Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr.Die Dienstpflicht in England darf also nicht einen so großen Teil seiner Bevölkerung in die Armee stecken, Die Dienstpflicht in England darf also nicht einen so großen Teil seiner Bevölkerung in die Armee stecken, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0155" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/329821"/> <fw type="header" place="top"> Die Dienstpflicht in England</fw><lb/> <p xml:id="ID_474" prev="#ID_473"> darf also nicht einen so großen Teil seiner Bevölkerung in die Armee stecken,<lb/> daß es dadurch die Fähigkeit verlöre, jene andern wichtigen Aufgaben zu er¬<lb/> füllen. Lloyd George selbst hat, als er noch Schatzkanzler war, dies als erster<lb/> formuliert. In letzter Zeit haben der neue Schatzkanzler Me'Kenna und der<lb/> Handelsminister Runciman diesen Grundsatz energisch betont. Es wurde sogar<lb/> ohne Widerspruch von angesehenen Zeitungen gemeldet, daß sie mit ihrem<lb/> Rücktritt gedroht hätten, wenn das Kabinett nicht einen formellen Beschluß gegen<lb/> die uferlose Vermehrung der Armee faßte. Nach den letzten Nachrichten scheinen<lb/> sie mit dieser ihrer Forderung durchgedrungen zu sein, und dadurch erklärt sich<lb/> auch, daß sie im Kabinett geblieben sind. Kitchener hat im Unterhause erklären<lb/> lassen, daß die Mannschaften, die die Dienstpflichtbill verspräche, genügten, um<lb/> „den Sieg zu sichern". Es ist nicht ganz deutlich, ob diese Grenze, die man<lb/> jetzt für die Heeresstärke gezogen hat. dem Beschlusse entspricht, den das Kabinett<lb/> bereits vor mehreren Monaten gefaßt hatte. Damals beschloß es, eine bestimmte<lb/> Anzahl von Divisionen aufzustellen, und dieser Beschluß ist der französischen<lb/> Negierung mitgeteilt worden. Es lag also zwar keine förmliche Verpflichtung<lb/> gegenüber Frankreich vor, jene Anzahl von Divisionen wirklich aufzustellen, aber<lb/> doch etwas sehr Ähnliches, denn die Franzosen haben natürlich ihre eigenen<lb/> Pläne diesen Aussichten gemäß eingerichtet. Es ist nun nicht ganz deutlich, ob<lb/> die Forderung Me'Kennas und Runcimans darauf hinausging, die Vermehrung<lb/> des Heeres nicht über jene Zahl von Divisionen zu vermehren, oder ob sie<lb/> diese Zahl verringert wissen wollten. Nach einigen Äußerungen der „Times"<lb/> scheint das letzte der Fall zu sein. Jedenfalls scheint das ganz klar zu sein,<lb/> daß es sich bei der neuen Bill nicht um die Aufstellung neuer Truppeneinheiten<lb/> handelt, sondern lediglich um die Beschaffung von Ersatz und Reserven. Es ist<lb/> ja wiederholt darüber geklagt worden, daß gewissen Truppeneinheilen der nötige<lb/> Ersatz fehle, und die Bildung der Reserven scheint in der Tat ein schwacher<lb/> Punkt der Kitchenerschen Organisation zu sein. Was immer das zahlenmäßige<lb/> Ergebnis der neuen Aushebung auf Grund des neuen Gesetzes sein wird, das<lb/> wird man annehmen dürfen, daß die neuen Mannschaften nur dazu dienen<lb/> werden, die bereits bestehenden Divisionen auszufüllen. Und wenn ihre Zahl<lb/> dennoch nicht, wie Kitchener so zuversichtlich erklärt hat, „den Sieg sichert", so<lb/> wird die Negierung einen Schritt weiter aus dem steinigen Wege zur allgemeinen<lb/> Wehrpflicht gehen müssen.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0155]
Die Dienstpflicht in England
darf also nicht einen so großen Teil seiner Bevölkerung in die Armee stecken,
daß es dadurch die Fähigkeit verlöre, jene andern wichtigen Aufgaben zu er¬
füllen. Lloyd George selbst hat, als er noch Schatzkanzler war, dies als erster
formuliert. In letzter Zeit haben der neue Schatzkanzler Me'Kenna und der
Handelsminister Runciman diesen Grundsatz energisch betont. Es wurde sogar
ohne Widerspruch von angesehenen Zeitungen gemeldet, daß sie mit ihrem
Rücktritt gedroht hätten, wenn das Kabinett nicht einen formellen Beschluß gegen
die uferlose Vermehrung der Armee faßte. Nach den letzten Nachrichten scheinen
sie mit dieser ihrer Forderung durchgedrungen zu sein, und dadurch erklärt sich
auch, daß sie im Kabinett geblieben sind. Kitchener hat im Unterhause erklären
lassen, daß die Mannschaften, die die Dienstpflichtbill verspräche, genügten, um
„den Sieg zu sichern". Es ist nicht ganz deutlich, ob diese Grenze, die man
jetzt für die Heeresstärke gezogen hat. dem Beschlusse entspricht, den das Kabinett
bereits vor mehreren Monaten gefaßt hatte. Damals beschloß es, eine bestimmte
Anzahl von Divisionen aufzustellen, und dieser Beschluß ist der französischen
Negierung mitgeteilt worden. Es lag also zwar keine förmliche Verpflichtung
gegenüber Frankreich vor, jene Anzahl von Divisionen wirklich aufzustellen, aber
doch etwas sehr Ähnliches, denn die Franzosen haben natürlich ihre eigenen
Pläne diesen Aussichten gemäß eingerichtet. Es ist nun nicht ganz deutlich, ob
die Forderung Me'Kennas und Runcimans darauf hinausging, die Vermehrung
des Heeres nicht über jene Zahl von Divisionen zu vermehren, oder ob sie
diese Zahl verringert wissen wollten. Nach einigen Äußerungen der „Times"
scheint das letzte der Fall zu sein. Jedenfalls scheint das ganz klar zu sein,
daß es sich bei der neuen Bill nicht um die Aufstellung neuer Truppeneinheiten
handelt, sondern lediglich um die Beschaffung von Ersatz und Reserven. Es ist
ja wiederholt darüber geklagt worden, daß gewissen Truppeneinheilen der nötige
Ersatz fehle, und die Bildung der Reserven scheint in der Tat ein schwacher
Punkt der Kitchenerschen Organisation zu sein. Was immer das zahlenmäßige
Ergebnis der neuen Aushebung auf Grund des neuen Gesetzes sein wird, das
wird man annehmen dürfen, daß die neuen Mannschaften nur dazu dienen
werden, die bereits bestehenden Divisionen auszufüllen. Und wenn ihre Zahl
dennoch nicht, wie Kitchener so zuversichtlich erklärt hat, „den Sieg sichert", so
wird die Negierung einen Schritt weiter aus dem steinigen Wege zur allgemeinen
Wehrpflicht gehen müssen.
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