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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr.

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Das Nationalitätsprinzip und der Arieg

Und doch ist das Nationalitätsprinzip auf niemand anders zurückzuführen als
auf Napoleon den Ersten. Er war nur ein Schöpfer wider Willen. Er lehrte
die unterdrückten und gepeinigten Völker sich aus dem Weltbürgertum des acht¬
zehnten Jahrhunderts auf ihre Nationalität zu besinnen, er lehrte feindliche
Nachbarn der bisherigen Zwergstaaten sich in größeren Staatswesen zu gemein¬
samer Arbeit zusammenzufinden. So geht das Nationalitätsprinzip allerdings
auf Napoleon den Ersten zurück.

Aufgabe der Heiligen Alliance wurde es nun, den durch den Wiener
Kongreß hergestellten Zustand der legitimen Gewalten gegen Angriffe der Re¬
volution zu verteidigen.

Die lebendige Verkörperung der Heiligen Alliance, obgleich nicht ihr Schöpfer,
wurde nun Metternich. Die Erhaltung des in den günstigsten geographischen
Grenzen wiederhergestellten österreichischen Kaiserstaates war die Aufgabe des
Metternichschen Systems. Diese Aufgabe konnte bei dem Völkergemisch Österreichs
nur erfüllt werden, wenn die Nationalitäten Österreichs nicht aufeinander los¬
schlugen. Das war nur möglich in einem absolut regierten Österreich. Die
konstitutionelle Bewegung in Deutschland und Italien mußte also derart unter¬
bunden werden, daß sie nicht auf Österreich übergriff und im Konstitutionalismus
die Nationalitäten stärkte. So wendet sich das Metternichsche System gleich¬
mäßig gegen Konstitutionalismus und Nationalitätsprinzip.

Dadurch fanden sich aber die ursprünglich getrennten Richtungen des
Konstitutionalismus und des Nationalitätsprinzips zusammen. In Deutschland
wie in Italien wurde die nationale Einheit eine liberale Forderung und wurde
zuerst vom Liberalismus gegen absolutistische und altständische Strömungen ver¬
treten. Die konstitutionelle Bewegung Italiens vor 1820 bewegte sich noch
durchaus auf partikularistischem Boden, sie war eine besondere in Sizilien, in
Neapel, in Piemont. Ihre Unterdrückung durch Österreich zeigte, daß man nur
auf einer breiteren nationalen Grundlage zum Ziele gelangen könne. Die
neuen Verfassungen im Südwesten Deutschlands zogen geradezu in den will¬
kürlichen Bildungen der Nheinbundszeit ein partikuläres Staatsgefühl heran.
Doch die Bevormundung des Bundestages unter Metternichs Leitung führte
den süddeutschen Partikularismus zu der neuen Formel: "Durch Einheit zur
Freiheit".

Die Bewegung des Jahres 1848 ist daher in Deutschland wie in Italien
bereits vom Nationalitätsprinzipe beherrscht, ohne doch den Bestand der Einzel¬
staaten beseitigen zu wollen. Am zielbewußtesten kommt das in dem Werke der
Paulskirche zum Ausdrucke, deren Versammlung es leider nicht verstand, den
Anschluß an den einzigen Machtfaktor deutschen Lebens, den preußischen Staat,
zu finden. In der italienischen Revolution von 1348 überwiegt noch die
liberal-konstitutionelle Richtung auf dem Boden des Einzelstaates, wenn auch
die Vertreibung der Österreicher aus Lombardo-Venetien und dessen Vereinigung
mit dem Königreiche Sardinien als erste Voraussetzung der Freiheit galt. Aber


Das Nationalitätsprinzip und der Arieg

Und doch ist das Nationalitätsprinzip auf niemand anders zurückzuführen als
auf Napoleon den Ersten. Er war nur ein Schöpfer wider Willen. Er lehrte
die unterdrückten und gepeinigten Völker sich aus dem Weltbürgertum des acht¬
zehnten Jahrhunderts auf ihre Nationalität zu besinnen, er lehrte feindliche
Nachbarn der bisherigen Zwergstaaten sich in größeren Staatswesen zu gemein¬
samer Arbeit zusammenzufinden. So geht das Nationalitätsprinzip allerdings
auf Napoleon den Ersten zurück.

Aufgabe der Heiligen Alliance wurde es nun, den durch den Wiener
Kongreß hergestellten Zustand der legitimen Gewalten gegen Angriffe der Re¬
volution zu verteidigen.

Die lebendige Verkörperung der Heiligen Alliance, obgleich nicht ihr Schöpfer,
wurde nun Metternich. Die Erhaltung des in den günstigsten geographischen
Grenzen wiederhergestellten österreichischen Kaiserstaates war die Aufgabe des
Metternichschen Systems. Diese Aufgabe konnte bei dem Völkergemisch Österreichs
nur erfüllt werden, wenn die Nationalitäten Österreichs nicht aufeinander los¬
schlugen. Das war nur möglich in einem absolut regierten Österreich. Die
konstitutionelle Bewegung in Deutschland und Italien mußte also derart unter¬
bunden werden, daß sie nicht auf Österreich übergriff und im Konstitutionalismus
die Nationalitäten stärkte. So wendet sich das Metternichsche System gleich¬
mäßig gegen Konstitutionalismus und Nationalitätsprinzip.

Dadurch fanden sich aber die ursprünglich getrennten Richtungen des
Konstitutionalismus und des Nationalitätsprinzips zusammen. In Deutschland
wie in Italien wurde die nationale Einheit eine liberale Forderung und wurde
zuerst vom Liberalismus gegen absolutistische und altständische Strömungen ver¬
treten. Die konstitutionelle Bewegung Italiens vor 1820 bewegte sich noch
durchaus auf partikularistischem Boden, sie war eine besondere in Sizilien, in
Neapel, in Piemont. Ihre Unterdrückung durch Österreich zeigte, daß man nur
auf einer breiteren nationalen Grundlage zum Ziele gelangen könne. Die
neuen Verfassungen im Südwesten Deutschlands zogen geradezu in den will¬
kürlichen Bildungen der Nheinbundszeit ein partikuläres Staatsgefühl heran.
Doch die Bevormundung des Bundestages unter Metternichs Leitung führte
den süddeutschen Partikularismus zu der neuen Formel: „Durch Einheit zur
Freiheit".

Die Bewegung des Jahres 1848 ist daher in Deutschland wie in Italien
bereits vom Nationalitätsprinzipe beherrscht, ohne doch den Bestand der Einzel¬
staaten beseitigen zu wollen. Am zielbewußtesten kommt das in dem Werke der
Paulskirche zum Ausdrucke, deren Versammlung es leider nicht verstand, den
Anschluß an den einzigen Machtfaktor deutschen Lebens, den preußischen Staat,
zu finden. In der italienischen Revolution von 1348 überwiegt noch die
liberal-konstitutionelle Richtung auf dem Boden des Einzelstaates, wenn auch
die Vertreibung der Österreicher aus Lombardo-Venetien und dessen Vereinigung
mit dem Königreiche Sardinien als erste Voraussetzung der Freiheit galt. Aber


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[0238] Das Nationalitätsprinzip und der Arieg Und doch ist das Nationalitätsprinzip auf niemand anders zurückzuführen als auf Napoleon den Ersten. Er war nur ein Schöpfer wider Willen. Er lehrte die unterdrückten und gepeinigten Völker sich aus dem Weltbürgertum des acht¬ zehnten Jahrhunderts auf ihre Nationalität zu besinnen, er lehrte feindliche Nachbarn der bisherigen Zwergstaaten sich in größeren Staatswesen zu gemein¬ samer Arbeit zusammenzufinden. So geht das Nationalitätsprinzip allerdings auf Napoleon den Ersten zurück. Aufgabe der Heiligen Alliance wurde es nun, den durch den Wiener Kongreß hergestellten Zustand der legitimen Gewalten gegen Angriffe der Re¬ volution zu verteidigen. Die lebendige Verkörperung der Heiligen Alliance, obgleich nicht ihr Schöpfer, wurde nun Metternich. Die Erhaltung des in den günstigsten geographischen Grenzen wiederhergestellten österreichischen Kaiserstaates war die Aufgabe des Metternichschen Systems. Diese Aufgabe konnte bei dem Völkergemisch Österreichs nur erfüllt werden, wenn die Nationalitäten Österreichs nicht aufeinander los¬ schlugen. Das war nur möglich in einem absolut regierten Österreich. Die konstitutionelle Bewegung in Deutschland und Italien mußte also derart unter¬ bunden werden, daß sie nicht auf Österreich übergriff und im Konstitutionalismus die Nationalitäten stärkte. So wendet sich das Metternichsche System gleich¬ mäßig gegen Konstitutionalismus und Nationalitätsprinzip. Dadurch fanden sich aber die ursprünglich getrennten Richtungen des Konstitutionalismus und des Nationalitätsprinzips zusammen. In Deutschland wie in Italien wurde die nationale Einheit eine liberale Forderung und wurde zuerst vom Liberalismus gegen absolutistische und altständische Strömungen ver¬ treten. Die konstitutionelle Bewegung Italiens vor 1820 bewegte sich noch durchaus auf partikularistischem Boden, sie war eine besondere in Sizilien, in Neapel, in Piemont. Ihre Unterdrückung durch Österreich zeigte, daß man nur auf einer breiteren nationalen Grundlage zum Ziele gelangen könne. Die neuen Verfassungen im Südwesten Deutschlands zogen geradezu in den will¬ kürlichen Bildungen der Nheinbundszeit ein partikuläres Staatsgefühl heran. Doch die Bevormundung des Bundestages unter Metternichs Leitung führte den süddeutschen Partikularismus zu der neuen Formel: „Durch Einheit zur Freiheit". Die Bewegung des Jahres 1848 ist daher in Deutschland wie in Italien bereits vom Nationalitätsprinzipe beherrscht, ohne doch den Bestand der Einzel¬ staaten beseitigen zu wollen. Am zielbewußtesten kommt das in dem Werke der Paulskirche zum Ausdrucke, deren Versammlung es leider nicht verstand, den Anschluß an den einzigen Machtfaktor deutschen Lebens, den preußischen Staat, zu finden. In der italienischen Revolution von 1348 überwiegt noch die liberal-konstitutionelle Richtung auf dem Boden des Einzelstaates, wenn auch die Vertreibung der Österreicher aus Lombardo-Venetien und dessen Vereinigung mit dem Königreiche Sardinien als erste Voraussetzung der Freiheit galt. Aber

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_329665/238>, abgerufen am 15.01.2025.