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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr.

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Deutsche Kultur im englische" Spiegel

wohn" optischen Nordens eben doch beklagenswert sei, wenn man das
opulente > ^ .'n in einer Stadt wie Venedig damit vergleiche (!). Immerhin
wird die Reinheit der religiösen Bewegung, die idyllische Süßigkeit und die
talentvolle Hingebung der deutschen Malerei des Mittelalters anerkannt, die
darin alles der Art in Italien Entstandene weit übertreffe. Längere Ausfüh¬
rungen werden über Holbein, Peter Bischer und andere gemacht, die nicht nur
von kunstgeschichtlichen Interesse sind, und manchmal hat man den Eindruck,
daß der Verfasser gänzlich vergißt, daß er eigentlich nur den Anteil Deutsch¬
lands an der Weltkultur beschreiben wollte: so wenig erwähnt er andere Länder
und so sehr tritt die Bedeutung Deutschlands in den Vordergrund.

Die deutsche Malerei des neunzehnten Jahrhunderts wird als durch roman¬
tische und klassische Erinnerungen belebt geschildert, Overbeck, Kornelius, Kaulbach,
Thoma, Piloty, Liebermann und namentlich Böcklin werden erwähnt und schließlich
Abbe besonders hervorgehoben.

Als Schlußfolgerung wird bemerkt, daß das deutsche Bedürfnis in der
Formkunst mehr ein künstliches als ein spontanes sei. Die Deutschen hätten
zweifelsohne Großes vollbracht in diesen Künsten, worauf die Welt stolz sein
müsse, aber sie seien im wahren Sinne des Wortes eigentlich keine künst¬
lerische Rasse.

Am interessantesten sind vielleicht die drei letzten Kapitel über Erziehung,
Politik und Religion.

Das deutsche Erziehungssystem ist hiernach durch den Krieg aus einem
Muster für Großbritannien eine Warnung geworden. Es habe durch die Über¬
treibung des Staatsbegriffes, dessen sich die verantwortlichen Leiter schuldig
machten, einen großen Mangel an Einsicht und Gerechtigkeit bewiesen. Der
deutsche Eifer auf intellektuellem Gebiete sei zur einseitigen Parteilichkeit geworden.
In Deutschland träten aggressiver Ehrgeiz und individuelle Selbstsucht unter dem
Deckmantel des Patriotismus auf. Daher komme es allerdings auch, daß die
deutsche Nation in diesem Kriege so einmütig sei in den Opfern von Leben und
Wohlstand. (I)

Der Unterricht sei zuletzt rein intellektuell geworden; ein gewisser realistischer
Zug, der auf dem Gebiete der Technik seit 1870 zwar eines der größten Wunder
der Welt hervorgebracht habe, hat, die Nation als Ganzes jedoch aus einen
falschen Weg geführt. Der außerordentliche Wert einer starken Staatsaufsicht
auf dem Gebiete des Unterrichtswesens wird dabei allerdings hervorgehoben,
aber behauptet, daß als Ganzes doch das englische System den höheren
Menschheitstypus hervorgebracht hat.

In der Politik wird ohne weiteres eingeräumt, daß der Drang nach Welt¬
politik auf der englischen Seite ebenso vorhanden ist wie auf der deutschen, daß
also die Engländer ebenso "panbritisch" sind wie die Deutschen "pangermanisch",
ja sogar, daß die deutsche Weltpolitik berechtigter ist, als die englische, da
Deutschland so spät aus dem Kampfplatz erschien, während England so vieles


Deutsche Kultur im englische» Spiegel

wohn« optischen Nordens eben doch beklagenswert sei, wenn man das
opulente > ^ .'n in einer Stadt wie Venedig damit vergleiche (!). Immerhin
wird die Reinheit der religiösen Bewegung, die idyllische Süßigkeit und die
talentvolle Hingebung der deutschen Malerei des Mittelalters anerkannt, die
darin alles der Art in Italien Entstandene weit übertreffe. Längere Ausfüh¬
rungen werden über Holbein, Peter Bischer und andere gemacht, die nicht nur
von kunstgeschichtlichen Interesse sind, und manchmal hat man den Eindruck,
daß der Verfasser gänzlich vergißt, daß er eigentlich nur den Anteil Deutsch¬
lands an der Weltkultur beschreiben wollte: so wenig erwähnt er andere Länder
und so sehr tritt die Bedeutung Deutschlands in den Vordergrund.

Die deutsche Malerei des neunzehnten Jahrhunderts wird als durch roman¬
tische und klassische Erinnerungen belebt geschildert, Overbeck, Kornelius, Kaulbach,
Thoma, Piloty, Liebermann und namentlich Böcklin werden erwähnt und schließlich
Abbe besonders hervorgehoben.

Als Schlußfolgerung wird bemerkt, daß das deutsche Bedürfnis in der
Formkunst mehr ein künstliches als ein spontanes sei. Die Deutschen hätten
zweifelsohne Großes vollbracht in diesen Künsten, worauf die Welt stolz sein
müsse, aber sie seien im wahren Sinne des Wortes eigentlich keine künst¬
lerische Rasse.

Am interessantesten sind vielleicht die drei letzten Kapitel über Erziehung,
Politik und Religion.

Das deutsche Erziehungssystem ist hiernach durch den Krieg aus einem
Muster für Großbritannien eine Warnung geworden. Es habe durch die Über¬
treibung des Staatsbegriffes, dessen sich die verantwortlichen Leiter schuldig
machten, einen großen Mangel an Einsicht und Gerechtigkeit bewiesen. Der
deutsche Eifer auf intellektuellem Gebiete sei zur einseitigen Parteilichkeit geworden.
In Deutschland träten aggressiver Ehrgeiz und individuelle Selbstsucht unter dem
Deckmantel des Patriotismus auf. Daher komme es allerdings auch, daß die
deutsche Nation in diesem Kriege so einmütig sei in den Opfern von Leben und
Wohlstand. (I)

Der Unterricht sei zuletzt rein intellektuell geworden; ein gewisser realistischer
Zug, der auf dem Gebiete der Technik seit 1870 zwar eines der größten Wunder
der Welt hervorgebracht habe, hat, die Nation als Ganzes jedoch aus einen
falschen Weg geführt. Der außerordentliche Wert einer starken Staatsaufsicht
auf dem Gebiete des Unterrichtswesens wird dabei allerdings hervorgehoben,
aber behauptet, daß als Ganzes doch das englische System den höheren
Menschheitstypus hervorgebracht hat.

In der Politik wird ohne weiteres eingeräumt, daß der Drang nach Welt¬
politik auf der englischen Seite ebenso vorhanden ist wie auf der deutschen, daß
also die Engländer ebenso „panbritisch" sind wie die Deutschen „pangermanisch",
ja sogar, daß die deutsche Weltpolitik berechtigter ist, als die englische, da
Deutschland so spät aus dem Kampfplatz erschien, während England so vieles


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[0217] Deutsche Kultur im englische» Spiegel wohn« optischen Nordens eben doch beklagenswert sei, wenn man das opulente > ^ .'n in einer Stadt wie Venedig damit vergleiche (!). Immerhin wird die Reinheit der religiösen Bewegung, die idyllische Süßigkeit und die talentvolle Hingebung der deutschen Malerei des Mittelalters anerkannt, die darin alles der Art in Italien Entstandene weit übertreffe. Längere Ausfüh¬ rungen werden über Holbein, Peter Bischer und andere gemacht, die nicht nur von kunstgeschichtlichen Interesse sind, und manchmal hat man den Eindruck, daß der Verfasser gänzlich vergißt, daß er eigentlich nur den Anteil Deutsch¬ lands an der Weltkultur beschreiben wollte: so wenig erwähnt er andere Länder und so sehr tritt die Bedeutung Deutschlands in den Vordergrund. Die deutsche Malerei des neunzehnten Jahrhunderts wird als durch roman¬ tische und klassische Erinnerungen belebt geschildert, Overbeck, Kornelius, Kaulbach, Thoma, Piloty, Liebermann und namentlich Böcklin werden erwähnt und schließlich Abbe besonders hervorgehoben. Als Schlußfolgerung wird bemerkt, daß das deutsche Bedürfnis in der Formkunst mehr ein künstliches als ein spontanes sei. Die Deutschen hätten zweifelsohne Großes vollbracht in diesen Künsten, worauf die Welt stolz sein müsse, aber sie seien im wahren Sinne des Wortes eigentlich keine künst¬ lerische Rasse. Am interessantesten sind vielleicht die drei letzten Kapitel über Erziehung, Politik und Religion. Das deutsche Erziehungssystem ist hiernach durch den Krieg aus einem Muster für Großbritannien eine Warnung geworden. Es habe durch die Über¬ treibung des Staatsbegriffes, dessen sich die verantwortlichen Leiter schuldig machten, einen großen Mangel an Einsicht und Gerechtigkeit bewiesen. Der deutsche Eifer auf intellektuellem Gebiete sei zur einseitigen Parteilichkeit geworden. In Deutschland träten aggressiver Ehrgeiz und individuelle Selbstsucht unter dem Deckmantel des Patriotismus auf. Daher komme es allerdings auch, daß die deutsche Nation in diesem Kriege so einmütig sei in den Opfern von Leben und Wohlstand. (I) Der Unterricht sei zuletzt rein intellektuell geworden; ein gewisser realistischer Zug, der auf dem Gebiete der Technik seit 1870 zwar eines der größten Wunder der Welt hervorgebracht habe, hat, die Nation als Ganzes jedoch aus einen falschen Weg geführt. Der außerordentliche Wert einer starken Staatsaufsicht auf dem Gebiete des Unterrichtswesens wird dabei allerdings hervorgehoben, aber behauptet, daß als Ganzes doch das englische System den höheren Menschheitstypus hervorgebracht hat. In der Politik wird ohne weiteres eingeräumt, daß der Drang nach Welt¬ politik auf der englischen Seite ebenso vorhanden ist wie auf der deutschen, daß also die Engländer ebenso „panbritisch" sind wie die Deutschen „pangermanisch", ja sogar, daß die deutsche Weltpolitik berechtigter ist, als die englische, da Deutschland so spät aus dem Kampfplatz erschien, während England so vieles

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_329665/217>, abgerufen am 15.01.2025.