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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr.

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Andrassy und die österreichisch-ungarische Vrientpolitik

Rußlands gegen die Türkei bei der Festsetzung der Friedensbedingungen zunächst
die volle Mitwirkung der Monarchie ausbedungen. Reale Garantien für die
Neutralität Österreichs im Falle eines unabwendbaren russisch-türkischen Krieges:
dies stellt im wesentlichen das Postulat der Politik Andrassys gegenüber Ruß»
land dar. Andrerseits war Andrassy nicht gewillt, sich in einen gefährlichen
Zweikampf mit Rußland zu stürzen, ohne auf die tatkräftige Unterstützung einer
anderen europäischen Macht rechnen zu können. Deutschland und seine leitenden
Persönlichkeiten stand gerade damals vor der großen Entscheidung einer Wahl
zwischen Nußland und Österreich-Ungarn. Daß Italien mit größter Ungeduld
den Moment herbeisehne, in dem es sich in den Besitz des Trentino setzen
könnte, war für Andrassy ohne jeden Zweifel. Von England glaubte er, daß
es sich in einem Kriege Österreichs mit Nußland ruhig als Zuschauer betätigen
werde — bis zu den Friedensverhandlungen. Ohne die Sicherheit europäischer
Allianzen wollte es der leitende Staatsmann der Monarchie nicht zu einem
feindlichen Verhältnis zu Rußland kommen lassen.

Erst nachdem Bismarck wiederholt versichert hatte, er würde in einem
Kriege gegen Rußland nie eine Wendung zum Nachteile Österreich. Ungarns
dulden und in einem solchen Falle mit dem moralischen Gewichte Deutschlands,
und wenn nötig, selbst mit Waffengewalt dazwischentreten, konnte Andrassy sich
der Unterstützung Deutschlands im Falle eines russischen Angriffs sicher fühlen.
Seine Stellung zu Bismarck, der erfolggekrönte Abschluß einer in der Welt¬
geschichte einzig und allein dastehenden Tat: das deutsch-österreichisch-ungarische
Bündnis hatte ihm eine gewaltige Rückendeckung in seiner Orientpolitik gegen¬
über Rußland verschafft.

Andrassy und Bismarck sind in allen bedeutenderen politischen Fragen in
vollster Harmonie vorgegangen. So war es gewiß von entscheidender Be¬
deutung, daß gerade im Augenblick des bevorstehenden Kampfes zwischen Ru߬
land und der Türkei an der Spitze der auswärtigen Geschäfte des Deutschen
Reiches der Mann stand, auf dessen aufrichtige Freundschaft Andrassy in jedem Falle
fest vertrauen konnte. Jetzt versuchte der österreichische Minister des Auswärtigen
gegenüber Rußland eine noch entschiedenere und leichter verständliche Sprache
zu sprechen. Am 23. Februar 1877 schrieb er an den Freiherrn von Laugenau:
„Tritt aber infolge der Ereignisse der Zerfall der Türkei und für die Monarchie
somit auch die politische Notwendigkeit ein, an die Besetzung Bosniens und der
Herzegowina zu schreiten, dann sollte deren Einverleibung keine provisorische,
sondern eine dauernde sein."

Das kostbare Gut der Freundschaft Deutschlands sollte sich in den zahl¬
reichen Balkankrisen der nächsten Jahrzehnte in der ganzen Größe seiner welt¬
politischen Bedeutung erweisen. Schon auf dem Berliner Kongreß zeitigte die
Unterstützung Bismarcks das große Ergebnis, daß Rußland sich isoliert fühlte
und notgedrungen der Okkupation Bosniens und der Herzegowina seine Zu¬
stimmung erteilte.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_329665/289>, abgerufen am 23.01.2025.