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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr.

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Saloniki

politische oder militärische Gründe sie zurückhielten, wird eine spätere Zeit lehren.
Unterdessen hielten die Verbändler eifrigst Kriegsrat mit dem Ergebnis, daß
neue Streitkräfte nach Saloniki geschickt, daß schwere Geschütze, Lebensmittel,
Eisenbahnwagen und anderer Heeresbedarf in ungeheuren Mengen dorthin ver¬
schifft wurden. Die größten militärischen Autoritäten des Verbandes setzten sich
in Bewegung, Kitchener, Joffre, Castelnau eilten in fliegender Hast nach dem
Orient, um die dortigen Generäle durch weisen Rat zu unterstützen. Die Stadt
wurde mit allen Mitteln moderner Technik zu einer Festung ausgebaut, bis
man endlich die tröstliche Gewißheit zu haben glaubte: Saloniki ist uneinnehmbar.
Aber die Bulgaren kamen noch immer nicht. Mit wütender Kampfbegier lagen
Franzosen und Engländer in ihren Schützengräben, alle Brücken im neutralen
griechischen Gebiet ließ Sarrail in die Luft sprengen, kein feindlicher Soldat
zeigte sich, außer hoch in den Lüften ab und zu ein deutscher Flieger. Ver¬
gebens bewies die Verbandspresse in allen ihr zu Gebote stehenden Sprachen,
daß es Pflicht des Feindes sei, sich an den Befestigungen von Saloniki die
Zähne auszubeißen, kein Deutscher, kein Österreicher, kein Bulgare ließ sich blicken.
Nicht einmal die Türken zeigten sich, für deren siegreichen Einzug der öster¬
reichische Generalkonsul angeblich schon zweitausend Halbmondfahnen in: Keller
seines Dienstgebäudes aufgespeichert hatte. Deutschland und seine Verbündeten
zeigen nicht die geringste Eile und herzlich wenig Interesse, die Verbändler aus
Saloniki zu vertreiben. Die Stadt besitzt einen trefflichen Hasen, aber für
Leute, die ihre Siege auf dem Trocknen erkämpfen, hat der trefflichste Hafen nur
-inen bedingten Wert, zumal, wenn er durch eine übermächtige Flotte jederzeit
gesperrt werden kann. Wir haben volles Verständnis für die Bedrängnis des
griechischen Volkes und volle Anerkennung für die Haltung feines Königs, aber
darum können wir ihnen die Sorge, wie sie die unerwünschten Gäste loswerden
sollen, doch nicht abnehmen. Die Frage kann für uns bis zum allgemeinen
Friedensschluß vertagt werden.

England und Frankreich haben zum mindesten eine Viertelmillion Menschen
in Saloniki festgelegt. Was nützt ihnen aber der Besitz der Stadt, wenn sie
nicht angegriffen wird? Man hat doch die kostspielige Expedition nicht aus¬
gerüstet und Griechenland vergewaltigt, um den Soldaten, die man an anderer
Stelle so notwendig gebrauchen kann, eine gewiß lehrreiche, aber zurzeit zwecklose
Orientreise zu spendieren? Die Erkenntnis dämmert unseren Gegnerir^auf, daß
sie sich in eine verhängnisvolle Sackgasse verrannt haben. Die Engländer haben
von dem Salonikier Unternehmen von Anfang an nichts wissen wollen, und es
bedürfte eines ernsten Druckes durch Briand und Joffre, um sie zur Teilnahme
zu bestaunen; jetzt zeigt sich, daß britische Kaltblütigkeit die Sachlage klarer
beurteilte, als gallische Leidenschaft, die in Wut über die Erfolge der Mittel-
mächte auf dem Balkan eine sofortige Gegenaktion im großen Stile verlangte.
Die Scham über die Preisgabe Serbiens mag bei den Franzosen angesprochen
haben, während die Engländer längst gewöhnt sind, solche edle, aber unprak-


Saloniki

politische oder militärische Gründe sie zurückhielten, wird eine spätere Zeit lehren.
Unterdessen hielten die Verbändler eifrigst Kriegsrat mit dem Ergebnis, daß
neue Streitkräfte nach Saloniki geschickt, daß schwere Geschütze, Lebensmittel,
Eisenbahnwagen und anderer Heeresbedarf in ungeheuren Mengen dorthin ver¬
schifft wurden. Die größten militärischen Autoritäten des Verbandes setzten sich
in Bewegung, Kitchener, Joffre, Castelnau eilten in fliegender Hast nach dem
Orient, um die dortigen Generäle durch weisen Rat zu unterstützen. Die Stadt
wurde mit allen Mitteln moderner Technik zu einer Festung ausgebaut, bis
man endlich die tröstliche Gewißheit zu haben glaubte: Saloniki ist uneinnehmbar.
Aber die Bulgaren kamen noch immer nicht. Mit wütender Kampfbegier lagen
Franzosen und Engländer in ihren Schützengräben, alle Brücken im neutralen
griechischen Gebiet ließ Sarrail in die Luft sprengen, kein feindlicher Soldat
zeigte sich, außer hoch in den Lüften ab und zu ein deutscher Flieger. Ver¬
gebens bewies die Verbandspresse in allen ihr zu Gebote stehenden Sprachen,
daß es Pflicht des Feindes sei, sich an den Befestigungen von Saloniki die
Zähne auszubeißen, kein Deutscher, kein Österreicher, kein Bulgare ließ sich blicken.
Nicht einmal die Türken zeigten sich, für deren siegreichen Einzug der öster¬
reichische Generalkonsul angeblich schon zweitausend Halbmondfahnen in: Keller
seines Dienstgebäudes aufgespeichert hatte. Deutschland und seine Verbündeten
zeigen nicht die geringste Eile und herzlich wenig Interesse, die Verbändler aus
Saloniki zu vertreiben. Die Stadt besitzt einen trefflichen Hasen, aber für
Leute, die ihre Siege auf dem Trocknen erkämpfen, hat der trefflichste Hafen nur
-inen bedingten Wert, zumal, wenn er durch eine übermächtige Flotte jederzeit
gesperrt werden kann. Wir haben volles Verständnis für die Bedrängnis des
griechischen Volkes und volle Anerkennung für die Haltung feines Königs, aber
darum können wir ihnen die Sorge, wie sie die unerwünschten Gäste loswerden
sollen, doch nicht abnehmen. Die Frage kann für uns bis zum allgemeinen
Friedensschluß vertagt werden.

England und Frankreich haben zum mindesten eine Viertelmillion Menschen
in Saloniki festgelegt. Was nützt ihnen aber der Besitz der Stadt, wenn sie
nicht angegriffen wird? Man hat doch die kostspielige Expedition nicht aus¬
gerüstet und Griechenland vergewaltigt, um den Soldaten, die man an anderer
Stelle so notwendig gebrauchen kann, eine gewiß lehrreiche, aber zurzeit zwecklose
Orientreise zu spendieren? Die Erkenntnis dämmert unseren Gegnerir^auf, daß
sie sich in eine verhängnisvolle Sackgasse verrannt haben. Die Engländer haben
von dem Salonikier Unternehmen von Anfang an nichts wissen wollen, und es
bedürfte eines ernsten Druckes durch Briand und Joffre, um sie zur Teilnahme
zu bestaunen; jetzt zeigt sich, daß britische Kaltblütigkeit die Sachlage klarer
beurteilte, als gallische Leidenschaft, die in Wut über die Erfolge der Mittel-
mächte auf dem Balkan eine sofortige Gegenaktion im großen Stile verlangte.
Die Scham über die Preisgabe Serbiens mag bei den Franzosen angesprochen
haben, während die Engländer längst gewöhnt sind, solche edle, aber unprak-


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[0231] Saloniki politische oder militärische Gründe sie zurückhielten, wird eine spätere Zeit lehren. Unterdessen hielten die Verbändler eifrigst Kriegsrat mit dem Ergebnis, daß neue Streitkräfte nach Saloniki geschickt, daß schwere Geschütze, Lebensmittel, Eisenbahnwagen und anderer Heeresbedarf in ungeheuren Mengen dorthin ver¬ schifft wurden. Die größten militärischen Autoritäten des Verbandes setzten sich in Bewegung, Kitchener, Joffre, Castelnau eilten in fliegender Hast nach dem Orient, um die dortigen Generäle durch weisen Rat zu unterstützen. Die Stadt wurde mit allen Mitteln moderner Technik zu einer Festung ausgebaut, bis man endlich die tröstliche Gewißheit zu haben glaubte: Saloniki ist uneinnehmbar. Aber die Bulgaren kamen noch immer nicht. Mit wütender Kampfbegier lagen Franzosen und Engländer in ihren Schützengräben, alle Brücken im neutralen griechischen Gebiet ließ Sarrail in die Luft sprengen, kein feindlicher Soldat zeigte sich, außer hoch in den Lüften ab und zu ein deutscher Flieger. Ver¬ gebens bewies die Verbandspresse in allen ihr zu Gebote stehenden Sprachen, daß es Pflicht des Feindes sei, sich an den Befestigungen von Saloniki die Zähne auszubeißen, kein Deutscher, kein Österreicher, kein Bulgare ließ sich blicken. Nicht einmal die Türken zeigten sich, für deren siegreichen Einzug der öster¬ reichische Generalkonsul angeblich schon zweitausend Halbmondfahnen in: Keller seines Dienstgebäudes aufgespeichert hatte. Deutschland und seine Verbündeten zeigen nicht die geringste Eile und herzlich wenig Interesse, die Verbändler aus Saloniki zu vertreiben. Die Stadt besitzt einen trefflichen Hasen, aber für Leute, die ihre Siege auf dem Trocknen erkämpfen, hat der trefflichste Hafen nur -inen bedingten Wert, zumal, wenn er durch eine übermächtige Flotte jederzeit gesperrt werden kann. Wir haben volles Verständnis für die Bedrängnis des griechischen Volkes und volle Anerkennung für die Haltung feines Königs, aber darum können wir ihnen die Sorge, wie sie die unerwünschten Gäste loswerden sollen, doch nicht abnehmen. Die Frage kann für uns bis zum allgemeinen Friedensschluß vertagt werden. England und Frankreich haben zum mindesten eine Viertelmillion Menschen in Saloniki festgelegt. Was nützt ihnen aber der Besitz der Stadt, wenn sie nicht angegriffen wird? Man hat doch die kostspielige Expedition nicht aus¬ gerüstet und Griechenland vergewaltigt, um den Soldaten, die man an anderer Stelle so notwendig gebrauchen kann, eine gewiß lehrreiche, aber zurzeit zwecklose Orientreise zu spendieren? Die Erkenntnis dämmert unseren Gegnerir^auf, daß sie sich in eine verhängnisvolle Sackgasse verrannt haben. Die Engländer haben von dem Salonikier Unternehmen von Anfang an nichts wissen wollen, und es bedürfte eines ernsten Druckes durch Briand und Joffre, um sie zur Teilnahme zu bestaunen; jetzt zeigt sich, daß britische Kaltblütigkeit die Sachlage klarer beurteilte, als gallische Leidenschaft, die in Wut über die Erfolge der Mittel- mächte auf dem Balkan eine sofortige Gegenaktion im großen Stile verlangte. Die Scham über die Preisgabe Serbiens mag bei den Franzosen angesprochen haben, während die Engländer längst gewöhnt sind, solche edle, aber unprak-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_329665/231>, abgerufen am 15.01.2025.