemein, auch mancher von der Romantik erneuerte besondere Zug
fand seinen Weg in das neue politische Denken, z. B. die Kaiseridee und das
Vermächtnis der politischen Einheit des deutschen Mitielalters, auch viele ständische
und territoriale Erinnerungen. Die weltbürgerlichen Ideen aus dem Erbe der
Aufklärung blieben daneben bestehen. Auch die Romantiker hörten nicht auf,
ihnen zu huldigen. Denn was ist z. B. die heilige Allianz anderes, als ein
Versuch, dem internationalen Gedanken eine gewisse durch Verträge garantierte
Wirklichkeit zu geben! Noch viel weniger gaben ihn die Liberalen auf, die
mehr Rationalistenblut in den Adern hatten. Seit der Julirevolution stellten
sie der heiligen Allianz bewußtsrmaßen den Gedanken von der Solidarität der
unterdrückten Völker gegenüber. Und wie grundsätzlich man auf beiden Seiten
den Menschheitsgedanken über die ganze Erde ausdehnte, beweist, daß man
auf fürstlicher wie auf liberaler Seite ebensowohl den südamerikanischen Re¬
volutionen wie dem griechischen Freiheitskämpfe prinzipielle Bedeutung für
Europa beimaß.

Einen gewissen Ausgleich zwischen dem nationalen und dem internationalen
Pol fand man in Deutschland in der großdeutschen Idee. In diese mündete,
was von mittelalterlichen Reichserinnerungen wieder lebendig geworden war,
ebenso der neuhumanistische Glaube an die Menschheitsmission des Deutschtums


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[0306] Der internationale Gedanke so schmählich ihre Ideale zu verfälschen. Ja, man begann zu hoffen, daß den Deutschen von der Vorsehung eine besondere Leistung für die Läuterung der Sitten und den Fortschritt der Welt zugedacht sei, eine Mission, Menschheits¬ volk und Vorbild für alle Zeiten und Völker zu werden, wie einst die Griechen. Das wurde der Glaube des Neuhumanismus und unserer klassischen Dichtung und Philosophie. Somit hatte man eine neue nationale Wärme aus dem internationalen Empfinden selber gewonnen: das Deutschtum erschien als edelstes Gefäß des Menschentums, und die Liebe zur Menschheit kristallisierte sich in der Liebe zum heimatlichen Volkstum. Es war zunächst uoch eine Gedankenliebe, aber sie sollte bald naturhafter werden. Denn jetzt wachten die alten historischen Er¬ innerungen wieder auf, die mittelalterlichen Reste in den Tiefen der Volksseele, der alte Kaisertraum und alle die noch bodenständigen Regungen der Volks¬ schichten, die nicht so sehr an der Aufklärung der Führenden und Gebildeten teilgehabt hatten. Alles dieses halb oder ganz „Rückständige" gewann jetzt wieder Lebensrecht. Und man war ja so herzlich froh, die nationalen und historischen „Vorurteile" nun glücklich vor seinem Denken rechtfertigen zu können. Darum brachen sie mit Allgewalt wieder durch. Das war die Stimmung der deutschen Romantik. So kam denn der auferstandene nationale Gedanke gerade noch zurecht, um das werdende politische Denken auch noch mit aus der Taufe zu heben. Liberalismus und Romantik sind lange nicht fo scharfe Gegensätze, wie eine ältere Betrachtungsweise glaubte. Nicht nur den nationalen Gedanken an sich haben beide gemein, auch mancher von der Romantik erneuerte besondere Zug fand seinen Weg in das neue politische Denken, z. B. die Kaiseridee und das Vermächtnis der politischen Einheit des deutschen Mitielalters, auch viele ständische und territoriale Erinnerungen. Die weltbürgerlichen Ideen aus dem Erbe der Aufklärung blieben daneben bestehen. Auch die Romantiker hörten nicht auf, ihnen zu huldigen. Denn was ist z. B. die heilige Allianz anderes, als ein Versuch, dem internationalen Gedanken eine gewisse durch Verträge garantierte Wirklichkeit zu geben! Noch viel weniger gaben ihn die Liberalen auf, die mehr Rationalistenblut in den Adern hatten. Seit der Julirevolution stellten sie der heiligen Allianz bewußtsrmaßen den Gedanken von der Solidarität der unterdrückten Völker gegenüber. Und wie grundsätzlich man auf beiden Seiten den Menschheitsgedanken über die ganze Erde ausdehnte, beweist, daß man auf fürstlicher wie auf liberaler Seite ebensowohl den südamerikanischen Re¬ volutionen wie dem griechischen Freiheitskämpfe prinzipielle Bedeutung für Europa beimaß. Einen gewissen Ausgleich zwischen dem nationalen und dem internationalen Pol fand man in Deutschland in der großdeutschen Idee. In diese mündete, was von mittelalterlichen Reichserinnerungen wieder lebendig geworden war, ebenso der neuhumanistische Glaube an die Menschheitsmission des Deutschtums

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_329665/306>, abgerufen am 15.01.2025.