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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr.

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Die Zukunft des Völkerrechts

geschaffen. Aber das Völkerrecht hat man wiederum dabei vergessen; es blieb,
was es gewesen war: Herrscherrecht, Diplomatenrccht. Denn was die konsti¬
tutionellen Verfassungen des 19. Jahrhunderts über völkerrechtliche Vertretung
und völkerrechtlichen Vertragsschluß enthalten, ist innerstaatliches Verfassungs¬
und Verwaltungsrecht, Recht der Grundlagen der auswärtigen Verwaltung,
Staatsrecht, kein Völkerrecht.

Das Völkerrecht haben also die Völker nicht geschaffen. Es war aber
auch nicht für sie bestimmt. Die es handhabten und fortbildeten, waren
wiederum die Herrscher, die Diplomaten. In seltenen -- und nicht den
wichtigsten -- Fällen wurden auch die Parlamente, aber ohne das Recht der
Initiative und der Abänderung, zugezogen und die wichtigeren Normen wurden
meist Jahre lang vor ihnen mehr oder weniger geheim gehalten, -- aus
Gründen der auswärtigen Politik. Deshalb ist -- nach Ansicht Greises und
Labands, anderer Ansicht sind E. Meier, Jellinek, Zorn, Schoen -- die Mit¬
wirkung der Parlamente bei völkerrechtlichen Verträgen lediglich "staatsrecht¬
licher" und nicht "völkerrechtlicher" Art. Die auswärtige Politik besorgten ja
die Herrscher, die Diplomaten.

Damit haben wir den Übergang zur zweiten These gewonnen: Das
sogenannte Völkerrecht war und ist auch kein Völker-"Recht" im strengen Sinne
der "Jurisprudenz". Nicht, weil es keine Zwangs-, keine Exekutionsinstanz
für das Völkerrecht gibt; denn der physische, der natürliche Zwang ist kein
Wesenskriterium des Rechts, die meisten Rechtsnormen werden vielmehr frei¬
willig anerkannt oder auch unfreiwillig anerkannt, also rein psychisch erzwungen.
Und es gibt auch Rechtsnormen ohne die Möglichkeit der Zwangsvollstreckung, --
die übrigens stets nur für die Verwirklichung subjektiver Ansprüche da ist, nicht
zur Sicherung der objektiven Rechtsordnung. Auch nicht deshalb, weil ein
staatsähnliches Gebilde über Staaten begrifflich unmöglich sei; denn der Bundes¬
staat ist ein solches, sogar ein Staatsgebilde, ein Staatenstaat. Auch nicht
deshalb, weil das Völkerrecht "das Wichtigste nicht regete", nämlich die Ver¬
hältnisse, die sich auf die Ehre, die Existenz und die Lebensintel essen der Staaten
beziehen; denn das Recht soll und kann nicht alle menschlichen Verhältnisse
regeln, und jene Verhältnisse könnten auch völkerrechtlich bis zu einem gewissen
Grade geregelt werden. Endlich auch nicht deshalb, weil das Völkerrecht für
den einzelnen selbständigen Kulturstaat nur insofern und insoweit bindend ist,
als er es anerkannt, durch seinen Herrscher "ratifiziert" hat; denn die Anerkennung
der Rechtsnormen ist der letzte Verpflichtungsgrund allen menschlichen Rechts,
und es gibt auch in: Bundesstaatsrecht Normen, die nur durch die Anerkennung
einzelner Gliedstaaten abändernngsfähig sind. -- Sondern aus ganz anderen
Gründen.

Das sogenannte Völkerrecht ist kein Recht im Sinne der strengen "Juris¬
prudenz" -- einmal deshalb, weil das "Recht" begrifflich zu bestimmen ist
als die von Herrscher und Volk einer bestimmten Menschengemeinschaft alter-


Die Zukunft des Völkerrechts

geschaffen. Aber das Völkerrecht hat man wiederum dabei vergessen; es blieb,
was es gewesen war: Herrscherrecht, Diplomatenrccht. Denn was die konsti¬
tutionellen Verfassungen des 19. Jahrhunderts über völkerrechtliche Vertretung
und völkerrechtlichen Vertragsschluß enthalten, ist innerstaatliches Verfassungs¬
und Verwaltungsrecht, Recht der Grundlagen der auswärtigen Verwaltung,
Staatsrecht, kein Völkerrecht.

Das Völkerrecht haben also die Völker nicht geschaffen. Es war aber
auch nicht für sie bestimmt. Die es handhabten und fortbildeten, waren
wiederum die Herrscher, die Diplomaten. In seltenen — und nicht den
wichtigsten — Fällen wurden auch die Parlamente, aber ohne das Recht der
Initiative und der Abänderung, zugezogen und die wichtigeren Normen wurden
meist Jahre lang vor ihnen mehr oder weniger geheim gehalten, — aus
Gründen der auswärtigen Politik. Deshalb ist — nach Ansicht Greises und
Labands, anderer Ansicht sind E. Meier, Jellinek, Zorn, Schoen — die Mit¬
wirkung der Parlamente bei völkerrechtlichen Verträgen lediglich „staatsrecht¬
licher" und nicht „völkerrechtlicher" Art. Die auswärtige Politik besorgten ja
die Herrscher, die Diplomaten.

Damit haben wir den Übergang zur zweiten These gewonnen: Das
sogenannte Völkerrecht war und ist auch kein Völker-„Recht" im strengen Sinne
der „Jurisprudenz". Nicht, weil es keine Zwangs-, keine Exekutionsinstanz
für das Völkerrecht gibt; denn der physische, der natürliche Zwang ist kein
Wesenskriterium des Rechts, die meisten Rechtsnormen werden vielmehr frei¬
willig anerkannt oder auch unfreiwillig anerkannt, also rein psychisch erzwungen.
Und es gibt auch Rechtsnormen ohne die Möglichkeit der Zwangsvollstreckung, —
die übrigens stets nur für die Verwirklichung subjektiver Ansprüche da ist, nicht
zur Sicherung der objektiven Rechtsordnung. Auch nicht deshalb, weil ein
staatsähnliches Gebilde über Staaten begrifflich unmöglich sei; denn der Bundes¬
staat ist ein solches, sogar ein Staatsgebilde, ein Staatenstaat. Auch nicht
deshalb, weil das Völkerrecht „das Wichtigste nicht regete", nämlich die Ver¬
hältnisse, die sich auf die Ehre, die Existenz und die Lebensintel essen der Staaten
beziehen; denn das Recht soll und kann nicht alle menschlichen Verhältnisse
regeln, und jene Verhältnisse könnten auch völkerrechtlich bis zu einem gewissen
Grade geregelt werden. Endlich auch nicht deshalb, weil das Völkerrecht für
den einzelnen selbständigen Kulturstaat nur insofern und insoweit bindend ist,
als er es anerkannt, durch seinen Herrscher „ratifiziert" hat; denn die Anerkennung
der Rechtsnormen ist der letzte Verpflichtungsgrund allen menschlichen Rechts,
und es gibt auch in: Bundesstaatsrecht Normen, die nur durch die Anerkennung
einzelner Gliedstaaten abändernngsfähig sind. — Sondern aus ganz anderen
Gründen.

Das sogenannte Völkerrecht ist kein Recht im Sinne der strengen „Juris¬
prudenz" — einmal deshalb, weil das „Recht" begrifflich zu bestimmen ist
als die von Herrscher und Volk einer bestimmten Menschengemeinschaft alter-


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[0181] Die Zukunft des Völkerrechts geschaffen. Aber das Völkerrecht hat man wiederum dabei vergessen; es blieb, was es gewesen war: Herrscherrecht, Diplomatenrccht. Denn was die konsti¬ tutionellen Verfassungen des 19. Jahrhunderts über völkerrechtliche Vertretung und völkerrechtlichen Vertragsschluß enthalten, ist innerstaatliches Verfassungs¬ und Verwaltungsrecht, Recht der Grundlagen der auswärtigen Verwaltung, Staatsrecht, kein Völkerrecht. Das Völkerrecht haben also die Völker nicht geschaffen. Es war aber auch nicht für sie bestimmt. Die es handhabten und fortbildeten, waren wiederum die Herrscher, die Diplomaten. In seltenen — und nicht den wichtigsten — Fällen wurden auch die Parlamente, aber ohne das Recht der Initiative und der Abänderung, zugezogen und die wichtigeren Normen wurden meist Jahre lang vor ihnen mehr oder weniger geheim gehalten, — aus Gründen der auswärtigen Politik. Deshalb ist — nach Ansicht Greises und Labands, anderer Ansicht sind E. Meier, Jellinek, Zorn, Schoen — die Mit¬ wirkung der Parlamente bei völkerrechtlichen Verträgen lediglich „staatsrecht¬ licher" und nicht „völkerrechtlicher" Art. Die auswärtige Politik besorgten ja die Herrscher, die Diplomaten. Damit haben wir den Übergang zur zweiten These gewonnen: Das sogenannte Völkerrecht war und ist auch kein Völker-„Recht" im strengen Sinne der „Jurisprudenz". Nicht, weil es keine Zwangs-, keine Exekutionsinstanz für das Völkerrecht gibt; denn der physische, der natürliche Zwang ist kein Wesenskriterium des Rechts, die meisten Rechtsnormen werden vielmehr frei¬ willig anerkannt oder auch unfreiwillig anerkannt, also rein psychisch erzwungen. Und es gibt auch Rechtsnormen ohne die Möglichkeit der Zwangsvollstreckung, — die übrigens stets nur für die Verwirklichung subjektiver Ansprüche da ist, nicht zur Sicherung der objektiven Rechtsordnung. Auch nicht deshalb, weil ein staatsähnliches Gebilde über Staaten begrifflich unmöglich sei; denn der Bundes¬ staat ist ein solches, sogar ein Staatsgebilde, ein Staatenstaat. Auch nicht deshalb, weil das Völkerrecht „das Wichtigste nicht regete", nämlich die Ver¬ hältnisse, die sich auf die Ehre, die Existenz und die Lebensintel essen der Staaten beziehen; denn das Recht soll und kann nicht alle menschlichen Verhältnisse regeln, und jene Verhältnisse könnten auch völkerrechtlich bis zu einem gewissen Grade geregelt werden. Endlich auch nicht deshalb, weil das Völkerrecht für den einzelnen selbständigen Kulturstaat nur insofern und insoweit bindend ist, als er es anerkannt, durch seinen Herrscher „ratifiziert" hat; denn die Anerkennung der Rechtsnormen ist der letzte Verpflichtungsgrund allen menschlichen Rechts, und es gibt auch in: Bundesstaatsrecht Normen, die nur durch die Anerkennung einzelner Gliedstaaten abändernngsfähig sind. — Sondern aus ganz anderen Gründen. Das sogenannte Völkerrecht ist kein Recht im Sinne der strengen „Juris¬ prudenz" — einmal deshalb, weil das „Recht" begrifflich zu bestimmen ist als die von Herrscher und Volk einer bestimmten Menschengemeinschaft alter-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_329665/181>, abgerufen am 15.01.2025.