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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr.

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Saloniki

lische Gewissensregungen von der Rechnung fernzuhalten. Der von der Erregung
eingegebene Plan konnte keinen Erfolg haben. In England wird die Aufgabe
von Saloniki schon ausgiebig erörtert, in Frankreich wagen das einstweilen nur
die Geister der ewigen Verneinung wie Clsmenceau und Börenger. Die Mehr¬
heit klammert sich noch an den Besitz der Stadt, allerdings in der Hoffnung,
daß von dort aus eine wirksame Offensive gegen Konstantinopel und Sofia
eröffnet und Serbien zurückerobert werden kann.

Für einen Angriff reichen aber die Kräfte nicht aus, die allenfalls für die
Verteidigung genügen. Man muß also still sitzen, und deshalb sollen ja die
Deutschen angreifen, um die ganze Zwecklosigkeit des Salonikier Unternehmens
zu verdecken. Weder England noch Frankreich ist in der Lage, weitere Truppen
nach dem Osten zu senden, und eine Offensive, die auch nur die geringste Aus¬
sicht auf Erfolg bietet, würde ungeheure Massen erfordern. Die Trümmer des
serbischen Heeres sind viel zu dürftig, und die Griechen bleiben einstweilen der
Gewalt so unzugänglich wie vorher Versprechungen und Drohungen. Rumänien
glaubt, warten zu können und will sich nicht die Finger verbrennen. Bleiben
die Italiener. Schon längst macht es die englische und französische Presse den
Anhängern des heiligen Egoismus klar, daß sie ihr Leben mehr lieb haben,
als es sich in einem Kampfe für "Recht und Freiheit" geziemt und daß sie bisher
so gut wie nichts geleistet haben. Italien besitzt angeblich ungeheure Truppen¬
reserven, die es an der beschränkten Nordfront nicht einmal entwickeln kann.
Aber England und Frankreich brauchen sie. Wo immer der Vierverbaud in
der Klemme saß, ertönte der Ruf nach italienischer Hilfe, aus Mazedonien,
Albanien, Montenegro, Serbien und von den Dardanellen. Nun ist Briand
selber in Rom erscheinen, um Italien zu umwerben. Mit schönen Reden
wird er nichts ausrichten, in dieser Hinsicht sind die Italiener zu verwöhnt;
und selbst wenn sie wollten, vermögen sie ein starkes Heer, das von Saloniki
auZ den Angriff vortragen kaun, nicht zu stellen.

So bleiben nur zwei Möglichkeiten; entweder man verteidigt die Stadt
heldenmütig weiter gegen einen nicht vorhandenen Feind oder man steckt die
bulgarische Niederlage ein und zieht wieder nach Haus. England neigt dem
letzteren zu. Es fühlt sich stark genug, einen zweiten Rückzug im Orient und
den damit verbundenen Verlust an Ansehen zu ertragen, Frankreich dagegen
zittert UH seinen Kredit. Es befindet sich in der Lage eines Kaufmanns, der,
je rascher er seine eigenen Mittel schwinden sieht, um so eifriger alles vermeiden
muß, was Zweifel an feiner Zahlungsfähigkeit erwecken könnte. Ein neuer
Rückzug würde aber das Ansehen der Republik aufs Schwerste gefährden, im
Inland sowohl wie im Ausland. Jede Hoffnung auf den Beistand Griechen¬
lands, Rumäniens und Portugals, das neuerdings wieder in Betracht kommt,
wäre endgültig zerstört, und nicht nur das, sondern auch einzelne der bisherigen
Bundesgenossen würden das sinkende Schiff vielleicht verlassen. Die leitenden
Persönlichkeiten haben der gesamten Welt verkündet, daß der Sieg Frankreich


Saloniki

lische Gewissensregungen von der Rechnung fernzuhalten. Der von der Erregung
eingegebene Plan konnte keinen Erfolg haben. In England wird die Aufgabe
von Saloniki schon ausgiebig erörtert, in Frankreich wagen das einstweilen nur
die Geister der ewigen Verneinung wie Clsmenceau und Börenger. Die Mehr¬
heit klammert sich noch an den Besitz der Stadt, allerdings in der Hoffnung,
daß von dort aus eine wirksame Offensive gegen Konstantinopel und Sofia
eröffnet und Serbien zurückerobert werden kann.

Für einen Angriff reichen aber die Kräfte nicht aus, die allenfalls für die
Verteidigung genügen. Man muß also still sitzen, und deshalb sollen ja die
Deutschen angreifen, um die ganze Zwecklosigkeit des Salonikier Unternehmens
zu verdecken. Weder England noch Frankreich ist in der Lage, weitere Truppen
nach dem Osten zu senden, und eine Offensive, die auch nur die geringste Aus¬
sicht auf Erfolg bietet, würde ungeheure Massen erfordern. Die Trümmer des
serbischen Heeres sind viel zu dürftig, und die Griechen bleiben einstweilen der
Gewalt so unzugänglich wie vorher Versprechungen und Drohungen. Rumänien
glaubt, warten zu können und will sich nicht die Finger verbrennen. Bleiben
die Italiener. Schon längst macht es die englische und französische Presse den
Anhängern des heiligen Egoismus klar, daß sie ihr Leben mehr lieb haben,
als es sich in einem Kampfe für „Recht und Freiheit" geziemt und daß sie bisher
so gut wie nichts geleistet haben. Italien besitzt angeblich ungeheure Truppen¬
reserven, die es an der beschränkten Nordfront nicht einmal entwickeln kann.
Aber England und Frankreich brauchen sie. Wo immer der Vierverbaud in
der Klemme saß, ertönte der Ruf nach italienischer Hilfe, aus Mazedonien,
Albanien, Montenegro, Serbien und von den Dardanellen. Nun ist Briand
selber in Rom erscheinen, um Italien zu umwerben. Mit schönen Reden
wird er nichts ausrichten, in dieser Hinsicht sind die Italiener zu verwöhnt;
und selbst wenn sie wollten, vermögen sie ein starkes Heer, das von Saloniki
auZ den Angriff vortragen kaun, nicht zu stellen.

So bleiben nur zwei Möglichkeiten; entweder man verteidigt die Stadt
heldenmütig weiter gegen einen nicht vorhandenen Feind oder man steckt die
bulgarische Niederlage ein und zieht wieder nach Haus. England neigt dem
letzteren zu. Es fühlt sich stark genug, einen zweiten Rückzug im Orient und
den damit verbundenen Verlust an Ansehen zu ertragen, Frankreich dagegen
zittert UH seinen Kredit. Es befindet sich in der Lage eines Kaufmanns, der,
je rascher er seine eigenen Mittel schwinden sieht, um so eifriger alles vermeiden
muß, was Zweifel an feiner Zahlungsfähigkeit erwecken könnte. Ein neuer
Rückzug würde aber das Ansehen der Republik aufs Schwerste gefährden, im
Inland sowohl wie im Ausland. Jede Hoffnung auf den Beistand Griechen¬
lands, Rumäniens und Portugals, das neuerdings wieder in Betracht kommt,
wäre endgültig zerstört, und nicht nur das, sondern auch einzelne der bisherigen
Bundesgenossen würden das sinkende Schiff vielleicht verlassen. Die leitenden
Persönlichkeiten haben der gesamten Welt verkündet, daß der Sieg Frankreich


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[0232] Saloniki lische Gewissensregungen von der Rechnung fernzuhalten. Der von der Erregung eingegebene Plan konnte keinen Erfolg haben. In England wird die Aufgabe von Saloniki schon ausgiebig erörtert, in Frankreich wagen das einstweilen nur die Geister der ewigen Verneinung wie Clsmenceau und Börenger. Die Mehr¬ heit klammert sich noch an den Besitz der Stadt, allerdings in der Hoffnung, daß von dort aus eine wirksame Offensive gegen Konstantinopel und Sofia eröffnet und Serbien zurückerobert werden kann. Für einen Angriff reichen aber die Kräfte nicht aus, die allenfalls für die Verteidigung genügen. Man muß also still sitzen, und deshalb sollen ja die Deutschen angreifen, um die ganze Zwecklosigkeit des Salonikier Unternehmens zu verdecken. Weder England noch Frankreich ist in der Lage, weitere Truppen nach dem Osten zu senden, und eine Offensive, die auch nur die geringste Aus¬ sicht auf Erfolg bietet, würde ungeheure Massen erfordern. Die Trümmer des serbischen Heeres sind viel zu dürftig, und die Griechen bleiben einstweilen der Gewalt so unzugänglich wie vorher Versprechungen und Drohungen. Rumänien glaubt, warten zu können und will sich nicht die Finger verbrennen. Bleiben die Italiener. Schon längst macht es die englische und französische Presse den Anhängern des heiligen Egoismus klar, daß sie ihr Leben mehr lieb haben, als es sich in einem Kampfe für „Recht und Freiheit" geziemt und daß sie bisher so gut wie nichts geleistet haben. Italien besitzt angeblich ungeheure Truppen¬ reserven, die es an der beschränkten Nordfront nicht einmal entwickeln kann. Aber England und Frankreich brauchen sie. Wo immer der Vierverbaud in der Klemme saß, ertönte der Ruf nach italienischer Hilfe, aus Mazedonien, Albanien, Montenegro, Serbien und von den Dardanellen. Nun ist Briand selber in Rom erscheinen, um Italien zu umwerben. Mit schönen Reden wird er nichts ausrichten, in dieser Hinsicht sind die Italiener zu verwöhnt; und selbst wenn sie wollten, vermögen sie ein starkes Heer, das von Saloniki auZ den Angriff vortragen kaun, nicht zu stellen. So bleiben nur zwei Möglichkeiten; entweder man verteidigt die Stadt heldenmütig weiter gegen einen nicht vorhandenen Feind oder man steckt die bulgarische Niederlage ein und zieht wieder nach Haus. England neigt dem letzteren zu. Es fühlt sich stark genug, einen zweiten Rückzug im Orient und den damit verbundenen Verlust an Ansehen zu ertragen, Frankreich dagegen zittert UH seinen Kredit. Es befindet sich in der Lage eines Kaufmanns, der, je rascher er seine eigenen Mittel schwinden sieht, um so eifriger alles vermeiden muß, was Zweifel an feiner Zahlungsfähigkeit erwecken könnte. Ein neuer Rückzug würde aber das Ansehen der Republik aufs Schwerste gefährden, im Inland sowohl wie im Ausland. Jede Hoffnung auf den Beistand Griechen¬ lands, Rumäniens und Portugals, das neuerdings wieder in Betracht kommt, wäre endgültig zerstört, und nicht nur das, sondern auch einzelne der bisherigen Bundesgenossen würden das sinkende Schiff vielleicht verlassen. Die leitenden Persönlichkeiten haben der gesamten Welt verkündet, daß der Sieg Frankreich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_329665/232>, abgerufen am 15.01.2025.