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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr.

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Zur Reform der Pferderennen

schreiten. Wie steht es nun damit bei unseren Pferderennen? Eine wirkliche
Renngeschwindigkeit wird überhaupt nicht gefordert; es kommt bei den "Rennen"
lediglich darauf an, den Siegespfosten als Erster zu passieren, um den vorher
fest bestimmten Preis ausgezahlt zu erhalten. Ob die hierbei gezeigte Ge¬
schwindigkeit groß oder klein ist, hat gar keinen Einfluß; ob der Sieg mit einer
Nasen- oder zehn Pferdelängen gewonnen wird, ist für die Höhe des zu zah¬
lenden Preises ganz bedeutungslos.

Reiter und Besitzer haben daher gar kein Interesse daran zu zeigen, was
ihre Pferde leisten können, sondern nur, daß sie schneller laufen als die übrigen.
Sie haben sogar ein doppeltes Interesse daran, daß die Pferde ihr volles
Können nicht zeigen. Einmal werden Pferde durch ein scharfes Rennen mehr
angestrengt und verlieren vielleicht die Aussicht, bei späteren Rennen zu siegen,
und dann werden Pferde, die sich anderen als sehr überlegen gezeigt haben,
bei Handicap-Rennen mit höherem Gewicht beschwert, was ebenfalls die Aus¬
sicht auf den Sieg herabsetzt. Der Pferdezüchter hat aber ein großes Interesse
daran, zu wissen, was ein für die Zucht in Aussicht genommenes Pferd leisten
kann, nicht, was es bei einem Nennen zufällig geleistet hat.

Es ist also mindestens notwendig, daß bei der Prüfung eine gewisse, nicht
zu niedrig bemessene Geschwindigkeit gezeigt wird. Bis vor Kurzem konnte man
diese in Deutschland überhaupt nicht einwandfrei angeben, denn die Messung
der zur Zurücklegung der Strecke aufgewendeten Zeit ist erst seit dem Jahre 1903
vorgeschrieben, obwohl der gründliche Kenner des Rennwesens, Major R. Henning
sie schon im Jahre 1387 gefordert und 1902 im Heft 24 der Sammlung
"Unsere Pferde" (Stuttgart, Schickhardt und Ebner), begründet hat.

Bis zu welchem Grade die Rennen unter der Herrschaft des geltenden
Rennreglements ausarten konnten, dafür bietet ein Vorfall, der sich in Hamburg
(1887) beim Jagdrennen ereignete, ein geradezu klassisches Beispiel. Das
Rennen sollte über 5600 Meter führen; "gerannt" wurde aber nur über 1600
Meter; bis dahin ritten die Jockeys abwechselnd Schritt und Trab, hielten sogar,
weil keiner die Hindernisse als Erster nehmen wollte. Um solchen Unfug
fortan unmöglich zu machen, bestimmte im folgenden Jahre das Reglement, daß
für das Durchlaufen der Strecke für je 1000 Meter höchstens drei Minuten
Zeit aufgewendet werden dürften. Das ist eine so lächerlich geringe Forderung,
daß jeder Droschkengaul sie spielend erfüllt. Sie erlaubte daher die Wieder¬
holung ähnlicher Karrikaturen einer Rennleistung; so wurde noch im Jahre 1903
beim Münchener Jagdrennen genau wie in Hamburg abwechselnd Schritt und
Trab geritten. Sogar beim Flachrennen konnten sich Reiter, deren Pferde den
übrigen bedeutend überlegen waren, erlauben, streckenweise zu traben -- der
Graditzer Vollmond in dem über 2000 Meter führenden Prinz Hermann zu
Sachsen-Weimar-Rennen am 23. August 1893. Diese Beispiele könnten noch
beliebig vermehrt werden; sie genügen aber zu zeigen, was das herrschende
Reglement gestattet.


Zur Reform der Pferderennen

schreiten. Wie steht es nun damit bei unseren Pferderennen? Eine wirkliche
Renngeschwindigkeit wird überhaupt nicht gefordert; es kommt bei den „Rennen"
lediglich darauf an, den Siegespfosten als Erster zu passieren, um den vorher
fest bestimmten Preis ausgezahlt zu erhalten. Ob die hierbei gezeigte Ge¬
schwindigkeit groß oder klein ist, hat gar keinen Einfluß; ob der Sieg mit einer
Nasen- oder zehn Pferdelängen gewonnen wird, ist für die Höhe des zu zah¬
lenden Preises ganz bedeutungslos.

Reiter und Besitzer haben daher gar kein Interesse daran zu zeigen, was
ihre Pferde leisten können, sondern nur, daß sie schneller laufen als die übrigen.
Sie haben sogar ein doppeltes Interesse daran, daß die Pferde ihr volles
Können nicht zeigen. Einmal werden Pferde durch ein scharfes Rennen mehr
angestrengt und verlieren vielleicht die Aussicht, bei späteren Rennen zu siegen,
und dann werden Pferde, die sich anderen als sehr überlegen gezeigt haben,
bei Handicap-Rennen mit höherem Gewicht beschwert, was ebenfalls die Aus¬
sicht auf den Sieg herabsetzt. Der Pferdezüchter hat aber ein großes Interesse
daran, zu wissen, was ein für die Zucht in Aussicht genommenes Pferd leisten
kann, nicht, was es bei einem Nennen zufällig geleistet hat.

Es ist also mindestens notwendig, daß bei der Prüfung eine gewisse, nicht
zu niedrig bemessene Geschwindigkeit gezeigt wird. Bis vor Kurzem konnte man
diese in Deutschland überhaupt nicht einwandfrei angeben, denn die Messung
der zur Zurücklegung der Strecke aufgewendeten Zeit ist erst seit dem Jahre 1903
vorgeschrieben, obwohl der gründliche Kenner des Rennwesens, Major R. Henning
sie schon im Jahre 1387 gefordert und 1902 im Heft 24 der Sammlung
„Unsere Pferde" (Stuttgart, Schickhardt und Ebner), begründet hat.

Bis zu welchem Grade die Rennen unter der Herrschaft des geltenden
Rennreglements ausarten konnten, dafür bietet ein Vorfall, der sich in Hamburg
(1887) beim Jagdrennen ereignete, ein geradezu klassisches Beispiel. Das
Rennen sollte über 5600 Meter führen; „gerannt" wurde aber nur über 1600
Meter; bis dahin ritten die Jockeys abwechselnd Schritt und Trab, hielten sogar,
weil keiner die Hindernisse als Erster nehmen wollte. Um solchen Unfug
fortan unmöglich zu machen, bestimmte im folgenden Jahre das Reglement, daß
für das Durchlaufen der Strecke für je 1000 Meter höchstens drei Minuten
Zeit aufgewendet werden dürften. Das ist eine so lächerlich geringe Forderung,
daß jeder Droschkengaul sie spielend erfüllt. Sie erlaubte daher die Wieder¬
holung ähnlicher Karrikaturen einer Rennleistung; so wurde noch im Jahre 1903
beim Münchener Jagdrennen genau wie in Hamburg abwechselnd Schritt und
Trab geritten. Sogar beim Flachrennen konnten sich Reiter, deren Pferde den
übrigen bedeutend überlegen waren, erlauben, streckenweise zu traben — der
Graditzer Vollmond in dem über 2000 Meter führenden Prinz Hermann zu
Sachsen-Weimar-Rennen am 23. August 1893. Diese Beispiele könnten noch
beliebig vermehrt werden; sie genügen aber zu zeigen, was das herrschende
Reglement gestattet.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_329665/120>, abgerufen am 15.01.2025.