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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr.

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König Nikola von Montenegro und seine Politik

Politik. Österreich gegenüber versuchte er dieselbe Rolle zu spielen, die er bis
1876 der Pforte gegenüber gespielt hatte. Er heuchelte Freundschaft für
Österreich und Verehrung für den Kaiser, dessen kostbare Geschenke er stets gern
annahm. In Wirklichkeit aber war er Kostgänger Rußlands. Dies nützte er
aus, um sich zu bereichern, indem er das aus Rußland zur Verteilung an die
hungernden Montenegriner gesandte Getreide diesen nicht schenkte, wie die
Spender verlangt hatten, sondern es ihnen zu hohen Preisen verkaufte! Auch
sonst wanderten zahlreiche aus Rußland für das Volk gekommene Geld? und
sonstige Sendungen in seine Tasche. Dadurch sank sein Ansehen im Volke
ganz bedeutend.

Rußland hielt sich ihn seit der Zeit, da Alexander, der Dritte ihn als
"einzigen Freund" bezeichnet hatte, warm. Der heutige Zar Nikolaj der Zweite
war als Kronprinz in Nikolas Tochter Jelena ganz verliebt und wollte sie
durchaus heiraten. Alexander der Dritte legte sein Veto ein, weil es ihm
demütigend erschien, daß der Cesarevitsch mit der Tochter eines kleinen Fürsten
vorlieb nehmen sollte. So gab man denn Jelena dem Kronprinzen von Italien
zur Frau, der weniger anspruchsvoll war. Dies brachte ein neues Leitmotiv
in das europäische Konzert. Italien hatte längst die Absicht, an seinem öster¬
reichischen Bundesgenossen zu gegebener Zeit Verrat zu üben und dazu bedürfte
es der montenegrinischen Mithilfe, weil es sonst nicht aus die Adria-Herrschaft
rechnen konnte. Nikola hatte allerdings nicht die Absicht Italien sich am östlichen
Adria-Ufer festsetzen zu lassen, sondern er wollte nur nach alter Gewohnheit
seinen italienischen Eidam gleichfalls übers Ohr hauen, d. h. ihn nur ausnützen.
Da aber die Italiener geradeso berechnend sind, wie Nikola, kamen die beiden
bald übereinander und Rußland hatte viel zu tun, zu beschwichtigen und aus¬
zugleichen, denn auch Rußland war von Italiens Absicht, die Treue zu brechen,
unterrichtet und hatte sie in Rechnung gezogen.

Im Frühjahr 1912 gelang es der russischen Diplomatie zwischen Serbien
und Bulgarien einen Geheimvertrag zustande zu bringen. Griechenland und
Rumänien lehnten den Beitritt zu einem solchen Bunde ab und Montenegro
scheint nach alter Methode eine ausweichende Antwort gegeben zu haben.
Wahrscheinlich wollte Nikola (der mittlerweile 1910 zum König vorgerückt war)
sein Mittun von den ersten Erfolgen im Krieg abhängig machen. Venizelos
erhielt durch die von Rußland ausgestreckten Fühler die Idee zum Balkanbund.
Er stellte den Serben, Bulgaren und Montenegrinern vor, daß es am besten
wäre, ohne Mittun einer Großmacht die Orientfrage endgültig zu lösen, wozu
man stark genug sei. Das unmöglich Scheinende wurde zur Tat. Dem schlauen
Venizelos gelang es wirklich alle vier Staaten zum Balkanbund zu einigen.

Im Bundesvertrag war festgesetzt worden, daß Bulgarien einhundertund-
zwanzigtausend Mann zur Unterstützung der Serben nach Makedonien entsenden
solle. In Wirklichkeit sandte es aber nur zwanzigtausend, weil es seine Hauptmacht
lieber gegen Adrianopel bzw. Konstantinopel verwendete. Im Gegenteil, als es


König Nikola von Montenegro und seine Politik

Politik. Österreich gegenüber versuchte er dieselbe Rolle zu spielen, die er bis
1876 der Pforte gegenüber gespielt hatte. Er heuchelte Freundschaft für
Österreich und Verehrung für den Kaiser, dessen kostbare Geschenke er stets gern
annahm. In Wirklichkeit aber war er Kostgänger Rußlands. Dies nützte er
aus, um sich zu bereichern, indem er das aus Rußland zur Verteilung an die
hungernden Montenegriner gesandte Getreide diesen nicht schenkte, wie die
Spender verlangt hatten, sondern es ihnen zu hohen Preisen verkaufte! Auch
sonst wanderten zahlreiche aus Rußland für das Volk gekommene Geld? und
sonstige Sendungen in seine Tasche. Dadurch sank sein Ansehen im Volke
ganz bedeutend.

Rußland hielt sich ihn seit der Zeit, da Alexander, der Dritte ihn als
„einzigen Freund" bezeichnet hatte, warm. Der heutige Zar Nikolaj der Zweite
war als Kronprinz in Nikolas Tochter Jelena ganz verliebt und wollte sie
durchaus heiraten. Alexander der Dritte legte sein Veto ein, weil es ihm
demütigend erschien, daß der Cesarevitsch mit der Tochter eines kleinen Fürsten
vorlieb nehmen sollte. So gab man denn Jelena dem Kronprinzen von Italien
zur Frau, der weniger anspruchsvoll war. Dies brachte ein neues Leitmotiv
in das europäische Konzert. Italien hatte längst die Absicht, an seinem öster¬
reichischen Bundesgenossen zu gegebener Zeit Verrat zu üben und dazu bedürfte
es der montenegrinischen Mithilfe, weil es sonst nicht aus die Adria-Herrschaft
rechnen konnte. Nikola hatte allerdings nicht die Absicht Italien sich am östlichen
Adria-Ufer festsetzen zu lassen, sondern er wollte nur nach alter Gewohnheit
seinen italienischen Eidam gleichfalls übers Ohr hauen, d. h. ihn nur ausnützen.
Da aber die Italiener geradeso berechnend sind, wie Nikola, kamen die beiden
bald übereinander und Rußland hatte viel zu tun, zu beschwichtigen und aus¬
zugleichen, denn auch Rußland war von Italiens Absicht, die Treue zu brechen,
unterrichtet und hatte sie in Rechnung gezogen.

Im Frühjahr 1912 gelang es der russischen Diplomatie zwischen Serbien
und Bulgarien einen Geheimvertrag zustande zu bringen. Griechenland und
Rumänien lehnten den Beitritt zu einem solchen Bunde ab und Montenegro
scheint nach alter Methode eine ausweichende Antwort gegeben zu haben.
Wahrscheinlich wollte Nikola (der mittlerweile 1910 zum König vorgerückt war)
sein Mittun von den ersten Erfolgen im Krieg abhängig machen. Venizelos
erhielt durch die von Rußland ausgestreckten Fühler die Idee zum Balkanbund.
Er stellte den Serben, Bulgaren und Montenegrinern vor, daß es am besten
wäre, ohne Mittun einer Großmacht die Orientfrage endgültig zu lösen, wozu
man stark genug sei. Das unmöglich Scheinende wurde zur Tat. Dem schlauen
Venizelos gelang es wirklich alle vier Staaten zum Balkanbund zu einigen.

Im Bundesvertrag war festgesetzt worden, daß Bulgarien einhundertund-
zwanzigtausend Mann zur Unterstützung der Serben nach Makedonien entsenden
solle. In Wirklichkeit sandte es aber nur zwanzigtausend, weil es seine Hauptmacht
lieber gegen Adrianopel bzw. Konstantinopel verwendete. Im Gegenteil, als es


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_329665/199>, abgerufen am 15.01.2025.