Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr.Das Nationalitätsprinzip und der Krieg Doch ein Staat stand dem Ideale näher, ein anderer ferner, am fernsten die Gleichwohl hat sich das Nationalitätsprinzip da, wo nationale Staaten Der deutsche Friede wird voraussichtlich nicht unter dem Zeichen des Die Nationalitätenstaaten Österreich und die Türkei stehen durch den Krieg Das deutsche Kriegsziel ist allein der Sicherungszweck sür die Zukunft. Es ist aber eine alte Erfahrung, daß das, was in Europa dermalen außer Die alte Erfahrung bestätigt sich von neuem: es ist leicht, Geister zu rufen, Das Nationalitätsprinzip und der Krieg Doch ein Staat stand dem Ideale näher, ein anderer ferner, am fernsten die Gleichwohl hat sich das Nationalitätsprinzip da, wo nationale Staaten Der deutsche Friede wird voraussichtlich nicht unter dem Zeichen des Die Nationalitätenstaaten Österreich und die Türkei stehen durch den Krieg Das deutsche Kriegsziel ist allein der Sicherungszweck sür die Zukunft. Es ist aber eine alte Erfahrung, daß das, was in Europa dermalen außer Die alte Erfahrung bestätigt sich von neuem: es ist leicht, Geister zu rufen, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0243" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/329911"/> <fw type="header" place="top"> Das Nationalitätsprinzip und der Krieg</fw><lb/> <p xml:id="ID_796" prev="#ID_795"> Doch ein Staat stand dem Ideale näher, ein anderer ferner, am fernsten die<lb/> Nationalitätenstaaten, wie Österreich, die Schweiz und Belgien, und das Völker-<lb/> chaos von Kolonialreichen wie die Vereinigten Staaten.</p><lb/> <p xml:id="ID_797"> Gleichwohl hat sich das Nationalitätsprinzip da, wo nationale Staaten<lb/> noch nicht aus der geschichtlichen Entwicklung im Beginne der Neuzeit hervor¬<lb/> gegangen waren, als gewaltige staatsbildende Kraft bewährt in der Einigungs-<lb/> bewegung Italiens und Deutschlands und in der Befreiung der Balkanstaaten.<lb/> Gerade in dieser Kraft lag aber die Gefahr des Mißbrauchs als Mittel für<lb/> Pläne einer ehrgeizigen auswärtigen Politik. Ebenso wie einst Napoleon der<lb/> Dritte hat auch der Vierverband mit dem Nationalitäisvrinzip spekuliert und<lb/> hat sich verspekuliert. Der Mißbrauch lag darin, daß das Nationalitätspnnzip<lb/> nur als Vorwand diente, und der Sieg des Vierverbandes gerade zu einer<lb/> Vergewaltigung desselben Prinzips geführt hätte, in dessen Namen man zu<lb/> Felde zog.</p><lb/> <p xml:id="ID_798"> Der deutsche Friede wird voraussichtlich nicht unter dem Zeichen des<lb/> Nationalitätsprinzipes stehen. Denn er soll nicht auf trügerischen Vorspiegelungen<lb/> beruhen.</p><lb/> <p xml:id="ID_799"> Die Nationalitätenstaaten Österreich und die Türkei stehen durch den Krieg<lb/> fester denn je. Ihre Zerstückelung ist ein aussichtsloses Beginnen.</p><lb/> <p xml:id="ID_800"> Das deutsche Kriegsziel ist allein der Sicherungszweck sür die Zukunft.<lb/> „Wir müssen uns alle nur möglichen Garantien und Sicherheit dafür schaffen<lb/> und erkämpfen, daß keiner unserer Feinde, nicht vereinzelt, nicht vereint, wieder<lb/> einen Wassergang wagen wird" — erklärte der Reichskanzler in seiner Rede<lb/> vom 28. Mai 1915. Wenn dieser Zweck an einzelnen Stellen wie im Balten¬<lb/> lande und im Vlamland durch das Nationalitätsprinzip unterstützt wird, so ist<lb/> das natürlich an sich sehr erfreulich. Aber der einzige Zweck ist die künftige<lb/> Sicherung.</p><lb/> <p xml:id="ID_801"> Es ist aber eine alte Erfahrung, daß das, was in Europa dermalen außer<lb/> Gebrauch gekommen ist, Ausfuhrware wird. So kann es denn kommen, daß<lb/> das Nationalitätsprinzip gerade durch den Krieg außerhalb Europas von Be¬<lb/> deutung wird. In Indien, Ägypten, in Algier, Tunis und Marokko, unter der<lb/> mohammedanischen Bevölkerung Rußlands regen sich mächtig die Nationalitäten.<lb/> Und gleich dem russischen Panslawismus steht dahinter schon eine Idee, die im<lb/> politischen Interesse eines Staates über das Nationalitätsprinzip hinauswächst.<lb/> Unter der Devise „Asten für die Asiaten" bedroht die neue japanische Welt¬<lb/> macht, die England zur Eroberung Kiautschous zu Hilfe gerufen, die französischen<lb/> Besitzungen in Hinterindien, Britisch-Jndien und Ost-Sibirien in gleicher Weise.<lb/> Die Bundesgenossen haben nur abzuwarten, auf wen sich das ostasiatische Raub¬<lb/> tier zuerst stürzen wird.</p><lb/> <p xml:id="ID_802"> Die alte Erfahrung bestätigt sich von neuem: es ist leicht, Geister zu rufen,<lb/> schwer sie wieder zu bannen.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0243]
Das Nationalitätsprinzip und der Krieg
Doch ein Staat stand dem Ideale näher, ein anderer ferner, am fernsten die
Nationalitätenstaaten, wie Österreich, die Schweiz und Belgien, und das Völker-
chaos von Kolonialreichen wie die Vereinigten Staaten.
Gleichwohl hat sich das Nationalitätsprinzip da, wo nationale Staaten
noch nicht aus der geschichtlichen Entwicklung im Beginne der Neuzeit hervor¬
gegangen waren, als gewaltige staatsbildende Kraft bewährt in der Einigungs-
bewegung Italiens und Deutschlands und in der Befreiung der Balkanstaaten.
Gerade in dieser Kraft lag aber die Gefahr des Mißbrauchs als Mittel für
Pläne einer ehrgeizigen auswärtigen Politik. Ebenso wie einst Napoleon der
Dritte hat auch der Vierverband mit dem Nationalitäisvrinzip spekuliert und
hat sich verspekuliert. Der Mißbrauch lag darin, daß das Nationalitätspnnzip
nur als Vorwand diente, und der Sieg des Vierverbandes gerade zu einer
Vergewaltigung desselben Prinzips geführt hätte, in dessen Namen man zu
Felde zog.
Der deutsche Friede wird voraussichtlich nicht unter dem Zeichen des
Nationalitätsprinzipes stehen. Denn er soll nicht auf trügerischen Vorspiegelungen
beruhen.
Die Nationalitätenstaaten Österreich und die Türkei stehen durch den Krieg
fester denn je. Ihre Zerstückelung ist ein aussichtsloses Beginnen.
Das deutsche Kriegsziel ist allein der Sicherungszweck sür die Zukunft.
„Wir müssen uns alle nur möglichen Garantien und Sicherheit dafür schaffen
und erkämpfen, daß keiner unserer Feinde, nicht vereinzelt, nicht vereint, wieder
einen Wassergang wagen wird" — erklärte der Reichskanzler in seiner Rede
vom 28. Mai 1915. Wenn dieser Zweck an einzelnen Stellen wie im Balten¬
lande und im Vlamland durch das Nationalitätsprinzip unterstützt wird, so ist
das natürlich an sich sehr erfreulich. Aber der einzige Zweck ist die künftige
Sicherung.
Es ist aber eine alte Erfahrung, daß das, was in Europa dermalen außer
Gebrauch gekommen ist, Ausfuhrware wird. So kann es denn kommen, daß
das Nationalitätsprinzip gerade durch den Krieg außerhalb Europas von Be¬
deutung wird. In Indien, Ägypten, in Algier, Tunis und Marokko, unter der
mohammedanischen Bevölkerung Rußlands regen sich mächtig die Nationalitäten.
Und gleich dem russischen Panslawismus steht dahinter schon eine Idee, die im
politischen Interesse eines Staates über das Nationalitätsprinzip hinauswächst.
Unter der Devise „Asten für die Asiaten" bedroht die neue japanische Welt¬
macht, die England zur Eroberung Kiautschous zu Hilfe gerufen, die französischen
Besitzungen in Hinterindien, Britisch-Jndien und Ost-Sibirien in gleicher Weise.
Die Bundesgenossen haben nur abzuwarten, auf wen sich das ostasiatische Raub¬
tier zuerst stürzen wird.
Die alte Erfahrung bestätigt sich von neuem: es ist leicht, Geister zu rufen,
schwer sie wieder zu bannen.
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